Graffitikünstler Docta über Afrika: „Das Recht, frei zu sein“

Docta ist einer der bekanntesten Graffitikünstler Afrikas. Der Kontinent müsse Verantwortung für sich übernehmen, sagt er.

Mann steht vor einem grell bemalten Wandgemälde mit Taxi

Amadou Lamine Ngom, genannt „Docta“ Foto: Christian Goupi/imago

Afrika ist heute einem wachsenden Einfluss globaler Mächte unterworfen. Als Künstler versuchen Sie, dagegen eine afrikanische Identität zu behaupten. Was für eine Identität ist das?

Docta: Auf unserem Kontinent haben wir viele Dinge zu sagen und zu zeigen. Wir leben in einem globalen Dorf mit digitaler Technologie. Dinge, die von anderswo kommen, dringen in unser Universum ein. Aber wir passen uns ihnen an, ohne unsere Identität aufzugeben. Es ist diese Identität, die uns in der Welt einzigartig macht: eine visuelle Identität, eine akustische Identität, eine Kleidungsidentität, eine Identität der Farben. Sie sind leuchtend und sehr präsent. Der globale Einfluss ist da, wir passen uns ihm an, und bleiben zugleich so, wie wir sind.

Amadou Lamine Ngom, Künstlername Docta (Wolof für „Arzt“) startete 1988 zunächst allein als Sprayer, 1994 gründete er die Graffiti-Künstlergruppe Afrikas, Doxandem Squad. Ngom initiierte 2010 Festigraff, das internationale Graffiti-Festival Afrikas. 2015 gründete er Passer'Elles mit, ein Kulturprojekt für Künstlerinnen. Seine Akademie Doxaline Résidence bietet afrikanischen Graffiti-Künstler:innen eine technische Ausbildung. Ngom sieht sich als „Stimme der Stimmlosen“, in seinen Werken geht es um politische Themen wie Gesundheit, Bildung, Unsicherheit, Migration sowie die Zukunft Afrikas.

Das klingt paradox.

Wenn sich die Welt weiterentwickelt, muss man sich mit ihr weiterentwickeln, aber gleichzeitig an dem festhalten, was man hat. Wir treffen eine künstlerische Auswahl aus dem, was die Welt zu bieten hat.

Wie zeigt sich das in Ihrer Arbeit?

In meinen Wandbildern schreibe ich in Wolof, der Nationalsprache Senegals. Meine Werke zeigen Szenen des Lebens, das ich jeden Tag sehe. Über 90 Prozent aller in meinen Werken dargestellten Menschen sind Afrikaner:innen, keine Europäer:innen. Als wir während der Covid-Pandemie Wandbilder zur Förderung der Prävention schufen, stellten wir keine Eu­ro­päe­r:in­nen dar, die Masken trugen oder in ihre Hände husteten. Wir haben Se­ne­ga­le­s:in­nen dargestellt, die in traditionelle Kleidung, in Bogolans, gekleidet waren.

Ist Graffiti für sie eine Form des politischen Kommentars?

Ja. Meine Straßenkunst erzählt politische oder soziale Geschichten, die mit den Beziehungen Afrikas zu den Weltmächten zusammenhängen.

Amadou Lamine Ngom, genannt „Docta“

„Afrika muss sich selbst finden und von dem kolonialen System befreien“

Was für Beziehungen sind das?

Zum Beispiel das koloniale System, das Afrika arm hält. Unsere Brüder setzen sich in Fischerboote, um nach Europa auszuwandern. Normalerweise müssten die Fischer fischen gehen können, um Geld für Lebensmittel, Bildung und Kleidung zu verdienen. Das koloniale System aber erlaubt es Politikern, Genehmigungen zur Plünderung unserer Fischbestände und anderer natürlicher Ressourcen an andere zu vergeben. Unsere Graffitis sprechen das an. Wir weisen darauf hin, dass junge Afrikaner:innen, die nach Europa oder in die USA gehen, zur Wirtschaftsleistung dieser Länder beitragen. Sie zahlen dort Steuern, sie stellen ihr Wissen für die Entwicklung dieser Länder zur Verfügung. Sie sollten als „Expatriates“ betrachtet werden.

