Generalintendant des Humboldt Forums: „Das darf nicht nur ein Selfie-Point sein“

Ein Haus mit globaler Ausstrahlung, das auch der Region etwas zu bieten hat, will Hartmut Dorgerloh, der neue Chef vom Humboldt Forum.

Der neue Chef vom Humboldt Forum

Am 1. Juni tritt Hartmut Dorgerloh seine Stelle als Generalintendant des Humboldt Forums an Foto: dpa

taz: Herr Dorgerloh, können Sie mit dem Begriff „Schlossherr“ etwas anfangen?

Hartmut Dorgerloh: Wenn das eine Art Labeling ist und die Leute damit besser wissen, was ich mache, dann ist das okay. Ich fühle mich aber eher als Treuhänder.

Wieso?

„Schlossherr“ impliziert: Da stehe ich davor, und das ist meins. Aber das Humboldt Forum ist öffentliches Eigentum. Und ich habe dafür zu sorgen, dass dieses öffentliche Eigentum gemehrt wird und dass viele daran teilhaben können.

Als neuer Intendant des Humboldt Forums haben Sie einen Spagat vor sich: Sie bringen es Ende 2019 zur Eröffnung und müssen auf der einen Seite die Debatte über Kolonialismus, Raubkunst und Restitution wieder einfangen, zum anderen das Humboldt Forum zu einer Touristenbude mit drei Millionen Besuchern pro Jahr machen. Wie wollen Sie das schaffen?

Der Anspruch ist groß – und mein Respekt vor der Aufgabe auch. Die Idee des Humboldt Forums ist ja typisch für das 21. Jahrhundert: Sie können nichts mehr allein machen. Dazu gehört eben auch, dass man nicht mehr seine Sammlung im eigenen Haus zeigt, wie man das möchte, sondern dass man das in geteilter Verantwortung macht – postindustriell, global und digital. Genauso muss das Haus sein. Deswegen bin ich ja auch Intendant und nicht Direktor: Es geht darum, eine Richtung vorzugeben und diese mit Partnern umzusetzen.

Was heißt das für die Provenienzdebatte?

Schwierige Themen müssen in diesem Haus diskutiert werden. Denn es geht nicht darum, die Provenienzdebatte wieder einzufangen, sondern sie richtig gut zu führen.

Hartmut Dorgerloh

Jahrgang 1962, wird ab 1. Juni Intendant des Humboldt Forums. Er soll die Richtlinienkompetenz für das Ausstellungshaus haben. Daneben gibt es mehrere Gremien wie die Leitungskonferenz, die Programmkonferenz oder den internationalen Experten­beirat. Zuvor war der gebürtige Ostberliner Dorgerloh Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg.

Sehen Sie sich dafür gut aufgestellt?

Wir führen diese Debatte in der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg seit vielen Jahren, etwa in den Bereichen NS-Raubkunst, Bodenreform oder DDR-Unrecht. Ich habe also ein gewisses Maß an Erfahrung im Bereich Provenienzforschung. Zwar nicht mit ethnologischen Sammlungen, aber das ist auch die originäre Verantwortung der Berliner Museen, denen die Sammlungen gehören.

Haben Sie Sorge, für die großen Flächen des Humboldt Forums nicht genügend Exponate zu haben?

Ganz im Gegenteil. Es gibt nicht nur riesige Depotbestände in Dahlem, sondern auch konzeptionelle Lücken im Humboldt Forum. Stichwort: Naturkunde, Technik. Eine besonders große Lücke ist, dass das Museum Europäischer Kulturen nicht dabei ist. Denn ich kann ja nicht über die Welt reden und die Veränderung des eurozentristischen Blicks ohne Europa.

Das Schloss

Der Wiederaufbau des Berliner Schlosses kostet nach aktuellen Angaben knapp 600 Millionen Euro. Davon trägt der Bund 483 Millionen Euro, das Land Berlin 32 Millionen Euro, der Rest soll durch Spenden zusammenkommen. Darin untergebracht wird das Humboldt Forum, Ende 2019 soll es eröffnen. Die Baustelle liegt im Zeitplan, allerdings werden nicht gleich alle Räume bespielt. Dies soll erst 2021 erfolgen.

