Humboldt-Vorlesung zu rechter Justiz: „Nicht auf dem rechten Auge blind“

Misst die Justiz bei Rechten und Linken mit zweierlei Maß? Mit einer Ringvorlesung wolle man dieser Frage nachgehen, sagt Schirmherr Martin Heger.

Gerichtszeichnung des Prozesses gegen Adolf Hitler nach dem Putsch

Prozess gegen Adolf Hitler nach dem Putsch am 9. November 1923 Foto: SZ Photo

taz: Herr Heger, Sie sind seit diesem Wintersemester Schirmherr einer Ringvorlesung über Rechtsextremismus, Recht und Justiz an der Humboldt-Universität, die vom Verein Gesicht Zeigen organisiert wird, in Kooperation mit dem Arbeitskreis Kritischer Ju­ris­t*in­nen und der Projektgruppe Rechtsextremismus und Recht der HU. Wie kam es dazu?

Martin Heger: Die Idee ist, dass man im Berliner Raum diese Themen am Kochen hält. Aus meiner Sicht als Rechtshistoriker finde ich es interessant, dass wir genau vor 100 Jahren diese Debatte schon hatten. Zur Weimarer Zeit war die Justiz auf dem rechten Auge blind. Man hat die Rechtsextremisten kaum verfolgt, Hitler kam lediglich in Festungshaft. Auf der anderen Seite hat man gegen die Linken, die in weit weniger massiver Weise aufgetreten sind, zum Teil sehr scharfe Urteile gefällt. Das ist immer einer Reflexion würdig: Ist das Recht, ist die Justiz, ist die Rechtswissenschaft blind für irgendetwas? Diese Frage müssen wir uns immer wieder stellen. Es war sicherlich so, dass die Justiz nicht immer eine ganz rühmliche Rolle bei der Bekämpfung von Angriffen von rechts gespielt hat.

Wovon handelt die Vorlesung genau? Was wird gelehrt, wer referiert, welche Rolle spielen die Student*innen?

Wir haben uns an einer ähnlichen Vorlesung orientiert, die in Frankfurt veranstaltet wurde. (Die Vorlesung in Frankfurt/Oder wurde ebenfalls vom Verein Gesicht Zeigen! organisiert, in dem Fall in Kooperation mit den Kritischen Ju­ris­t*in­nen der Europa-Universität Viadrina, Anm. der Red.) Dabei sind natürlich Leute, die man kennt. Von Kollegen wie Christoph Möllers oder auch Doris Liebscher von der Antidiskriminierungsstelle, bis hin zu Leuten wie Mehmet Daimagüler, der als Anwalt der Nebenklage im NSU-Prozess ja sehr Bedeutsames geleistet hat. In der großen Mehrheit, würde ich sagen, sind es Juristinnen und Juristen.

Martin Heger

ist gegenwärtig Schirmherr einer Ringvorlesung über „Rechtsextremismus, Recht und Justiz“. Der Jurist will eine Debatte in Deutschland darüber anstoßen, wie blind die Institutionen bisher für Rechtsextremismus waren.

Wie gut ist die Vorlesung besucht? Steht sie auch Nicht­stu­den­t*in­nen offen?

An den beiden ersten Terminen waren 130 bzw. 70 Personen anwesend. Der größte Teil dürften Jurastudierende sein, doch ist die Ringvorlesung auch für andere Mitglieder und Studierende der HU, aber auch für die Öffentlichkeit uneingeschränkt offen.

Ist die Justiz in Berlin denn heute noch auf dem rechten Auge blind?

Die Gefahr besteht natürlich. Aber bisher scheinen mir das doch meistens Einzelfälle zu sein. Es gibt sicherlich viele Fälle, das kann ich nicht ausschließen. Sowohl die Justiz als auch der Beamtenapparat stehen aber auf dem Boden unserer Rechtsordnung. Selbst wenn einzelne vielleicht am Ende eine Partei wählen, die problematisch ist, heißt das nicht notwendigerweise, dass sie in ihrem Beruf auch rechtsextrem handeln. Also nein, die Justiz ist nicht strukturell auf dem rechten Auge blind.

Aber sind nicht viele einzelne Rechtsextremisten auch eine Bedrohung für die Justiz?

Ich glaube nicht, dass wir in der Justiz ein massives Rechtsextremismus-Problem haben. Wir haben einzelne Rechtsextreme, das haben wir gesehen mit der Richterin Frau Malsack-Winkemann, die ja Justizministerin der Reichsbürger hätte werden sollen.

