Hannoversche Eishockey-Rivalität: Zoff auf Kufen

In der Region Hannover gibt es zwei ambitionierte Eishockey-Clubs. „Indians“ und „Scorpions“ und ihre Fans hassen einander mit großer Begeisterung.

"Indians"- Eisstadion am Pferdeturm in Hannover

Rustikale Heimstätte: Im Indians-Eisstadion am Pferdeturm werden Scorpions-Spieler grundsätzlich mit „Arschloch“ begrüßt Foto: Rust/Imago

HANNOVER taz | Ein Transparent garniert den Moment des Triumphs: Als der 5:1-Erfolg der Hannover Scorpions besiegelt ist, halten deren mitgereiste Fans ein Transparent hoch: „Die blaurotweißen Versager werden niemals Derbysieger.“ Gemeint sind mit dem Stück Stoff, das später demonstrativ zerrissen wird, die heimischen Hannover Indians. Willkommen mitten in einer Geschichte, die von ganz viel Leidenschaft lebt – und ebenso viel Vereinsmeierei. Dass es in der Region Hannover zwei sehr ambitionierte Eishockeyvereine gibt, die sich nicht mögen, hat Tradition. Die Kräfte zu bündeln und gemeinsam stark zu sein, kommt für beide Seiten nicht infrage. Die Rivalität ist größer als die Vernunft.

Es ist ein verregneter und kühler Freitagabend. Trotzdem ist das Eisstadion am Pferdeturm bei diesem Derby ausverkauft. Allen 4.608 Zuschauern ist klar, dass die deutlich stärkeren Scorpions auch das vierte Play-off-Viertelfinalspiel gegen die Indians gewinnen. Trotzdem lebt ein solcher Abend von seiner Brisanz.

„Hier zu gewinnen, ist ein spezielles Gefühl“, erzählt Andy Reiss. Kaum jemand kennt Hannovers Eishockey besser als er: Der routinierte Verteidiger bestreitet an diesem Abend sein 1.000. Spiel als Profi – die Mehrheit davon für die Scorpions, aber einige auch für die Indians, seinen eigentlichen Heimatverein. Vor so einem Spieler könnten die Fans auf beiden Seiten einen tiefen Knicks machen. Aber Reiss, wie jeder Scorpions-Akteur, wird vom Indians-Publikum nicht mit dem normalen Nachnamen im Stadion begrüßt, sondern mit: „Arschloch“.

Schubsen nicht nur auf dem Eis

Die Sportart Eishockey, bei der auf dem Spielfeld beherzt geschubst, gerauft und auch gedrängelt wird, sorgt abseits der Eisfläche meistens für ein friedliches Miteinander. Aber der Zwist zwischen Indians und Scorpions wird durchaus auch mit herben Worten und groben Taten gelebt: Ende vergangenen Jahres etwa lieferten sich Fans der Klubs eine derbe Schlägerei. Sich nicht zu mögen und das laut zu sagen, auch davon lebt Hannovers Eishockeyszene.

Beide Vereine waren schon erstklassig und haben großen Zeiten erlebt. Die Hannover Indians sind die Fortsetzung des einst sehr erfolgreichen EC Hannover und haben ihre Heimat im Stadtgebiet. Die Hannover Scorpions sind, obschon Emporkömmling vom Land, 2010 Deutscher Meister geworden. Sie haben ihren Ursprung als Wedemark Scorpions im Umland, ihre Heimspiele tragen sie im beschaulichen Mellendorf aus. Ein Dorfklub ist erfolgreicher als der Rivale aus der großen Stadt? Von solchen Zutaten lebt der Zoff auf Kufen bestens.

Wer die Indians mag, pocht auf deren Tradition mitten in Hannover: Sie müssten als Stadtverein finanziell deutlich besser aufgestellt sein als die Scorpions. „Aber bei uns gibt es nicht den einen Mäzen. Wir geben das Geld aus, das wir verdienen“, erzählt Jan Roterberg vom Management der Indians. Nach seinen Berechnungen fehlen dem Verein rund 300.000 Euro, um den Aufstieg in die zweithöchste Liga in Angriff nehmen zu können. „Das ist unser Ziel, sobald es solide durchfinanziert ist.“

Solide durchfinanziert war nun gerade nicht alles in der Indians-Historie, Insolvenzen haben den Verein immer wieder zurückgeworfen. Trotzdem ist bei jedem Heimspiel am Pferdeturm ungebrochener Stolz auf den „Eeeeeee! Ceeeeee! Haaaaaa!“ zu spüren. „Die Stimmung hier ist unglaublich“, sagt Scorpions-Trainer Kevin Gaudet voller Respekt.

„Kühe, Schweine, Wedemark!“

Der Erfolg der Scorpions ist eng mit Gaudet verbunden: Der Kanadier hatte sich Anfang der 90er-Jahre als Spielertrainer mitten in Niedersachsens Provinz dem in Mellendorf spielenden ESC Wedemark angeschlossen. Unter seiner Obhut gelangen drei Aufstiege bis in die Deutsche Eishockey-Liga (DEL). „Kühe, Schweine, Wedemark!“ – dieser Schlachtruf hat sich bundesweit etabliert, wo immer die Scorpions auftreten.

Maßgeblichen Anteil am Höhenflug der Scorpions hat auch Jochen Haselbacher, Unternehmer und früher CDU-Landesabgeordneter. Ihm und seiner Familie gelingt es bis heute, gute Spieler und zahlungskräftige Sponsoren so gezielt zusammenzubringen, dass im kleinen Mellendorf Größeres möglich ist als im benachbarten Hannover.

Auf den ersehnten Sprung in die 2. Liga sind die Scorpions finanziell offenbar gut vorbereitet. Aber ihnen stehen ab dem Play-off-Halbfinale schwere Duelle bevor: mit den besten Teams aus der Oberliga Süd. „Es ist unser Traum, noch einmal aufzusteigen – mit dieser Mannschaft und mit dieser Familie“, sagt der 2022 zurückgekehrte Erfolgstrainer Gaudet.

Als er am Freitagabend die Umkleidekabine am Pferdeturm verlässt, sind dort laute Musik, das Geklimper von Bierflaschen und freudiger Jubel zu hören. Die mit Profis gespickte Scorpions-Mannschaft war wieder einmal zu stark für die Indians. Die vermeintlichen Landeier haben das 22. Derby in Folge gegen die aus der Stadt gewonnen. Na, und? An der Rivalität wird ein derart starkes sportliches Gefälle ja gerade nichts ändern. „Die Scorpions“, ruft der harte Kern aus der Indians-Fankurve, „sind die Scheiße der Nation!„Nach vier verlorenen Play-off-Partien ausgerechnet gegen den Erzrivalen ist die Saison für die Hannover Indians beendet.

Trotz mancher Frotzelei und Anfeindung gelingt auf den Zuschauertribünen ein mehrheitlich respektvolles Miteinander. Am Freitagabend muss während des 1. Drittels ein Notarzt gerufen werden, weil ein junger Fan gesundheitliche Probleme hat. Auf Seiten der Indians- und Scorpions-Fans dominiert in der Folge eine rücksichtsvolle Ruhe.

Erst in der Schlussphase der Partie werden wieder Mittelfinger gereckt, Bierbecher geworfen und Schmähgesänge angestimmt. „Wer nicht hüpft, der ist ein Bauer“ singen die Indians-Anhänger. Auf der Gegenseite des Stadions schirmen Polizisten jene Tribüne ab, auf der die Fans der Scorpions ein Tor nach dem anderen ihres Teams bejubeln können.

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