Großstadtzuflucht Uckermark: Sehnsuchtsland Bullerbü

Im Nordosten von Berlin gibt es so manches Künstlerdomizil. Aber um dort zu wohnen, muss man auch Überlebenskünstler sein.

Menschen in einem Schienengefährt auf einer Wiese

Sommerausflug. Auf der Strecke zwischen Templin und Lychen. Foto: Patrick Paul

Die menschenleere Uckermark steht bei Malern, Bildhauern und Fotografen hoch im Kurs. Blühende Apfel- und Birnbäume, darunter ein blau bemalter Holztisch mit ein paar Stühlen und einer Scheune, die von den Zweigen einer Weide gestreichelt wird. Es sieht aus wie Bullerbü. Und ist das Atelierhaus von Sybille Eckhorn in Rosenow, einem winzigen Ort in der Uckermark.

Im Nordosten von Berlin gibt es so manches Künstlerdomizil, in das sich Besucher sofort verlieben. Überhaupt ist der Landkreis nordöstlich von Berlin in den letzten Jahren zu einer Art Sehnsuchtsland geworden. Sanft gewellte Felder und Wiesen – Brandenburgs früherer Ministerpräsident Matthias Platzeck, der zeitweise in Gerswalde lebt, spricht von ­einer „Po- und Busenlandschaft“ -, im Frühjahr von gelbem Raps und Mohnblumen übersät, unzählige Seen, ausgedehnte Buchenwälder – und kaum Menschen. Nachdem immer mehr Anwohner abgewandert sind, leben hier nur noch 121.000, das sind 39 pro Quadratkilometer, während es in Berlin 3.948 sind.

Doch genau das zieht jede Menge Großstadtmüde an. Auch wenn hier und da aggressive Großbetriebe die traditionelle Landwirtschaft verdrängen, in vielen Dörfern Einkaufsmöglichkeiten, Schulen und Ärzte fehlen und die Verkehrsmöglichkeiten stark eingeschränkt sind. Die einen betreiben Hofläden und Kräutergärten, die anderen machen Mohnöl, kandierte Blüten, Naturseife. Oder eben Kunst.

Schließlich lässt es sich auf dem platten Land nicht nur günstiger wohnen und arbeiten. „Es gibt überhaupt mehr Freiräume“, meint eine Künstlerin, die mit Metall arbeitet. „Wirf mal in der Stadt deine Flex an, dann erschlägt dich doch dein Nachbar.“ Gut, aber dieses Argument spricht auch für andere menschenleere Regionen in Brandenburg. Warum gerade die Uckermark?

Objekte aus Keramik

„Mich inspiriert einfach der weite Himmel mit seinen Sonnenuntergängen“, sagt Sybille Eckhorn. Für die Bildhauerin Astrid Mosch sind es eher die Wälder, in denen man sich verlaufen kann, für den Fotografen Peter van Heesen ist es die Stille. Jedenfalls kann, wer beispielsweise an den Tagen der Offenen Ateliers in der Uckermark unterwegs ist, an die hundert Kreativen begegnen.

Neben Sybille Eckhorn, die in ihrer Galerie „Rosenow 13“ Malerei und allerlei skurrile Objekte aus Keramik ausstellt, hat sich Frieda Rommel ein paar Häuser weiter auf Illusionsmalerei spezialisiert. In Warthe webt Beate Flierl in ihren Lichtwerkstätten an Bildteppichen und großformatiger Textilkunst. Besonders viele zeichnen, malen, fotografieren, töpfern, meißeln oder schnitzen im benachbarten Lychen.

Jutta Siebert

„Das ist eine eigenwillige Mischung aus Norddeutschland, Berlin und ­ehemaligem Osten“

Sie haben unter anderem dazu beigetragen, dass sich in der Flößerstadt, die von sieben Seen umzingelt ist, rund um das Haus Vogelsang mit Bioladen, Hofcafé und Filzwerkstatt eine alternative Szene entwickelt hat und die Straßen heute wesentlich belebter wirken als noch vor ein paar Jahren. Hier die „Kleine Galerie“ von Renate Trottner, die in ihren Stillleben Motive aus der Umgebung, darunter schon mal eine Meerrettichknolle, einfängt, dort das Keramik­atelier von Michaela Ambellan, die Kraftfrauen und Engelwesen aus Raku und Rauchbrand modelliert, während ihr Mann fotografische Uckermark-Panoramen entwirft.

Ein paar Straßen weiter präsentiert Jutta Siebert in der Atelier-Galerie „KunstimPuls“ abstrakte Grafiken und figürliche Malerei. Vor ein paar Jahren hat es sie aus dem Rhein-Main-Gebiet hierher verschlagen, 2016 hat sie sich ganz in Lychen niedergelassen. Was war es, das den Ausschlag gegeben hat? „Das Wasser“, sagt die Preisträgerin des Uckermärkischen Kunstpreises 2017 ohne nachzudenken.

