Gewalt gegen Frauen in Italien: Betroffene wird zur Angeklagten

Ein prominenter Prozess in Italien zeigt: Eine EU-Richtlinie, die Vergewaltigung als Sex ohne Konsens definiert, hätte Opfern helfen können.

Eine Menschenmenge

Protest in Palermo gegen die zunehmende Zahl gewalttätiger Übergriffe auf Frauen Foto: Victoria Herranz/imago

ROM taz | Wie lief das, als die Angeschuldigten der jungen Frau die Hose und den Slip auszogen? Leistete sie Widerstand oder nicht? Hielt der eine der jungen Männer beim Oralsex ihre Haare mit einer oder mit beiden Händen fest? Und überhaupt, hat sie beim Sex „mitgewirkt“ oder nicht? Es sind nur drei der mehr als rund 1.400 Fragen, die sich das Opfer vor Gericht gefallen lassen musste. Fragen, die die Ver­tei­di­ge­r*in­nen der vier Angeklagten an insgesamt sechs Verhandlungstagen stellten, um die Glaubwürdigkeit des Vergewaltigungsopfers zu erschüttern.

Vier junge Männer müssen sich in dem Fall wegen Gruppenvergewaltigung verantworten. Der seit nunmehr fast zwei Jahren laufende Prozess erhält in Italien maximale Aufmerksamkeit, weil Ciro Grillo mit auf der Anklagebank sitzt. Er ist der Sohn von Beppe Grillo, dem bekannten Comedian und Gründer der Fünf-Sterne-Bewegung, die in den letzten zehn Jahren die italienische Politik aufmischte.

Grillo junior soll im Sommer 2019 die damals 19-Jährige, die alle italienischen Medien mit dem Alias-Namen „Silvia“ bezeichnen, und eine Freundin von ihr nach einem Disko-Besuch auf Sardinien in die Ferienvilla seiner Eltern mitgenommen haben. Dort seien, so Silvias spätere Aussagen, erst einer seiner Freunde, dann auch Ciro und die beiden anderen Männer über sie hergefallen und hätten sie wiederholt zum Geschlechtsverkehr gezwungen.

Doch immer wieder scheint es im Prozess, als säßen nicht sie, sondern das Mädchen auf der Anklagebank. So will eine Verteidigerin wissen, warum sie beim Oralsex zwecks Abwehr nicht einfach ins Glied des Täters gebissen habe. Von „sekundärer Viktimisierung“ spricht deshalb Silvias Anwältin. Damit meint sie, dass die junge Frau im Prozess erneut zum Opfer wird.

Prozesse verlaufen alle gleich

Immer noch, wie schon vor Jahrzehnten, laufen Vergewaltigungsprozesse in Italien so: Das Opfer hat nachzuweisen, dass es aktiv Widerstand geleistet hat. Deshalb sind alle Fragen erlaubt, schließlich gehe es darum, „das Geschehen zu rekonstruieren“, wie jetzt eine der Ver­tei­di­ge­r*in­nen der vier Angeklagten erklärte.

Zur Verteidigungsstrategie gehört deshalb auch, insgesamt das Sexualleben des Opfers auf den Prüfstand zu bringen. So wurden noch im Jahr 2015 in Florenz sechs junge Männer vom Vorwurf der Gruppenvergewaltigung freigesprochen, weil das mangelnde Einverständnis ihres 16-jähriges Opfers, zum Zeitpunkt der Tat betrunken, für sie nicht erkennbar gewesen sei – und weil sie im Vorfeld mit allzu freizügigem Gebaren aufgefallen sei.

Eine EU-Richtlinie, die Vergewaltigung als Sex ohne Konsens definiert, würde auch Prozesse wie gegen Grillo junior für Opfer erträglicher machen. Und würde womöglich zu weniger Freisprüchen, wie in dem Florenzer Fall, führen.

Italiens Zeitungen und TV-Nachrichten berichten in der Regel recht breit über Gewalt gegen Frauen, Femizide sowie über Vergewaltigungen. Deshalb erhält auch der Prozess gegen Ciro Grillo und seine drei Freunde so viel mediale Aufmerksamkeit. Bisher kam jedoch wenig Diskussion darüber in Gang, wie das Einverständnis von Frauen in sexuellen Beziehungen vor Gericht zu bewerten ist.

Nur die Nichtregierungsorganisation „Differenza donna“, die weibliche Gewaltopfer unterstützt, meldete sich zu der EU-Vereinbarung zu Wort. Sie startete eine Petition auf „Change.org“, gerichtet an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel, mit dem Ziel, in der geplanten EU-Richtlinie die Definition von Vergewaltigung als Sex ohne Konsens aufrechtzuerhalten. Der Appell wurde auf Italienisch, Englisch, Deutsch, Französisch und Spanisch aufgesetzt – und erhielt bisher 79.000 Unterschriften.

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