Gentrifizierung: Einverstanden!

Die Aufwertung von Stadtteilen erfährt in Hamburg eine starke Gegenbewegung. Die taz hat Menschen getroffen, die mit dieser Entwicklung einverstanden sind oder gar aktiv an der Aufwertung ihres Stadtteils mitwirken.

Symbol der Gentrifizierung auf St. Pauli: Empire Riverside Hotel. Bild: Promo

Seit drei Jahren wird in Hamburg das Phänomen Gentrifizierung diskutiert. Die Aufwertung von Stadtteilen durch Sanierung und hochwertige Neubauten verärgert viele Anwohner, die zusehen müssen, wie sich ihr Viertel verändert. Kleinere Cafés bekommen plötzlich Konkurrenz durch größere Ketten, der Kiosk nebenan kann sich die Miete nicht mehr leisten, Alteingesessene ziehen weg.

Im Juni 2009 gründete sich die "Recht auf Stadt"-Bewegung, ein Zusammenschluss zahlreicher Initiativen, um sich gegen die "Lattemacchiatoisierung" der Stadt zu wehren. Schließlich veröffentlichten im kommenden November zahlreiche Kulturschaffende das Manifest "Not in our Name", um gegen die Standort-Politik der Stadt Hamburg zu protestieren. Die Stadtteilinitiative No BNQ in St. Pauli versucht momentan sogar, das Bernhard-Nocht-Quartier zu kaufen, um zu verhindern, dass die Mieten steigen und sich die Bewohnerstruktur ändert.

Neben Investoren und Politikern gibt es aber auch in aufgewerteten Stadtteilen Menschen, die mit dieser Entwicklung einverstanden sind. Die taz hat einige von ihnen getroffen und sie gefragt, welche Rolle sie im Prozess der Gentrifizierung spielen.

"Ich bin im Sommer 2007 mit meinem Freund und unserem Kind in eine Genossenschaftswohnung im Brauerei-Quartier gezogen. Es glauben zwar alle, es gebe hier nur Eigentumswohnungen, aber das stimmt nicht. Und die Miete ist mit etwa 9,50 Euro pro Quadratmeter für einen Neubau in Hamburg im Rahmen. Wir haben guten Kontakt zu den Nachbarn, aber manche stellen uns Mieter als die bösen Gentrifizierer dar. Als wäre es unsere Absicht, dieses Viertel zu erobern. Viele interessiert unsere Haltung nicht, nur weil wir in diesem Gebäude wohnen. Es ist durchaus berechtigt zu fragen, wie sich St. Pauli weiterentwickeln soll. Aber ich würde fragen: Was möchten wir Anwohner und wie viel weiteren Büroraum verträgt St. Pauli? Es ist wichtig, dass St. Pauli ein durchmischter Stadtteil bleibt."

(Katrin Fieberitz, 36, lebt im Brauerei-Quartier)

"Im November 2009 bin ich mit meinem Laden ,Riders Room' für ein Jahr in einen Container gezogen. Das Gebäude war eine Bruchbude und als es verkauft wurde, hatte ich befürchtet, mir einen neuen Laden suchen zu müssen. Eine Katastrophe in Hamburg! Aber der neue Investor hat uns ins Konzept eingebunden und ich konnte Einfluss auf die Gestaltung meines Ladens nehmen. Die Miete wird natürlich angepasst. Für mich ist es aber nachvollziehbar, dass sich bei doppelter Ladenfläche die Miete ändert. Viel schlimmer finde ich die Tendenz der Ballermannisierung, die sich von der Schanze hierher fortsetzt. Ich habe zwar das Glück, nicht direkt an der Ameisenstraße zwischen Kiez und Schanze zu wohnen, aber ich bekomme die extrem hohe Lautstärkebelastung schon mit. Noch ist das Viertel aber wie ein kleines Dorf: Man kennt sich. Und ich sehe keinen Bedarf für irgendeine Entwicklung, weil hier alles gewachsen ist. Nicht wie in der Schanze, wo viele Inhaber-betriebene Geschäfte durch irgendwelche Ketten abgelöst und alles uninteressanter, banaler und langweiliger wird."

(Sven Eden, 42, lebt und arbeitet auf St. Pauli)

"Man ist hier unter sich"

"Seit wir Anfang 2007 nach Ottensen gezogen sind, spielt sich unser Leben in diesem Stadtteil ab. Wir wollten unbedingt hierher, weil mein Mann und ich Musiker sind und es hier eine Musikszene gibt. Außerdem war schon damals klar, dass wir ein Kind bekommen würden und mit Familie bietet es sich an, hier zu wohnen: Zur Elbe ist es nicht weit, man ist schnell im Grünen und es gibt viele Spielplätze. Jetzt wohnen wir für 8,30 Euro pro Quadratmeter in einer Wohnung, in der wir uns wohl fühlen. Man ist hier unter sich und es ist weniger durchmischt als vielleicht in St. Pauli und im Moment nehme ich das nicht als Problem war. Für das Viertel hoffe ich, dass Ikea nicht kommt, denn ich habe keine Lust auf noch mehr Verkehr. Und wenn es nach mir ginge, sollte Ottensen weiterhin von kleineren, individuellen Geschäften und Cafés geprägt sein - das gefällt mir."

(Sarah Howe, 31, zog vor drei Jahren nach Ottensen)

"Jetzt ist alles sauber und schön"

"Mein Bruder, meine Schwägerin und ich führen ,Der Goldene Kiosk' in der Gilbertstraße seit 2003. Früher war das Gebäude ziemlich heruntergekommenen. Dann hat ein Bauunternehmer ein neues Haus gebaut und jetzt ist alles sauber und schön. Ein bisschen Sanierung kann hier bei manchen Gebäuden nicht schaden. Es sind doch vor allem die Menschen, die diesen Stadtteil ausmachen und die sind hier überhaupt nicht ,schicki micki'. Während der Bauarbeiten mussten wir vier Mal umziehen, über ein Jahr waren wir in einem Container und wir hatten in den zwei Jahren erhebliche Verluste, dennoch sind wir sehr froh über die jetzige Situation. Allerdings haben mein Bruder und ich unterschiedliche Vorstellungen davon, was mit dem Laden passieren soll. Demnächst wollen wir erstmal Tische und Stühle auf die Terrasse stellen. Auch wenn viele Leute dagegen sind: Ein bisschen mehr Leben könnte meiner Meinung nach in dieser Gegend nicht schaden." (Ferit Taflan, 49, lebt und arbeitet auf St. Pauli)

"Ein guter Ort"

"Wir sind jetzt seit vier Monaten am Schulterblatt. Vorher hatte ich 17 Jahre lang einen Laden in Barmbek-Süd. Aber hier hat uns das Haus so gut gefallen und der Laden wurde vorher von einem befreundeten Türken betrieben. Als wir den Laden übernommen haben, dachten wir uns, dass man ihn besser an das Haus anpassen und so schöner machen könnte. Heute sind wir mehr als ein Gemüseladen: Bei uns gibt es Säfte, Tabakwaren, Spirituosen, frisches Obst und Gemüse, aber auch getrocknete Früchte, Obstsalate, Kräuter, Käse und Wurst. Das war mein Traum: einen schönen, niedlichen Laden zu machen. Die Schanze ist ein Ort, an dem man das sehr gut machen kann. Hier wohnen viele Menschen, denen es gefällt, wenn wir gute Lebensmittel verkaufen."

(Eyüp Dolas, 45, ging mit seinem Laden von Barmbek in die Schanze)

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.