Hexenverfolgung in Hannover: Erfundene Schuldige

Künstlerische Installation im historischen Beginenturm: Eine Brücke zwischen lokalgeschichtlicher Hexenverfolgung und Verschwörungstheorie.

Auf einem alten Holzschnitt ist zu sehen, wie Männer Frauen auf Scheiterhaufen verbrennen

Hexenverbrennung am Harz: Flugblätter wie dieses über Hinrichtungen in Derenburg, waren beliebt Foto: Zenckel 1555/CC

HANNOVER taz | Ein komisches Gefühl, in dem Raum zu sitzen, in dem vor 400 Jahren Frauen gefoltert wurden, um im Anschluss als angebliche Hexen verbrannt zu werden. Stimmen klingen aus Lautsprechern in verschiedenen Ecken des Raumes. Es wirkt, als säßen die Frauen dort, die aus der Opferperspektive die Geschichten von fünf hier Gequälten und Ermordeten erzählen.

„Es war uns beim Thema Hexenverfolgung wichtig, den Frauen eine Stimme zu geben“, sagt Marcus Peter, der zusammen mit seiner Frau Katharina Peter die Ausstellung „Von H*x*n, Fake-Birds und anderen veRsChWörUnGen“ kuratiert hat. Sie ist ein Projekt des Vereins Theatrum in Kooperation mit dem Historischen Museum Hannover, das die Ausstellung im dazugehörigen Beginenturm noch bis 30. Oktober beherbergt.

Die Ku­ra­to­r*in­nen sind dabei Prozessakten der Hannoverschen Hexenprozesse der Jahre 1604 und 1605 durchgegangen. In der Universität Hannover findet begleitend eine Vortragsreihe unter dem Titel „Fakten, Fakes und Fiktionen: Von der Hexenverfolgung bis heute“ statt.

Das Erdgeschoss des Turms wurde früher als Kerkerraum verwendet. In der Decke kann man noch das sogenannte Angstloch sehen, durch das die De­li­quen­t*in­nen vermutlich in den Raum herabgelassen wurden.

Zu den als Hexen hingerichteten Frauen gehört Ilse Hertsch. Sie wurde am 16. November 1605 verbrannt, nachdem sie in Haft gestorben war. Sie war Kuhhüterin. Als einige Kühe starben, wurde sie beschuldigt, die Tiere vergiftet zu haben und als „Zaubersche“ bezeichnet. Ihr wurde vorgeworfen, „vom Teufel beschlafen“ worden zu sein und Unglück zu bringen, sie wurde geschlagen und gefoltert. Am Ende habe sie selbst geglaubt, dass sie „des Teufels“ sei, sagt die Stimme, die ihre Geschichte erzählt. Das zeigt, wie die Frauen manipuliert und psychisch gebrochen wurden.

Wie eng der Diskurs um die Hexenverfolgung mit den Verschwörungstheorien, die heutzutage im Umlauf sind, verknüpft ist, zeigt ein Video-Essay, zu dessen Ausstrahlung man über eine schmale Wendeltreppe ein Stockwerk höher gelangt. Abwechselnd sind Stimmen von Kulturwissenschaftler*innen, Psy­cho­lo­g*in­nen oder Neurowissenschaftler*innen, aber auch Ausschnitte aus Audiochats von Ver­schwö­rungs­ideo­lo­g*in­nen zu hören. Dazwischen werden Regeln für Verschwörungserzählungen genannt, zum Beispiel „Nichts geschieht aus Zufall“ oder „Alles ist miteinander verbunden.“

Von H*x*n, Fake-Birds und anderen veRsChWörUnGen, Beginenturm, Hannover. Mi, Do, Fr und So, 15–18 Uhr. Ausschließlich als geführte Tour zu besuchen unter: hxn.info. Bis 30. 10. Infos zur Vorlesungsreihe auf www.uni-hannover.de

In dem Video-Essay wird besonders deutlich, dass Verschwörungserzählungen über Emotionen funktionieren: Die Menschen bräuchten Geschichten, um eine Theorie anzunehmen. Auch das Gefühl, im Recht zu sein, sei für Verschwörungsgläubige entscheidend: „Es geht nicht um die Wahrheit, sondern um Selbstbestätigung“, sagt Peter.

Im Video-Essay erklärt Neurowissenschaftlerin Katharina Schmack, dass Verschwörungstheorien wie Drogen wirken, da durch das Erkennen eines vermeintlichen Musters Dopamin ausgeschüttet und ein Glücksgefühl ausgelöst werde.

Ein Beispiel, wie Verschwörungserzählungen funktionieren, bereitet der nächste Raum auf: An die Wand ist ein großes Schild mit der Aufschrift „Birds aren’t real“ gelehnt. Auf dem Boden ist ein QR-Code, der, wenn man ihn mit dem Smartphone gescannt hat, mithilfe von Augmented Reality über die Handykamera auf dem Bildschirm Krähen durch den Raum hüpfen lässt.

Die Installation bezieht sich auf einen satirischen Verschwörungsmythos, den sich der US-Amerikaner Peter McIndoe 2017 als Reaktion auf Pro-Trump-Demos ausgedacht hat, um zu entlarven, wie leicht Menschen solche Mythen glauben. Was er laut Marcus Peter auch gezeigt hat, war, wie viel Geld bei der Verbreitung von Verschwörungstheorien fließt: Durch den Verkauf von Merchandising habe McIndoe rasch ordentlich was eingenommen. Ähnliches sei bei den Online-Shops von Co­ro­nal­eug­ne­r*in­nen der Fall.

Hannover war keine Hochburg der Hexenverfolgung, betont Marcus Peter. Trotzdem seien mindestens 27 Menschen als Hexen hingerichtet, zu Tode gefoltert oder verbrannt worden. Peter betont, dass diese Morde nicht etwa im Mittelalter geschehen seien, sondern in der Neuzeit. Wer die Hexenverfolgungen als vergangenen Teil der Geschichte ansieht, mache es sich also zu einfach: „Dieses Denken und diese Muster sind nicht überwunden“, sagt er.

Und: „Aufklärung reicht nicht“, betont Peter. Da Verschwörungserzählungen über Emotionen wirken, können die Menschen auch nicht mit Fakten erreicht werden. Stattdessen solle man versuchen, die Ängste der Menschen zu verstehen: „Wir müssen das Irrationale als Teil des menschlichen Seins begreifen.“

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