Harte Flüchtlingspolitik Sachsens: Zurück in der Stadt der Abschiebung

Unter brutalen Umständen schob Sachsen 2021 die Familie Gaurgashvili/Pareulidze nach Georgien ab. Nun berichteten sie in Meißen über ihr Schicksal.

Blick auf die Stadt Meißen

Blick auf das sächsische Meißen vom Burgberg Foto: Andreas Weihs/imago

DRESDEN taz | Erstmals seit ihrer Abschiebung im Mai 2021 hat ein Teil der georgischen Familie Gaurgashvili/Pareulidze wieder das sächsische Meißen besucht. Fünf Jahre hatten sie hier gelebt, zwei der fünf Kinder wurden hier geboren, dann wurden sie zurück nach Georgien gezwungen. Nun – für einen Besuch zurück in Deutschland – sprachen Mutter Marina und ihre ältesten Töchter Aishat und Maka im Gastraum des Vereins „Haus für Viele(s)“.

Etwa 25 Gäste waren zu der Veranstaltung gekommen, die von Frank Richter moderiert wurde. Der ehemalige Seelsorger, Mediator und Direktor der Landeszentrale für politische Bildung kümmert sich als SPD-Landtagsabgeordneter seit 2019 intensiv um Flüchtlinge in Sachsen.

Unter den drei Frauen mit Kopftuch und in traditioneller muslimischer Kleidung ist Mutter Marina die schweigsamste. Die Familie Gaurgashvili/Pareulidze stammt ursprünglich aus Tschetschenien und musste von dort wegen des Krieges 1994-96 nach Georgien fliehen. Was vor allem die sechzehnjährige Aishat berichtet, ruft in der Runde Unmutsäußerungen hervor. Die damalige Klassenbeste wird in ihrer Erzählung unterstützt von ihrer ein Jahr jüngeren Schwester Maka.

Morgens fünf Uhr sei es auf der Straße und im Flur plötzlich sehr laut geworden, erzählt Aishat. Polizisten schlugen an die Tür, etwa ein Dutzend drang in die Wohnung ein. Alle sollten sich unter Aufsicht der Beamten anziehen und binnen einer halben Stunde ihre Habseligkeiten packen. „Wir wollten andere Sachen packen, als wir sollten, nämlich persönliche Erinnerungen“, kommen Maka wie damals die Tränen. Handys, ein Tablet und vier volle Kindersparbüchsen wurden ihnen weggenommen, teils aus den Händen geschlagen.

„Es trifft oft die Falschen“

Der ohnehin mit gesundheitlichen Problemen kämpfende Vater soll vor Wut auf das Waschbecken geschlagen haben, woraufhin ihm ein herab fallender Spiegel die Hände verletzte. Den Kindern wurde verboten, ihm zu helfen. Die Polizisten unterstellten ihnen die Absicht, damit die Abschiebung zu verhindern. Ein Krankenwagen musste gerufen werden, der Vater wurde erst später, nach zwei Wochen Dresdner Abschiebehaft, in ein Flugzeug nach Tiflis gesetzt.

Von einer „schrecklichen Nacht“ spricht Maka, von Nervenproblemen Aishat. Den ganzen langen Tag hätten ihr die Beine gezittert. Etwa 20 Polizisten hätten sie und zwei weitere Familien zum Abschiebeflug nach Leipzig eskortiert. Erst dort konnten sie zumindest mit einem Handy Helferinnen anrufen und die Schule informieren, so berichten sie. Im Flugzeug saßen neben jeder Person zwei Beamte, erst dort gab es etwas zu essen. Bei der nächtlichen Ankunft in Tiflis verfügten Mutter Marina und die fünf Kinder, der jüngste eineinhalb Jahre, weder über Geld noch über die Möglichkeit, Verwandte in etwa 200 Kilometer Entfernung zu benachrichtigen.

„Es trifft oft die Falschen“, kommentiert der Leipziger Anwalt Ulrich Tronczik, der vor seiner Pensionierung in der Leipziger Stadtverwaltung mit dem Aufenthaltsrecht befasst war. Kriminelle, die eine Abschiebung verdient hätten, erreichten durch Tricks nicht selten eine Verlängerung ihres Aufenthalts, während bei Familien hart durchgegriffen werde, um eine maximal abschreckende Wirkung auf andere Asylbewerber zu erreichen.

Der unbekannte Leitfaden

Frank Richter erinnerte an einen in der sächsischen Kenia-Koalition von CDU, SPD und Grünen vereinbarten Leitfaden für humane Abschiebeverfahren. Aber kaum eine Ausländerbehörde kenne diesen. Im Gegenteil, Asylbewerber ohne Duldungsstatus würden mit Fake-Nachrichten zu einem angeblichen Termin im Gesundheits- oder Landratsamt gelockt, um dort verhaftet und in den Flieger gesetzt zu werden. Anwesende Helfer im Meißener Vereinshaus steuerten solche Beispiele bei.

Zur Abschreckung praktiziere vor allem Sachsen Strafverfahren wegen unerlaubter Einreise, die eigentlich im Widerspruch zur Genfer Flüchtlingskonvention stehen, berichtete Anwalt Tronczik. Er will den Umständen der Abschiebung der georgischen Familie noch einmal nachgehen. Zugleich verwies er auf legale Möglichkeiten, „den Rechtsvollzug im Vorfeld zu verhindern“.

Sehr gut integrierte Jugendliche könnten nach drei Jahren eine Aufenthaltserlaubnis erwerben, qualifizierte ärztliche Bescheinigungen könnten einen Aufschub bewirken, auch die Anrufung der Härtefallkommission lohne sich. In etwa jedem zehnten akuten Abschiebefall habe mit einem guten Anwalt in den fünf oder sechs Stunden bis zum Flugzeugstart auch ein gerichtliches Eilverfahren Erfolg. Frank Richter warnte schließlich vor einer anlaufenden Abschiebewelle über Bulgarien, wo in der Abschiebehaft „schlimmste Verhältnisse“ herrschten.

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