Heimat­­­­­verrichtungsbox Auto: Heimat mit Motor

Während unser Kolumnist an der Ampel warten muss, bemerkt er: Autos sind für einige Heimat. Sie sind Rauchstube, Hobbyraum und Abenteuerland zugleich.

Ein Lexus in der Seitenansicht

Auch in diesem Auto lassen sich hervorragend die Fußnägel schneiden Foto: Courtesy of Lexus/Toyota Motor Sales U.S.A

Wo ist zu Hause, Mama“, singt Johnny Cash im gleichnamigen Lied. Ich mag den Song, mich spricht die suggestive Poesie der Frage an. Noch interessanter wird die Sache dadurch, dass „Wo ist zu Hause, Mama“ die deutsche Fassung von „Five Feet High and Rising“ ist, einem Lied darüber, wie bei Familie Cash 1937 die große Flut ins Farmhaus kommt und das Wasser immer weitersteigt.

Wenn ich die beiden Versionen zusammennehme – die ganz realistische US-amerikanische und die ganz schön geschlagerte deutsche –, dann sehe ich mich an der Fußgängerampel wieder, einer Institution, mit der ich viel Zeit verbringe; und in Zukunft noch mehr, wenn es nach dem Entwurf der Berliner CDU für ein geändertes Mobilitätsgesetz geht. Der Fußgängervorrang solle unter den Vorbehalt der „Anforderungen und Bedürfnissen anderer Verkehrsteilnehmer“ gestellt werden.

Von einem Vorrang als Fußgänger habe ich bisher noch nichts mitbekommen, insofern werde ich ihn auch nicht vermissen. Wie ich überhaupt von jedem Fanatismus in der Verkehrsfrage Abstand nehme, soweit nur ich persönlich betroffen bin. Ich schaue mir ganz gern den Autoverkehr an – eben weil so viele der Menschen, die dort allein in ihren Kisten sitzen, die Frage von Johnny Cash beziehungsweise seinem deutschen Textdichter Joachim Relin beantworten: Zu Hause ist in ihrem Auto. Hier telefonieren sie, hier rauchen sie, hier schneiden sie ihre Nägel, hier ist ihr Hobbyraum und ihr Abenteuerland, hier fahren sie sportlich an und lassen entspannt einen fahren, hier leben sie sich aus, regen sich an, auf und wieder ab.

Warten auf Grün

Und die Flut steigt; die Hühner, singt Cash, sitzen schon in den Bäumen, die Bienenstöcke sind verloren, und den Kühen steht das Wasser bis zum Knie. In den Worten von Cash-Biograf Franz Dobler: „Aus der Frage nach dem Wasserstand wurde die Frage, wo das neue Zuhause ist.“ Oder für unsere Zwecke: Aus der Frage nach unserem Zuhause ist eine nach dem Wasserstand geworden, wissen schon die Leute im Ahrtal, in Slowenien oder in der Poebene.

Und doch ist die Frage, die sich aufdrängt: Wenn für all diese Menschen ihr Auto ein Zuhause ist – was ist dann mit ihrem nicht rollenden Heim? Was dürfen sie da nicht? Ist das Auto das Reich der Freiheit zwischen Wohnung und Arbeitsplatz, beide gleich unerträglich? Und wer will es den Menschen ernsthaft wegnehmen oder seine Benutzung auch nur einschränken, von den Unzulänglichkeiten und Zumutungen des öffentlichen Nahtodverkehrs ganz abgesehen? Wäre die Aufstellung von mobilen Heimatverrichtungs­boxen eine Lösung, in denen man alles tun und lassen dürfte, was in den eigenen vier Autowänden möglich ist, nur, ohne dass die Flut steigt?

Ich glaube schon eine ganze Weile – nicht zuletzt angeregt durch meine Feldforschung an den Fußgängerampeln dieser Republik und kürzlich bestätigt durch eine wissenschaftliche Studie zu den gänzlich fehlenden oder auch rein apokalyptischen Zukunftsbildern eines leider nicht unbedeutenden Bevölkerungsteils –, dass die Antwort in den Schlagerversen liegt: „Bei den hellen Sternen“ – da ist das Zuhause, wohin die Blechkolonne sich vor der steigenden Flut zu retten sucht, auf der Straße der Todessehnsucht, die mir keineswegs fremd ist. Aber eben nur, bis meine Tochter mich anstupst, genervt „Grün!“ stöhnt und wir hastig die Straße überqueren, auf der die Pkw-Insassen schon gierig darauf warten, dass es schnellstmöglich weiter zu Ende geht.

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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