Hilfe für Missbrauchsopfer: Vier weitere verlorene Jahre

Trotz aller öffentlicher Aufregung gibt es kaum Hilfe für Missbrauchsopfer. Eine Gesetzesnovelle lässt Jahre auf sich warten und dem Hilfefonds fehlt Geld.

Traumatisierte erinnern sich oft nur bruchstückhaft – und gelten deshalb als unglaubwürdig. Bild: dpa

BERLIN taz | Es ist eine ungewöhnliche Vorstellungsrunde. „Ich bin Betroffene rituellen Missbrauchs in der Kindheit“, sagt die eine, der andere hat an der Odenwaldschule gelitten, die dritte sagt, ihr Missbrauch habe im Rahmen der evangelischen Kirche stattgefunden, der vierte kommt vom Canisiuskolleg. 15 solcher Biografien versammeln sich im neuen Betroffenenbeirat des Missbrauchsbeauftragten Johannes-Wilhelm Rörig, der am Freitag vorgestellt wurde.

Vielen von ihnen ist eine gewisse Wut anzumerken, die Rörig in Worte fasst: „Seit vier Jahren warten wird auf die Reform des Opferentschädigungsgesetzes (OEG). Und es gibt immer noch keinen Referentenentwurf“. Dass die Lage der Betroffenen von sexuellem Missbrauch sich bisher trotz aller Öffentlichkeit kaum geändert hat, ist ein Grund für den Beirat, nun tätig zu werden. Noch immer werden laut BKA in Deutschland täglich 40 Kinder missbraucht. Die Betroffenen zählen noch sechzig dazu, die Dunkelziffer. Weder die Prävention hat bisher gegriffen, noch die Opferbegleitung.

Der Hilfefonds, der die Zeit bis zu einer Novelle des OEG überbrücken sollte, wurde von den meisten Bundesländern einfach nicht bestückt. Nun wird der nur halb gefüllte Topf 2016 schon wieder zurückgezogen. Aber ein Gesetzentwurf ist immer noch nicht in Sicht. Bis ein neues OEG auch von den Ämtern umgesetzt würde, könne es bis 2020 dauern, so die Auskunft aus dem Arbeitsministerium. „Das ist eine erschreckende Jahreszahl“, so Rörig. Vier weitere verlorene Jahre kommen auf die Betroffenen zu.

Das bisherige Gesetz hat viele Lücken, die die Entschädigung von Missbrauchsopfern fast unmöglich machen. So werden DDR-Opfer und Menschen, denen vor 1976 diese Gewalt zugefügt wurde, nur anerkannt, wenn sie zu 50 Prozent schwerbehindert sind. Es wird nach ZeugInnen verlangt, die die Tat bestätigen können. Gutachter sollen die Glaubwürdigkeit der Opfer überprüfen. Sie sind aber oft mit Traumafolgen nicht vertraut.

So können manche Traumatisierte das Erleben nur noch bruchstückhaft wieder geben und auch den Zeitraum nicht genau benennen. Als glaubwürdig gilt aber gerade detailreiches Erzählen. Die Folge: Nachdem sich die Betroffenen der Gefahr der Retraumatisierung ausgesetzt haben und ein weiteres Mal die Erfahrung machten, dass ihr Erzählen für nicht glaubhaft gehalten wird, erhalten sie oft einen ablehnenden Bescheid.

Das Engagement ist verbraucht

Die 45-jährige Journalistin Kerstin Claus wurde in der evangelischen Kirche missbraucht. Als man ihr nach langen Jahren des Leugnens endlich zuhörte, sollte sie zuerst eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben. Sie hat sich durch das OEG gekämpft, bis ihr eine Entschädigung zuerkannt wurde. Doch die zuständigen Ämter streiten, wer nun genau zahlen soll.

Die Folge: Sie war ein Dreivierteljahr ohne Einkommen und dementsprechend auch ohne Krankenversicherung. Mit der Krankenkasse aber hatte sie gerade darum gestritten, ob die eine Traumatherapie bezahlt, in der eine Methode angewandt wird, die nicht im offiziellen Leistungskatalog enthalten ist – nachweislich aber vielen Traumatisierten geholfen hat.

Warum der Entwurf des OEG so lange auf sich warten lässt, kann im Ministerium niemand so recht sagen. Die Betroffenen haben den Eindruck, dass das Engagement vom Anfang schlicht verbraucht ist. Deshalb fordern einige von ihnen einen neuen „runden Tisch“, mit allen Beteiligten, der den Gesetzentwurf beschleunigen soll. Der Runde Tisch war es nämlich gewesen, der den Reformbedarf schon festgestellt hatte – im Jahr 2011.

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