Ihre Arbeit wird auch mit Geld der EU finanziert.

Die Europäische Union hat mich nicht finanziert, ich habe für sie als Dienstleister im Ausland gearbeitet. Dabei ändern wir nicht unsere Ausrichtung, um Finanzierung zu erhalten. Und ihr Geld wird nicht umsonst gegeben. Wir tun etwas und sie finanzieren es.

Ihre Werke sind sehr kritisch. Hat das schon dazu geführt, dass Sie Schwierigkeiten hatten, Fördermittel oder Visa zu bekommen?

Ja, das passiert uns dauernd. Wenn man mit bestimmten Dingen nicht einverstanden ist, blockieren die Leute einen, ohne es einem zu sagen. Manchmal reicht man alle nötigen Unterlagen für eine Finanzierung oder ein Visum ein, aber man erhält eine Ablehnung. Man weiß, dass man als Aktivist oder Künstler wegen der Ideen, die man vertritt, blockiert wird. Dem sind wir ständig ausgesetzt.

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Wie gehen Sie damit um?

Wir nutzen neue Technologien. So kann man uns nicht davon abhalten, uns auszudrücken. Wir schaffen dauerhafte eigene Werke, auch wenn es sich um Wandbilder handelt, die zerstört werden können. Wir machen Videos und laden sie auf unseren Plattformen im Netz hoch. Selbst wenn das Werk also gelöscht oder zugemauert wird, existiert es im Netz weiter. Unsere Botschaft kommt trotzdem an.

Ein wichtiger Teil ihrer Botschaft ist die Rolle, die Afrika in der Welt spielen soll. Welche Rolle sollte das sein?

Afrika muss sich selbst finden und sich von dem kolonialen System befreien, das uns 300 Jahre lang unterdrückt hat. Die jungen Menschen in Afrika brauchen die Freiheit, sich zu entwickeln. Wir sind gegen alle Länder, die kommen, um uns auszuplündern. Afrika kann Einfluss auf den Rest der Welt ausüben. Es ist an der Zeit, dass die Afrikaner ihre Verantwortung wahrnehmen. Und das hat bereits begonnen. Sehen Sie sich an, was in Mali, Burkina Faso, Niger und Ruanda passiert.

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Unterstützen Sie die Militärputsche dort?

Es ist keine Unterstützung für Staatsstreiche, sondern eine Unterstützung für den Willen des Volkes, die Führer, die Handlanger des Kolonialsystems sind, aus dem Amt zu entfernen. Das Militärregime will niemand. Aber wenn es die richtige Lösung ist, dann nehmen wir sie. Wenn die Politiker dieses koloniale System beibehalten wollen, ist es in Ordnung, dass wir sie austauschen. Afrika hat das Recht, frei zu sein. Wir sind 54 Staaten mit je eigener Intelligenz und Würde. Ihre Bevölkerungen müssen sich behaupten, indem sie Verantwortung übernehmen. Es ist an der Zeit, sich von den kolonialen Systemen zu befreien, die so schwer auf uns lasten. Unsere Führer müssen die Wahl haben, und die europäischen Länder müssen uns als Partner sehen. Sie müssen aufhören, unsere Ressourcen zu plündern. Afrika muss seinen Platz auf der Weltbühne finden, indem es sich die Macht verschafft, zu verhandeln.

Wie soll Afrika die Macht erlangen, die sie sich wünschen?

Die meisten Länder, die sich als entwickelt bezeichnen, verfügen über Ressourcen, die von uns stammen. Afrika ist heute dabei, sich selbst wiederzufinden. Seine Söhne und Töchter machen sich in vielen Bereichen der Welt einen Namen. Wir müssen diese Dynamik unterstützen und vorantreiben. Es ist an der Zeit, die Dinge richtigzustellen.

Hier erfahren Sie mehr über den Afrika-Workshop der taz Panter Stiftung und das 54-seitige Magazin.

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