Graphic Novel zu Protesten in Iran: Aspekte einer Revolution

„Frau, Leben, Freiheit“ handelt von der Protestbewegung in Iran. Herausgegeben von Marjane Satrapi, erzählt der Comic von Mut und Unterdrückung.

Ein schwarzweiß Comicstrip: Links zu sehen ist die 2022 in Iran ermordete Freiheitsaktivistin Mahsa Amini, recht zu sehen sind Frauen, die ihre Kopftücher abgenommen haben und in der Luft schwenken.

Szene aus dem Comic-Sammelband „Frau, Leben, Freiheit“ Foto: Rowohlt

Man reibt sich verwundert die Augen: Eine neue Graphic Novel von Marjane Satrapi? Die Satrapi, die mit ihrem autobiografisch gefärbten Überraschungserfolg „Persepolis“ 2004 ein halbes Jahrhundert iranische Geschichte nachzeichnete? Und das, obwohl die mittlerweile als Filmschaffende Tätige 2021 verkündete, nie wieder Comics zeichnen zu wollen?

Tatsächlich hat sie es auch nicht getan und darum wirkt es zunächst wie ein Etikettenschwindel: Ihr Name prangt groß auf dem Titel der Graphic Novel „Frau, Leben, Freiheit“, die im Iran kostenlos abrufbar sein soll. Der zweite Blick offenbart: Sie ist Herausgeberin und kraft ihres Namens wohl auch Auflagenverstärkerin. Bis auf wenige Seiten haben das Zeichnen hier andere übernommen.

Das führt naturgemäß zu einer Vielzahl verschiedener Stile, was interessant ist, denn die Il­lus­tra­to­rIn­nen finden sehr unterschiedliche visuelle Zugänge zur Darstellung des Bösen. Das Böse ist, so viel ist klar, das religiös-fundamentalistische Regime, das Iran seit 1979 beherrscht und sich durch drei Prinzipien definiere, heißt es an einer Stelle: „den Mann, die Verbitterung und die Unterwerfung“.

Die Diskrepanz zwischen dem lebensfeindlichen Ist- und freiheitlichen Soll-Zustand wird auch visuell deutlich. Kapitel, die sich mit dem Status quo beschäftigen, sind überwiegend dunkel gehalten, wirken düster und kalt. Die optimistischen Zukunftsvisionen hingegen sind bunt.

Teilaspekte des iranischen Freiheitskampfes

Der visuelle Flickenteppich ist spannend, stört aber den Lesefluss, der nie so richtig sogartige Formen annimmt. Das könnte daran liegen, dass das von Satrapi und dem Politologen Farid Vahid konzipierte Buch keine lineare Geschichte erzählt. Es besteht aus 25 Kapiteln, die Teilaspekte des iranischen Freiheitskampfes beleuchten.

Marjane Satrapi (Hrsg.): „Frau, Leben, Freiheit“. Übersetzt von: Hainer Kober, Regina Keil-Sagawe, Sarah Pasquay Rowohlt, Hamburg 2023, 272 Seiten, 36 Euro

Ausgangspunkt ist eine Schilderung der Ereignisse, beginnend mit dem Tod Mahsa Aminis 2022. Es folgen Abschnitte über persische Geschichte, Illustrationen der konkreten Unterdrückung und der Demütigungstaktiken der Revolutionsgarden, Umweltprobleme, Korruption, Zensur, Staatspropaganda. Durch eine arg verkürzte Form entsteht kaum Identifikationspotenzial mit den in erster Linie als rebellierende Subjekte gezeichneten ProtagonistInnen.

Das war bei Satrapis erstem Comic anders: Zwar hatte die iranisch-französische Künstlerin ihre Figuren in „Persepolis“ inklusive ihrer selbst auch eher stilisiert gezeichnet. Man hegte dennoch große Sympathie mit den durch Repression und permanente Rückschläge gepeinigten Seelen der kleinen Marjane und ihrer konsternierten Eltern und Großeltern.

Durch den Facettenreichtum der Episoden entfaltet die Graphic Novel in ihrer Gesamtheit dennoch ein lesenswertes Panorama der Lage. Erhellend etwa, wie die Bigotterie der erwachsenen Kinder der Klerikalen aufgegriffen wird: Sie hoppen luxusshoppend durch das Weltgeschehen. Wer jung ist, aber nicht mit korrupten Vätern gesegnet, kann davon nur träumen.

Metadiskussion zur Zukunft

Wer jung ist und nicht vom herrschenden System profitiert, geht auf die Straße. In einem mit feinen schwarz-weißen Linien gezeichnetem Kapitel besprechen zwei Demonstranten ihre Ausrüstung für die nächsten Proteste: Das Handy bleibt zu Hause, Taschentücher gegen Tränengas kommen mit. Die Hosen müssen weit sein; so weit, dass man schnell laufen kann, wenn die Schläger des Regimes kommen.

Dabei gibt es dann unausgesprochene Regeln, Nummer sechs lautet: „Zickzack laufen, um den Motorradbullen auszuweichen …“ Regel Nummer sieben: „Auf das Schlimmste gefasst sein!“

Marjane Satrapi

„Viele iranische Filme, die man in Cannes sieht, sind so gemacht, dass sie einem französischen Publikum gefallen, ein Hügel, ein Esel, Exotik“

Den Schluss bildet das Protokoll eines Zusammentreffens Satrapis und Vahids mit dem iranisch-amerikanischen Historiker Abbas Malekzadeh Milani und dem französischen Journalisten Jean-Pierre Perrin. Die vier führen eine vielschichtige, informierte Metadiskussion, die sich zeichnerisch etwas eintönig in Skizzen der vier debattierenden Persönlichkeiten erschöpft. „Welche Farbe hat Iran?“, steht am Kapitelanfang. Eine Antwort gibt es nicht, aber die folgenden Panels sind alle pink eingefärbt.

Inhaltlich sind sie die besten des Buchs: Wie konnte es so weit kommen und wie geht es weiter, fragen sich die vier. „Die USA haben geglaubt, dass sich durch Bomben und Softdrink-Automaten alles ändern ließe, aber so funktioniert das nicht“, sagt Satrapi lakonisch.

Und warum hilft niemand den Freiheitskämpfenden?, fragt Satrapi und fordert, dass die Öffentlichkeit ihre Vorstellungen von Iran ändern muss: „Viele iranische Filme, die man in Cannes sieht, sind so gemacht, dass sie einem französischen Publikum gefallen, ein Hügel, ein Esel, Exotik.“ Und fügt genervt hinzu: „Eine Jury aus Reichen, die Preise für Filme über ärmlich aussehende Ori­en­tal:in­nen verleiht.“ Das nenne man „ein gutes Gewissen“.

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