Hamburger Spitzenkandidatinnen im Wahlkampf: Die Überzeugungstäterin

Dora Heyenn (Die Linke) kämpft um den Einzug ihrer Partei in die Bürgerschaft. Der ist unsicher - obwohl die Fraktion in Hamburg einen guten Ruf hat.

Wirbt in Hamburger Hochhäusern um Stimmen: Dora Heyenn. Bild: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Die junge Frau steht mit einem Hund vor ihrer Wohnungstür, als Dora Heyenn (Linke) sie anspricht. Die Wählerin kramt nach ihrem Schlüssel. Heyenn stellt sich als Fraktionsvorsitzende der Linken in der Hamburger Bürgerschaft vor, sagt, dass sie über die Wahl reden will. "Irgendwann" gehe das "vielleicht", sagt die junge Frau mit Hund. Aber: "Nicht so, und schon gar nicht so nervig!"

Heyenn geht weiter. "Das ist meine große Stärke: nerven", sagt sie. Und setzt etwas unwirsch nach: "Das sind die Frauen, die denken, dass alles gut sei." Nach der ersten Scheidung würden sie das vielleicht anders sehen.

Dora Heyenn ist schon über eine Stunde in dem fünfzehnstöckigen Haus in Rahlstedt am Hamburger Stadtrand und verteilt Flyer und rote Chili-Schoten. Die 61-Jährige bittet die Bürger, wählen zu gehen, und sich "eventuell" für die Linke zu entscheiden.

61, ist auf Fehmarn geboren und aufgewachsen. Sie wohnt heute in Hamburg-Rahlstedt.

1971 tritt sie in die SPD ein.

Von 1979 bis 1983 ist Heyenn Mitglied im Landesvorstand der SPD Schleswig-Holstein.

Von 1990 bis 1992 ist sie Abgeordnete im Kieler Landtag.

1999 gibt sie das SPD-Parteibuch zurück.

2005 tritt Heyenn in die WASG ein.

2007 fusionieren WASG und PDS zur Linkspartei.

Seit 2008 ist Dora Heyenn Fraktionschefin der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft.

Zehn Stockwerke hat sie geschafft, an über 70 Türen geklingelt. An diesem Samstagnachmittag trifft sie nicht sehr viele. Dann klebt sie die Schote an die Tür, dazu die Broschüren. "Der Effekt von den Flyern ist, dass die Leute sich hinterher treffen und fragen: ,War die Alte auch bei dir?'"

Die Partei mit Heyenn in der Spitze verspricht im Hamburger Wahlkampf, sich um die zu kümmern, die nicht vom Reichtum der Stadt profitieren - darum ist sie in solchen Hochhäusern unterwegs.

Heyenn spricht von einer "sozial tief gespaltenen" Stadt. Sie kann das sehr nüchtern vortragen. Manchmal kann sie sich aber auch richtig dabei empören. "Es ist ein Unding, dass gestandene Männer Flaschen sammeln müssen, um über die Runden zu kommen", sagt sie.

Heyenn ist auf einem Bauernhof in der Siedlung Kopendorf auf Fehmarn aufgewachsen, ging auf der Ostsee-Insel zur Volksschule. Sie ist Gymnasiallehrerin für Biologie und Chemie, noch immer unterrichtet sie acht Stunden an der Kooperativen Schule in Hamburg-Tonndorf.

Heyenn wohnt in einem Einfamilienhaus, ist verwitwet und hat zwei Kinder. Um zu entspannen, töpfert Dora Heyenn - sie hatte zeitweise einen kleinen Betrieb, um Keramik-Waren zu vertreiben, und hat Bücher darüber geschrieben.

Sie habe sich schon immer "mitverantwortlich gefühlt, wie eine Gesellschaft ist", sagt Heyenn. Mit 21 trat sie in die SPD ein. Es habe sie geärgert, dass Schulfreunde kein Abitur machen konnten, weil den Eltern das Geld fehlte. In den 90ern wurde sie SPD-Landtagsabgeordnete in Kiel - als Nachrückerin für zwei Jahre.

"Als eine nette und leidenschaftliche Kollegin" hat sie der ehemalige SPD-Abgeordnete Günter Neugebauer in Erinnerung, der fast 40 Jahre im Kieler Landesparlament saß. Sozialpolitik sei ihr Ding gewesen, aber: "Sie war keine Wortführerin."

2005 trat Dora Heyenn in die WASG ein - die SPD hatte sie 1999 aus Protest gegen die Schröder-Politik verlassen. Oskar Lafontaine habe sie begeistert, erzählt sie. Der habe sich geweigert, gegen seine Überzeugungen Politik zu machen. Ihr ehemaliger Fraktionskollege Neugebauer sagt, der Wechsel habe ihn überrascht.

Seit 2008 ist sie Chefin der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft. Ihre Fraktion hat einen guten Ruf, auch über das linke Lager hinaus. Kein Chaos, keine Selbstzerlegung - stattdessen Sacharbeit.

Das ist auch ein Verdienst Heyenns: Sie habe am Anfang klar gemacht, dass sie "keine Rumpelstilzchen-Politik" machen wolle, sagt sie. Wenn es "Wut-Anträge" gegeben habe, sei dies die Schuld der Regierung gewesen, die versprochene Berichte nicht abgegeben, das Parlament über Pläne nicht informiert oder zu spät Dokumente vorgelegt habe.

Als klar war, dass sie den Posten als Fraktionschefin bekommen würde, habe die Grüne Christa Goetsch sie beruhigt, erzählt Heyenn - auch Goetsch ist Lehrerin. Eine Fraktion zu führen sei auch nicht so viel anders als eine Klasse zu unterrichten. Man müsse dafür sorgen, dass alle beschäftigt seien.

Ihr Beruf sei Heyenn anzumerken, heißt es aus der Fraktion. "Kompletto", sagt Kersten Artus. "Die ist Lehrerin durch und durch - aber nicht von der blöden Art", schiebt sie hinterher. Heyenn arbeite viel und erwarte das auch von den anderen. "Richtig krank sein gilt nicht."

Seit Weihnachten ist sie im Wahlkampf, hat über 15 Podiumsdiskussionen absolviert, mehr als 1.000 Hausbesuche hat sie sich vorgenommen. Der Einzug in die Hamburger Bürgerschaft steht auf der Kippe. Nach der Diskussion um die umstrittene Äußerung von Linken-Parteichefin Gesine Lötzsch, wonach der Kommunismus noch immer erstrebenswert sei, liegt die Linke in Umfragen zwischen 5 und 6 Prozent.

Hat sie einen Plan B, falls das schief geht? Heyenn überlegt. Und sagt, dass sie dann schon wieder mehr Stunden machen könne als Lehrerin. Andere Abgeordnete würde ein Scheitern der Linken härter treffen. "Aber das liegt außerhalb meiner Vorstellungskraft."

Die Stimmen der jungen Frau aus dem Hochhaus wird sie wohl nicht bekommen. Heyenn steht noch im Flur und klebt Chili-Schoten, als die Hundebesitzerin wieder aus ihrer Wohnung kommt. Sie geht zur Treppe und murmelt: "Boah, wie nervig."

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