Eingewöhnungsschwierigkeiten

Kein Wunder, dass sie sich an einem der Stadtseen angesiedelt hat, wo sie auch Kreativworkshops und Ferienwohnungen anbietet. Inzwischen ist sie auch mit den Menschen der Gegend warm geworden. „Wobei man die Uckermärker erst mal knacken muss“, wie sie sagt. „Das ist ja eine eigenwillige Mischung aus Norddeutschland, Berlin und ehemaligem Osten.“

Keine Eingewöhnungsschwierigkeiten hatten demgegenüber die Ambellans. Schließlich sind sie in der Gegend aufgewachsen und nach Jahren aus der Großstadt wieder zurückgekehrt. „Das war ein solches Glücksgefühl, als ich mit meiner Tochter morgens mit dem Fahrrad zum Kindergarten gefahren und mir vorgestellt habe, wie es im dicken Verkehr von Berlin wäre“, erinnert sich die Keramikerin.

Sie hat aber auch das Glück, wie ihr Mann eine Halbtagsstelle zu haben, mit denen sie ihren Lebensunterhalt finanzieren. Zwar vermisst auch ihre Kollegin Friederike Dux die Großstadt nicht, doch neben ihrer Töpferei in der Retzower Straße, in der sie blaugraue Gebrauchskeramik und allerlei Objekte formt, betreibt sie noch Landwirtschaft. „Nur so habe ich mir mein Auskommen gesichert“, sagt sie. Als Künstler man muss sich ja schon arrangieren. Einige backen Brot oder putzen, um zu überleben.“ „Sich allein mit der Kunst zu finanzieren, gelingt nur den wenigsten“, weiß Ines Baumgartl, Sprecherin von „umKunst Uckermark“.

In dem Netzwerk sind etwa zwanzig Künstler aktiv, die sich einmal im Monat zum Atelierbrunch treffen, gemeinsame Ausstellungen und Projekte mit Polen oder Schottland organisieren. „Für Diskussionsstoff sorgt immer wieder das Thema Ausstellungshonorar. Denn das ist einfach keine Selbstverständlichkeit“, hat Baumgartl beobachtet.

Ein Rückzugsort

Ohne Honorar muss meist auch der experimentierfreudige Grafiker, Bildhauer und Maler Lutz Kommalein auskommen, der in der alten Schule von Ringenwalde unter relativ spartanischen Bedingungen wohnt, arbeitet und ausstellt. Alle anderen pendeln. So zum Beispiel die rund zwanzig Künstler, die sich an den Wochenenden unter dem Motto „Transit Lychen“ bei Peter van Heesen am Goetheweg 4 einfinden.

Galerien: Kleine Galerie, Rutenberger Str. 1; das Keramikatelier Michael Ambellan, Stabenstr. 16; Handweberei Martina Busch Kirchstr. 4; KunstimPuls, Berliner Str. 3; Atelier-Galerie Bärmich, Chaussee 10a. Außerdem liegt im Ortsteil Retzow, Retzower Str. 15, die Galerie Nagel im Exotik-Kunst-Garten von Jens Nagel. Das Kunsthaus von Astrid Mosch liegt in Hohenwalde, die Atelier-Galerie von Lutz Kommalein in der alten Schule Ringenwalde; die Galerie von Sybille Eckhorn in Rosenow. Weitere Kontakte zu Künstlern in der Uckermark: www.umkunst-uckermark.de

Kunst lernen: Einige der Künstler, z. B. Astrid Mosch und Jutta Siebert bieten auch Kreativworkshops an.

Information: Tourismusverein Lychen, Stargarder Str. 6, www.tourismus-lychen.de sowie unter www.tourismus-uckermark.de

Vor sieben Jahren hat der Fotograf Berlin den Rücken gekehrt und ein ehemaliges FDGB-Heim angemietet, wo es ganz und gar nicht wie Bullerbü aussieht. Mit bröckelndem Putz, aufgerissenen Böden, Kabeln, die aus Wänden und Decken hängen, scheint es ihm und seinen Kollegen aber genau den Freiraum zu bieten, den sie für ihre Installationen, Zeichnungen, Fotokunst und elektronische Musik brauchen.

Der Rückzugsort von Astrid Mosch liegt in Hohenwalde südöstlich von Lychen. Vor vielen Jahren hat die Bildhauerin in dem Dörfchen unweit von Angela Merkels Wochenenddomizil das Kunsthaus „Hohenwalde“ gebaut. Über Galerie und Garten verteilen sich ihre minimalistischen Skulpturen aus verschiedenen Holzarten. Meist sind es langgestreckte, archaisch anmutende Frauenkörper, von denen spitze Brüste abstehen, bedrohlich wie Waffen. Ein paar Jahre hat Mosch versucht, hier ganz zu leben. Dann ist sie wieder nach Berlin gezogen. Nicht nur, weil sie ihren Lebensunterhalt mit anderen Dingen bestreiten musste. „Ich habe auch gemerkt, dass sich die Schönheit der Landschaft einfach abnutzt, wenn man sie tagtäglich vor sich hat. Erst aus der Distanz wächst immer wieder die Sehnsucht nach der Uckermark, die mich bei meiner Arbeit inspiriert.“

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