Grünen-Chefin Claudia Roth: "Wir sind jetzt der Hauptgegner"

Vor dem Parteitag in Freiburg: Für viele Grüne, vor allem Jüngere, sei die "Gegnerschaft auf Augenhöhe" mit der CDU eine ganz neue Erfahrung, sagt Grünen-Chefin Roth im taz-Interview.

Will sich mit CDU und FDP streiten: Grünen-Chefin Claudia Roth. Bild: dapd

taz: Frau Roth, nach dem Hype um die Grünen setzt nun Kritik ein, die Partei sei überschätzt. Sehnen Sie sich schon nach niedrigeren Umfragewerten?

Claudia Roth: Ach was. Ich weiß, eine Stimmung ist etwas anderes als Stimmen am Wahltag. Aber ich freue mich über das wachsende Vertrauen in uns und die Offenheit für unsere Konzepte.

Die Kanzlerin bezeichnet das als Zeichen der Beliebigkeit.

Claudia Roth, 55, ist seit 2004 Bundesvorsitzende der Grünen. Sie war es zuvor bereits von Januar 2001 bis Herbst 2002. Auf dem Parteitag am Wochenende tritt Roth erneut an, um die Partei für zwei Jahre zu führen. Ihre Wiederwahl in Freiburg scheint sicher, es gibt bislang keine Gegenkandidatur. Gleiches gilt für die erneute Kür ihres 44-jährigen Vorsitzendenkollegen Cem Özdemir.

Wir sind jetzt Hauptgegner von CDU und Frau Merkel. Für viele Grüne, vor allem Jüngere, ist das eine neue Erfahrung. Einerseits ehrt uns das, denn es bedeutet Gegnerschaft auf Augenhöhe. Andererseits wird es jetzt auch hart: Es wird Schläge unter die Gürtellinie geben und den Versuch, uns Klischees anzuhängen: "1-Themen-Partei", "Wohlfühlpartei". Das werden wir uns nicht andichten lassen, schon gar nicht von einer Kanzlerin, die aus blanker Verzweiflung große Werbeanzeigen für ihre Politik schalten muss.

Ihr Parteitag soll ein Konzept zur "Bürgerversicherung" beschließen. SPD und Linke fordern Ähnliches. Vergrößert das Ihre Distanz zur Union?

Die Grünen fassen keine Beschlüsse mit Blick darauf, ob sie kompatibel sind mit SPD oder Linken. Und mit Verlaub: Das erste Konzept zur Bürgerversicherung kam von uns Grünen. Wir legen jetzt beim Parteitag einen konkreten Plan dazu vor, während bei den anderen Parteien die Bürgerversicherung bislang eine Worthülse ist. Wir brauchen ein System, bei dem alle Krankenversicherten unter einem Dach sind. Und damit eine Verbreiterung der Einnahmen im Gesundheitssystem, in die auch die Jungen und Gutverdienenden einbezogen sind. Dass das himmelweit entfernt ist von FDP und Union, die die Parität in der gesetzlichen Krankenversicherung abgeschafft haben, ist klar.

Ist eine Bürgerversicherung gegen die mächtige Versicherungslobby durchsetzbar?

Es stimmt, das ist eine der härtesten Lobbys im Land. Das bekam auch Andrea Fischer zu spüren, als sie Gesundheitsministerin war. Bei Herrn Rösler regiert ja heute faktisch die Wirtschaft. Die Pharmabranche und auch die Privatversicherungen schreiben ihm sogar die Gesetzentwürfe. Wenn wir es anders machen wollen, dann brauchen wir dafür einen breiten gesellschaftlichen Rückhalt. Dabei können wir auch von der gescheiterten Schulreform in Hamburg viel lernen. Gesundheit darf nicht vom Geldbeutel abhängen, deshalb wollen wir auch andere Einkommensarten zur Finanzierung heranziehen.

Die meisten Zugewinne bei Umfragen verzeichnen die Grünen unter Selbstständigen, also privat Versicherten. Handeln Sie da gegen Ihre Klientel?

Im Gegensatz zu anderen schielen wir nicht zuerst nach der vermeintlichen Klientel, sondern machen Politik für die ganze Gesellschaft. Unsere Wähler verstehen: Wenn ich der Stärkere bin, muss ich mehr zum Gemeinwohl beitragen. Das ist der größte Unterschied zwischen der Klientelpartei FDP und uns Grünen. Aber die grüne Bürgerversicherung wird am Ende für alle ein Plus sein: ein Plus an Qualität, Solidarität und vertretbare Beiträge.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.