Gemälde aus Odessa in Berlin: Kunstwerke im Zeitalter des Kriegs

In der Berliner Gemäldegalerie sind Bilder aus dem Museum für westliche und östliche Kunst in Odessa zu sehen: aus Solidarität mit der Ukraine.

Stillleben von Cornelis de Heem aus dem Museum in Odessa. Es ist ein Teller mit Muscheln. Darüber ein Hummer. Auch viel Obst ist auf dem Bild, etwa Trauben.

Prunkstillleben von Cornelis de Heem, 17. Jahrhundert, aus dem Museum in Odessa Bild: Christoph Schmidt

Es könnte auch ein Saal im Amsterdamer Rijksmuseum sein, oder im Prado von Madrid. Da hängt in der Berliner Gemäldegalerie das Prunkstillleben von Cornelis de Heem. Pralle Weintrauben, frisch geöffnete Austern und einen glänzend roten Hummer drappierte darauf der 1619 im niederländischen Leiden geborene Maler.

Bald darauf taucht in klaren Farben der italienischen Renaissance die „Thronende Madonna mit Kind und Johannesknaben“ auf. Francesco Granacci hat das himmlische Kammerspiel 1519 wohl unter dem Eindruck seines Künstlerfreundes Michelangelo gemalt: die leicht gedrehten Körper der Figuren, der gesenkte Blick der Maria.

Oder auf der gegenüberliegenden Wand eine ungewöhnliche Szene vom „Streit der zwei Kutscher“. Wie der eine am unteren Bildrand auf dem Boden liegt und der andere gerade auf den Liegenden zu schreitet, ihn im nächsten Moment mit einem Messer abzustechen droht, das hätte sich um 1900 auch so abspielen und mit der Fotokamera festgehalten werden können.

Ein Franzose in Odessa

Doch handelt es sich hier um naturalistische Malerei von Jules-Alexis Muenier. Der Franzose ist in vielen Kunstsammlungen des europäischen 19. Jahrhunderts vertreten. So auch in der des Museums für westliche und östliche Kunst in der ukrainischen Hafenstadt Odessa.

Alle zwölf Gemälde vom 16. bis zum 19. Jahrhundert im Berliner Saal stammen aus der 1923 in Odessa gegründeten Institution. Prado, Rijksmuseum oder Gemäldegalerie – ihr Sammlungsbestand lässt sich mit dem großer Häuser vergleichen. Nur weiß es kaum jemand.

Viele der Werke gehörten einst denjenigen mit Westeuropa vernetzten wohlhabenden Familien, die in den Wirren nach Gründung der Sowjetunion 1917 fliehen mussten und ihren Besitz zurückließen, berichtet Igor Poronyk zu den Provenienzen der Sammlung. Er ist der Direktor des Museums für westliche und östliche Kunst in Odessa.

Groß angelegte Kooperation

Poronyk ist extra nach Berlin gekommen, um am Montagabend die kleine, aber kulturpolitisch bedeutende Ausstellung in der Gemäldegalerie persönlich zu eröffnen. Denn die zwölf Exponate von Granacci, de Heem oder Muenier aus Odessa sind derzeit nur die öffentlich sichtbare Spitze einer groß angelegten Museumskooperation zwischen Berlin und Odessa, einer mühevollen Rettungsaktion im Krieg.

Insgesamt 74 Gemälde hatten Mit­ar­bei­te­r:in­nen in Odessa im September 2022 ausgewählt und, unterstützt von der Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth (Grüne), nach Berlin bringen lassen.

Wegen der Widrigkeiten des Krieges dauerte es ein volles Jahr, bis die Werke in Deutschland ankamen. Wer versichert derart wertvolle historische Kunst für einen Transport unter Lebensgefahr? Wo wird bedrohte Kunst zwischengelagert, ohne wie so viele ukrainische Kulturgüter vom russischen Aggressor zerstört oder geraubt zu werden?

Vorspiel für eine große Schau

„Auftakt: Von Odessa nach Berlin. Europäische Malerei des 16. bis 19. Jahrhunderts“: Gemäldegalerie Berlin, noch bis zum 28. April 2024

Nicht einmal Direktor Poronyk selbst soll zwischenzeitlich vom Ort ihrer Lagerung gewusst haben. Nun, restauratorisch überarbeitet, ist mit den zwölf Bildern sozusagen ein Konzentrat der Sammlung aus Odessa in Berlin öffentlich ausgestellt.

Es ist nur das Vorspiel für eine große Schau, die ab Januar 2025 alle 74 evakuierten Gemälde mit Werken der Berliner Gemäldegalerie gegenüberstellt. Obwohl, von Evakuierung sollte man vielleicht gar nicht sprechen. Vielmehr von Leihgaben, als Exponate im europäischen Ausland geschützt.

Die Bilder selbst haben auch eine Mission. Sie zeigen, wie stark Kultur in der Ukraine mit Westeuropa verknüpft ist. In der Gemälde­galerie in Berlin ist nicht nur eine schöne Ausstellung zu sehen, mit ihr wird Kulturpolitik im Krieg überhaupt erst sichtbar.

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