Das Forum

Das Humboldt Forum soll ein interdisziplinäres Kulturhaus ähnlich dem Pariser Centre Pompidou werden und zu einem Kulturzentrum und Begegnungsort der Weltkulturen. Neben einer Berlin-Ausstellung sollen in dem Gebäude unter anderem die Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst gezeigt werden.

Die Intendanz

Hartmut Dorgerloh folgt den drei Gründungsintendanten Neil MacGregor, Hermann Parzinger und Horst Bredekamp nach. Die Bürokratie und Struktur des Humboldt Forums ist berüchtigt. Neben der Generalintendanz gibt es mehrere Gremien wie die Leitungskonferenz, die Programmkonferenz oder den internationalen Expertenbeirat. In der Leitungskonferenz sind auch die drei Nutzer – die Preußenstiftung, die Humboldt-Universität und das Land Berlin – mit Stimmrechten vertreten. (epd, dpa, taz)

Haben Sie Hoffnung, dass das Museum Europäischer Kulturen nun doch noch ins Humboldt Forum kommt?

Wir werden ihm auf den Sonderausstellungsflächen entsprechende Möglichkeiten einräumen.

Und wie machen Sie das Haus nun zur Touristenbude?

Ziemlich groß für eine „Bude“, oder? Ich wünsche mir, dass die Besucher nicht nur kommen, um sich mal den Schlüterhof anzuschauen, sondern sich wirklich auf das Angebot einlassen. Gerade im Veranstaltungsbereich wird es ein Haus sein müssen für Menschen aus der Region. Das Humboldt Forum darf nicht nur ein Selfie-Point werden.

Welche Rolle soll für die Besucher aus der Region die Berlin-Ausstellung, konzipiert von Stadtmuseums-Direktor Paul Spies, spielen?

In der Ausstellung soll Berlin unter globalen Fragestellungen besprochen werden. Themen wie Freiräume spielen ja in anderen Städten, auch historisch gesehen, ebenfalls eine große Rolle. Wenn es gelingt, dass unter diesem ­Aspekt auch die ethnologischen Sammlungen befragt werden, dann wird das richtig spannend.

Dürfen Sie bei Spies eigentlich mitreden? Ende Januar hat er verkündet, dass die Ausstellung „ohne Einmischung des Humboldt Forums“ konzipiert werde.

Die Verantwortung für die ständigen Ausstellungen liegt bei den jeweiligen Partnern, das gilt insbesondere auch für die Stiftung Stadtmuseum. Deren Ausstellung ist konzipiert, sie wird jetzt umgesetzt. Das ist eine gute Ausgangsbasis, um künftig etwas zusammen zu machen. Ich habe mit Paul Spies vereinbart, dass wir ein gemeinsames Vermittlungsprogramm entwickeln.

Man könnte das Verhältnis zu den anderen Abteilungen auch so deuten, dass Sie eigentlich gar nichts zu sagen haben.

Was die Besucher mindestens genauso brauchen wie gute Ausstellungen ist Service, Service, Service. Sprich Gastronomie, Shops, Toiletten. Ich muss auch dafür sorgen, dass das funktioniert. Inhaltlich geht es für mich um die Wechsel- und Sonderausstellungsflächen und um die Abstimmung zwischen den Ausstellungen, um das Veranstaltungsprogramm und wie wir gemeinsam Kunst am Bau umsetzen.

Die schiere Größe des Hauses ist eine Überforderung. Wie sollen die Besucher damit umgehen?

Die Information im Haus wird ganz wichtig sein, auch das geht nur gemeinsam. Wir werden im Eosanderhof eine Art digitale Litfaßsäule haben, auf der alle Angebote kommuniziert werden müssen. Und es wird eine wichtige Aufgabe sein, auch jenen Besuchern, die nur die Highlights sehen wollen, ein Angebot zu machen.

Wollen Sie das überhaupt?

