Hintergründiges Buch zur AfD: Die wirkliche Gefahr

Hendrik Cremer reagiert auf das gewachsene rechte Selbstbewusstsein. Seine Studie liefert trotz mancher Schwächen Argumente für ein Verbot der AfD.

Demonstranten mit Plakaten, die sich gegen den AfD-Politiker Björn Höcke wenden

Die AfD ist rechtsextrem wie nie zuvor: Anti-Höcke-Plakat bei der Demonstration in Berlin am 12. Januar Foto: Stefan Boness/ipon

Der Parteitag der Alternative für Deutschland in Essen im Sommer 2015 gilt als ein früher Wegstein der Radikalisierung der Partei nach rechts. Damals setzte sich Frauke Petry gegen den liberalkonservativen Gründer Bernd Lucke durch, der die AfD in der Folge verließ.

Am Rande des Parteitags ereignete sich auch eine Szene, an die sich Partei-Aussteiger:innen in der sehenswerten WDR-Doku „Wir waren in der AfD“ erinnern: Nachdem der Thüringer Fraktionsvorsitzende Björn Höcke zur Wahl in den Vorstand vorgeschlagen wurde, sei dieser ans Mikrofon getreten und habe mit ruhiger Stimme gesagt: „Noch nicht“. Seine Anhänger klatschten und grölten.

Fast neun Jahre später ist Höckes völkischer „Flügel“ zwar offiziell aufgelöst, aber die Partei so rechtsextrem wie nie zuvor. Unlängst nahmen AfDler an einem Treffen mit Identitären in Potsdam teil, wo sie heiter ihre Pläne für Massendeportationen diskutierten. Dabei waren die Vorschläge kaum neu. Schon 2018 sprach Höcke in einem Buch von der Notwendigkeit eines „großangelegten Remigrationsprojekts“, das eine Politik der „wohltemperierten Grausamkeit“ erfordere.

Im selben Jahr konstatierte der stellvertretende Parteivorsitzende in Sachsen-Anhalt, Hans-Thomas Tillschneider: „Die AfD will das Gleiche wie die Identitäre Bewegung, inhaltlich gibt es keinen Dissens.“ Gewachsen ist allerdings das Selbstbewusstsein, mit dem die Rechte in Deutschland über ihre Vorhaben spricht. Die Gesellschaft spricht ihrerseits deswegen über ein Parteiverbot.

Hendrik Cremer: „Je länger wir schweigen …“ Berlin Verlag, Berlin 2024. 240 Seiten, 22 Euro

Argumente für ein solches Verbot liefert ein neues Buch von Hendrik Cremer, der im Deutschen Institut für Menschenrechte zu Rassismus und Rechtsextremismus forscht. „Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen“ – erschienen im Berlin Verlag – sammelt Beweise aus Wahlprogrammen, Recherchen und öffentlichen Reden, die zeigen, welche völkischen und verfassungsfeindlichen Ziele die Partei heute verfolgt. Und wie es ihr gelingt, diese in der öffentlichen Debatte zu streuen, sei es in Talkshows oder in weichgespülten Sommerinterviews.

demos versus ethnos

In seiner Analyse verweist Cremer auf die völkische Ideologie des AfD-Programms, die der Verfassung zuwiderläuft. Im Grunde richtetet sich die Partei gegen die liberale Idee von Staatsbürgerschaft, nach der jeder und jede durch Einbürgerung potenziell Teil des demos werden kann. Dem entgegen stellt die AfD das Volk als schicksalhafte Kulturnation oder ethnos.

Auch der linke Philosoph Gáspár Tamás sah diese Rebellion gegen die liberale Staatsbürgerschaft als zentrales Merkmal des Faschismus. Tamás prägte Anfang der 2000er Jahre in einem Essay den Begriff „Postfaschismus“ für die heutigen Neurechten, die zwar vom selben völkischen Ressentiment getrieben sind, sich dabei aber höchstens lose auf ihre Vorgänger aus den 1930ern beziehen.

Cremer unterscheidet dagegen nicht tiefgreifender zwischen den Nazis von damals und den heutigen Postfaschisten. Wenn er Björn Höcke vorwirft, einen „neuen Nationalsozialismus“ und eine „Gewaltherrschaft“ anzustreben, übersieht er, dass die gesellschaftlichen Bedingungen heute andere sind. Eben darum bemerkte Tamás, der Postfaschismus müsse als eigenes, neues Phänomen begriffen werden.

Anders als in den 1930er Jahren gibt es heute keine bewegten Massen, keine Straßenschlachten zwischen bewaffneten Kampfverbänden, und wohl am wichtigsten: keine echte sozialistische oder kommunistische Alternative, die das Bürgertum einst in die Hände der Nazis trieb.

Wohlüberlegte Ausrutscher

Auch der Postfaschismus einer Giorgia Meloni in Italien ist nicht einfach eine Neuauflage des Mussolini-Faschismus, denn sie bricht nicht radikal mit dem bestehenden System. In ihrer Hybridität birgt ihre Regierung jedoch eine ganz eigene Bedrohung. Analogien zu 1933 und dergleichen eignen sich vielleicht für Demoplakate. Doch können sie auch den Blick auf die wirkliche Gefahr verstellen: dass Rechte, sollten sie an die Macht kommen, nicht Revolution machen, sondern sich länger in der bestehenden Ordnung bewegen, um diese langsam von innen auszuhöhlen.

Der Autor geht in kurzen Abschnitten auch auf die Russlandnähe der AfD ein oder auf ihre Kontakte ins neurechte intellektuelle Spektrum, etwa zum Institut für Staatspolitik um Götz Kubitschek. Diese kurzen Streifzüge sind jedoch inhaltlich nicht sehr ergiebig. Wer eine politische Tiefenanalyse der Partei erwartet, wird von dem Buch also eher enttäuscht sein. Stattdessen dient es als Kompendium der Menschenverachtung und als Aufruf, die AfD in ihren antiliberalen Bestrebungen ernst zu nehmen.

Aufmerksamen Be­ob­ach­te­r:in­nen dürften einige der angeführten Belege – völkische Parolen und wohlüberlegte „Ausrutscher“ – bekannt sein. Wer sich aber auf gut 200 Seiten noch mal auf Stand bringen möchte, welche Ziele die AfD heute verfolgt, ist mit dem Buch bestens bedient.

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