Gerichtsurteil zu Straftäter-Psychiatrie: Zwang auch ohne Beamte möglich

Das Bundesverfassungsgericht billigt die Privatisierung des Maßregelvollzugs für psychisch kranke Straftäter.

Privatisierung ist in Ordnung, befinden die Verfassungsrichter. Bild: dpa

KARLSRUHE taz | Die Betreuung psychisch kranker Straftäter muss nicht durch Beamte erfolgen. Das entschied am Mittwoch der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts. Geklagt hatte ein Insasse der Vitos-Klinik für forensische Psychiatrie in Haina (Hessen). Er war im April 2008 nach einem Konflikt mit dem Pflegepersonal in eine Beruhigungszelle gesperrt worden. Nach seiner Meinung dürften solche Zwangsmaßnahmen aber nur von Beamten, nicht von angestellten Pflegern durchgeführt werden.

Laut Grundgesetz müssen hoheitliche Befugnisse "in der Regel" von Beamten ausgeübt werden. Die Verfassungsrichter entschieden nun, dass beim Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter eine Ausnahme von dieser Regel möglich ist. Hauptgrund ist die enge organisatorische Verbindung der forensischen Psychiatrie, also der Psychiatrie für Straftäter, mit der allgemeinen Psychiatrie.

Tatsächlich werden psychisch kranke Straftäter in normalen psychiatrischen Kliniken behandelt - nur unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen. Oft waren die Betroffenen auch schon vor der Verurteilung dort zur Behandlung. Wegen des Wettbewerbs mit privaten Anbietern wurde allerdings in vielen Bundesländern die staatliche Psychiatrie in privatrechtliche Formen überführt.

So sind Kündigungen leichter möglich, auch können die Chefs besser und die Putz- und Küchenkräfte schlechter als bisher bezahlt werden. Damit wurde nun aber auch die angeschlossene forensische Psychiatrie privatisiert. Die Richter hielten dies für gerechtfertigt, weil der Verbund mit der allgemeinen Psychiatrie sinnvoll sei, gerade auch für die Behandlung der Straftäter.

"Von Wirtschaftlichen Motiven freigestellt"

Im Prozess stellte sich heraus, dass in der Psychiatrie auch schon vor der Privatisierung keine Beamte mehr eingesetzt wurden. Dennoch billigten die Richter auch die Privatisierung des Maßregelvollzugs, dessen Arbeit seither nicht ersichtlich schlechter geworden sei. So seien die Vitos-Kliniken auch nur formal privatisiert. Das Kapital liege - über den Landeswohlfahrtsverband - immer noch bei der öffentlichen Hand und sei damit "von erwerbswirtschaftlichen Motiven und Zwängen freigestellt". Zudem übe das Sozialministerium die Fachaufsicht über die Kliniken aus.

Ein Verzicht auf Beamte im normalen Strafvollzug lässt sich mit diesem Urteil aber genauso wenig rechtfertigen wie eine Privatisierung von Gefängnissen. Zu sehr argumentiert das Urteil mit den Besonderheiten der Psychiatrie.

In der Bundesrepublik sitzen rund 6.500 Straftäter, die bei ihrer Tat nicht schuldfähig waren, in Einrichtungen der forensischen Psychiatrie. (Az.: 2 BvR 133/10)

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