Das Humboldt Forum hat einen sehr viel breiteren Anspruch, als sich nur an akademisch Trainierte zu richten. Es ist ähnlich groß wie die Eremitage oder der Louvre, und man kann es unmöglich an einem Tag erschließen. Aber ich bin sehr skeptisch, etwa was den Louvre in Paris angeht. Da steht gleich am Eingang: „Zur Mona Lisa geht’s da lang“, und dann machen sich alle auf diesen Trampelpfad. Am Ende schauen sich viele gar nicht mal das Gemälde an, sondern machen nur ein „Ich und die Mona Lisa“-Foto. Da muss es auch andere Wege geben.

Wird der Eintritt frei sein wie geplant?

Ja, die ersten drei Jahre für die ständigen Ausstellungen.

Ihr Vorgänger Neil MacGregor war als internationaler Museumssuperstar geholt worden, jetzt verläuft sein Abgang schneller als geplant. Was bleibt von ihm?

Alle drei Gründungsintendanten haben in der schwierigen Phase des Baubeginns viele Formate ausprobiert. Das lief nicht ohne Diskussionen ab. Und sie haben dafür gesorgt, dass es jetzt einen Intendanten gibt. (lacht) Sie haben deutlich gemacht, dass man mit einem Dreiermodell nicht bis zur Eröffnung wird arbeiten können.

Als klar war, dass Sie der Intendant werden, hat Ihr Vorgänger Neil MacGregor gesagt, er sei froh, dass sein Nachfolger ein Deutscher sei, der sich mit der Bürokratie auskenne. Sehen Sie das auch so?

Nein. Das Humboldt Forum muss ein Haus mit einer globalen Ausstrahlung sein, das ist der Anspruch. Es muss so funktionieren, dass Menschen aus den Herkunftsgesellschaften und internationale Experten an diesem Haus programmatisch mitwirken können. Und zwar nicht nur in dem Sinne, dass sie eingeladen werden und etwas sagen dürfen. Sie müssen auch Ausstellungen kuratieren, Veranstaltungen machen, Diskussionen initiieren. Denn wir können für die Debatte über das Thema Provenienz bei Sammlungen aus kolonialen Kontexten vor allem ein Podium bieten. Es wäre der völlig falsche Ansatz, wenn wir diese Diskussion allein führen wollen würden.

Man hat das Gefühl, dass die Debatte ums Humboldt Forum völlig überlagert wird von der um die Provenienz und die Rückgabe der außereuropäischen Exponate. Warum wurde das nicht vorhergesehen?

Ich finde die Debatte richtig gut. Und es gibt sie ja auch schon länger. Denken Sie zum Beispiel an die Benin-Bronzen: Es gibt seit Jahren einen Verbund von Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Welt, die mit Kolleginnen und Kollegen in Nigeria und dem König von Bamun zusammenarbeiten.

Warum ist die Provenienzforschung in Deutschland so spät dran?

Die Schwerpunkte in der Prove­nienz­forschung in vielen deutschen und auch in den Berliner Museen lagen in den vergangenen Jahren klar im Bereich NS-Raubkunst – und das hat auch gute Gründe.

Ist das der Grund, warum Frankreich schneller ist?

Frankreich hat eine andere Kolo­nial­geschichte. Und Frankreich hat mit dem Musée du Quai Branly ein eigenständiges Haus für außereuropäische Kunst. Es ist nicht Teil eines riesigen Komplexes wie hier, der – und das muss man fairerweise schon sagen – auch personell und finanziell nicht so ausgestattet war, wie er es eigentlich sein müsste.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hat angekündigt, vier neue Stellen für Provenienzforschung einzurichten. Ist das ein Tropfen auf den heißen Stein?

Wenn diese Kolleginnen und Kollegen an den richtigen Stellen arbeiten, dann wird es relativ bald eine Reihe von Ergebnissen geben. Es wäre schön, wenn das Humboldt Forum der Ort wäre, wo diese Ergebnisse präsentiert werden.

Was machen Sie an Ihrem ersten Arbeitstag im Humboldt Forum Anfang Juni?

Ich werde mir erst einmal ganz intensiv dieses Haus angucken, auf der Baustelle unterwegs sein. Und ich werde mit ganz vielen Leuten reden. Mit dem Kantinenwirt zum Beispiel – die wissen in der Regel immer am besten, wie ein Bau funktioniert.

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