Eine Berliner Richterin und frühere AfD-Bundestagsabgeordnete, die vor einem Jahr bei einer Razzia gegen „Reichsbürger“ festgenommen wurde. Berlins damalige Justizsenatorin hatte zuvor vergeblich versucht, sie aus ihrem Dienst zu entfernen.

Wir sehen leider, dass es eine nicht unerhebliche Zahl von Staatsanwältinnen und Staatsanwälten, Richterinnen und Richtern, Anwältinnen und Anwälten gibt, die ähnliche Gesinnungen zeigen. Die meisten Anwälte und Anwältinnen sind erst einmal am Recht interessiert. Aber man kann nicht ausschließen, dass jemand aus der Mitte der Gesellschaft mitten im Berufsleben, und dafür gibt es Beispiele, den Weg nach rechts findet. Das heißt, wir müssen damit leben, dass es in der Justiz mindestens eine Gruppe gibt, die nach rechts außen offen ist. Es wird aber die Frage sein, wie weit diese Gruppe eine Agenda verfolgen kann. Denn sie werden auch eingehegt von einer Justiz, die insgesamt nicht rechtsextrem ist, sondern die klar auf dem Boden der Demokratie steht.

Können Ju­ris­t*in­nen ihre persönliche Überzeugung und ihre Arbeit wirklich so klar trennen? Wirkt sich eine rechtsextreme Gesinnung nicht auch immer in der Arbeit aus?

Da bin ich nicht sicher. Wir lernen natürlich eine gewisse Professionalität. Wenn wir jetzt Frau Malsack-Winkemann zum Beispiel nehmen, scheint es ja so, dass sie davor als Juristin nicht auffällig war. Ich glaube schon, dass man lernt, als Jurist Fälle losgelöst von der eigenen Meinung zu entscheiden. Man orientiert sich an der Rechtsprechung, sonst verliert man seinen Job. Wenn man irgendwo rechtsextreme Gesinnung in einem Urteil offenbart hat, wird man im besten Fall nicht mehr befördert.

Warum ist es so schwer für die Justiz, Rechtsextreme in den eigenen Reihen zu verfolgen?

Richterinnen und Richter sind in ganz besonderem Maße unabhängig, und sie müssen das auch sein. Das bedeutet aber auch, dass ein Rausschmiss nur in einem sehr engen Rahmen möglich ist. Richterinnen und Richtern kommt in vielen Fällen eine gewisse Narrenfreiheit zu. Aber deswegen gibt es immer eine höhere Instanz in der Justiz, an höchster Stelle das Bundesverfassungsgericht. Dadurch können problematische Urteile korrigiert werden, sodass es zwar einen Richter mit schwieriger Gesinnung gibt, das Gesamtergebnis aber am Ende gut ist. Es würde auch dem Rechtsstaat schaden, wenn wir einfach alle Richterinnen und Richter, denen eine rechte Gesinnung vorgeworfen wird, entfernen. Das wäre eine Macht, die sich ja auch missbrauchen ließe. Es bedarf immer guter Gründe,

Im Zuge der rechtsextremen Anschlagserie in Neukölln wurde zwei Staatsanwälten eine rechte Gesinnung vorgeworfen. Gab es dafür gute Gründe?

Die Generalstaatsanwältin zog damals bestimmte Staatsanwälte ab, denen unterstellt wurde, sie hätten sich mit dem rechten Umfeld der Angeklagten gemein gemacht. Damals war ich Sachverständiger, und ich hielt das für richtig, allein damit nicht der Eindruck entstehen könnte, dass die Justiz voreingenommen wäre. Es ist aber auch denkbar, dass die Rechtsextremen einen konservativen Staatsanwalt durch solche Anschuldigungen in Verruf bringen wollten. Auch diese Gefahr besteht natürlich.

Welche Mittel würden der Justiz helfen, um härter gegen Rechtsextremismus durchgreifen zu können?

Ich denke, unser System ist nicht so schlecht. Der Anspruch von Staats­an­wäl­ten an sich selbst ist, immer objektiv zu sein. Sie können natürlich nie zu 100 Prozent objektiv sein, sie sind ja auch nur Menschen. Ich habe aber das Gefühl, dass sich die politische Ebene in Deutschland, auch wenn sie stärker auf der Staatsanwaltsebene intervenieren kann als in anderen Ländern, doch hinreichend zurückhält. Damit bleibt die Justiz verhältnismäßig unabhängig, und das ist erst einmal gut so.

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