Hel­d:in­nen in unserer Zeit: Vom Guten und Ganzen

Was braucht es, um heutzutage ein:e Hel­d:in zu sein? Ein fiktives Gespräch unter Hamburger Freun­d:in­nen nach dem Tod von Alexei Nawalny.

An einer behelfsmäßigen Gedenkstätte gegenüber der russischen Botschaft in London stehen Blumen, Kerzen, und Karten um ein gerahmtes Foto von Alexej Nawalny.

Spontane posthume Verehrung: improvisierte Gedenkstätte gegenüber der russischen Botschaft in London Foto: dpa/ZUMA Press Wire | Vuk Valcic

„Diese Versessenheit auf Helden verstehe ich nicht“, sagt der Freund liegend im Florapark.

„Nawalny meinste, oder wie?“, fragt die Freundin und wühlt in ihrem Tabakbeutel.

„Der Typ hat früher Rechtsnationalrassistisches rausgehauen und flog deshalb aus seiner liberalen Partei.“

„Hat der sich je davon distanziert?“

„Selbst wenn, weiß man nicht, ob aus Kalkül – und bei Heldenverehrung möchte ich bitteschön keine Abweichungen vom Guten und Ganzen.“

„Bei der Queen sind nach der Todesmeldung auch viele pathetisch unreflektiert ausgeflippt.“

„Es gibt keine menschlichen Helden, Menschsein geht nicht in perfekt.“

„Deshalb gibt’s Comics und Märchen.“

„Erwachsene sind dann hyperenttäuscht, dass es keine Erretter ohne Ambivalenz gibt.“

„Und keine Erretterinnen.“

„Jeanne d’arc?“

„Was mit Jungfrauenkult einhergeht, zählt nicht.“

„Frauen, die keinen Sex haben, um heroisch-heilig zu sein, sind folgewidrige Hirngespinste.“

Superman und Lara Croft wiederum sind voll die Sexpuppen!“

„Aber haben die auch Sex?“

„Brian hatte Sex.“

„Der war aber ja ein Irrtum.“

„Alle Hel­d:in­nen sind Irrtümer.“

„Auf sicher Projektionslitfaßsäulen.“

„Deshalb müssen sie hübsch sein, funktioniert besser.“

„Wie bei den Amazonen.“

„Die hatten sogar Sex, glaub’ ich.“

„Nicht mit Männern, oder?“

„Die durften was mit ’nem Mann haben, wenn sie dafür mindestens einen erlegten, oder?“

„Müssen Helden töten?“

„Sie dürfen.“

„Aber nur für das Gute.“

„In schwammigen Wäldern.“

„Müssen sie wirklich gut aussehen?“

„Nawalny sah gut aus.“

„Die Queen hatte Prunk.“

„So wie der Papst.“

„Ist der Papst ein Held?“

„Zu reich.“

Gandhi?“

„War auch umstritten.“

Che Guevara?“

„Hassen viele. Wissen die meisten nicht alles drüber.“

„War aber auch ’n Hübscher.“

„Ihr meint echt, Heldentum hängt mit Äußerlichkeiten zusammen?“

„Minimum mit Charisma und pulsierend schillerndem Narzissmus.“

„Hollywood besetzt ausnahmslos alle Heldenrollen mit Hotties.“

„Nichts geht über Schein und Zauber.“

„Und die Hoffnung.“

„Die stirbt eben zuletzt.“

„Wenn der Held stirbt?“

„Nee, dann geht es erst richtig los, hat ­Nawalny doch selbst gesagt.“

„Wenn sie ihn töten, sei das ein Zeichen der Stärke der Sache.“

„Welche Sache?“

„Der Kampf für Demokratie in Russland.“

„Bin nicht sicher, ob ich da jetzt ein Lichtchen am Horizont seh’.“

„Putin ist für viele eine Lichtgestalt.“

„Ein unvergänglicher Bewahrer des Bösen.“

„Da hat er ja auch ganz schön bei nachgeholfen.“

„Mit Schärfe und Blut.“

„Ihr meint die Schönheits-OPs?“

„Die auch.“

„Egal was, die Leute stellen ihre Vasen nicht infrage.“

„Populär-Personen sind Vasen?“

„Ich mein wegen der Sockel.“

„Ist immer die Frage, was man in die Vase reintut.“

„Sehnsüchte?“

„Oder eben Orchideen.“

„Wieso jetzt Orchideen?“

„Sind so schön.“

„Das Schöne hilft gegen die Angst.“

„So wie Filme mit Happy End.“

„Wer wird Nawalny spielen?“

„Ryan Gosling!“

„Auf jeden Fall.“

„Und meint ihr, sie thematisieren seine dunkle Seite?“

„Auf keinen Fall.“

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Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr neuer Roman Roman „Auf Wiedersehen“ ist im April 2023 im Weissbooks Verlag erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

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