INKLUSION erst 2013: Wenn der Minister bremst

Schwarz-Gelb verschiebt Einführung des gemeinsamen Unterrichts für behinderte und nicht-behinderte Kinder in Niedersachsen.

Während Niedersachsen sich ziert, ist der gemeinsame Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Kindern andernorts längst gängige Praxis. Bild: dpa

HANNOVER taz | Der Beginn des gemeinsamen Unterrichts für behinderte und nicht-behinderte Kinder an Niedersachsens Regelschulen rückt in die Ferne: Eigentlich hatten die schwarz-gelben Regierungsfraktionen ein Gesetz zur inklusiven Schule für diesen Monat angekündigt - nun verschoben sie es auf November. Auch der für Sommer 2012 geplante Start der Inklusion an Grundschulen verzögert sich womöglich.

Von "ernsthaften Überlegungen, den Termin nicht zu überstürzen", sprach Kultusminister Bernd Althusmann (CDU) am Mittwoch bei einer Tagung des Schulleiterverbandes in Celle. Weil er bei einem Start im Sommer 2012 organisatorische Probleme bei den Schulanmeldungen im Februar erwartet, sehe er den "realistischen Beginn" erst 2013, sagte Althusmann.

Womit er nicht nur vor Ort beim Schulleiter-Verband für großes Unverständnis sorgte: Auch der Landesbehindertenbeauftragte Karl Finke, die Lehrergewerkschaft GEW, SPD, Grüne und Linke kritisieren den Aufschub. Sie alle pochen auf die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, die unter anderem inklusiven Unterricht vorsieht. Deutschland hat sie 2009 unterzeichnet, Niedersachsen ist nach wie vor bundesweites Schlusslicht: Weniger als acht Prozent der Kinder mit Förderbedarf besuchen dort laut aktuellen Studien Regelschulen - bundesweit sind es über 23 Prozent.

Niedersachsens Nachbar Bremen hat den gemeinsamen Unterricht für behinderte und nicht-behinderte Kinder 2009 als erstes Bundesland im Schulgesetz verankert.

Wählen zwischen allgemeiner und Sonderschule können Eltern Lern-, sprach- und verhaltensbedingt behinderter Kinder während eines Übergangszeitraums.

60 Prozent wählten beim Start im Sommer 2010 die Regelschule, der Rest die Sonderschule.

Im Juni erst hatte Ministerpräsident David McAllister (CDU) die UN-Konvention zum "besonderen Anliegen" ausgerufen und eine entsprechende Schulgesetz-Novelle angekündigt. Nach dem Althusmannschen Zeitplan wird sie nicht mehr vor der Landtagswahl im Frühjahr 2013 umgesetzt. "Wahltaktische Gründe", vermutet daher die Opposition.

Die bisherigen Pläne von Schwarz-Gelb sehen vor allem die Wahlfreiheit von Eltern behinderter Kinder zwischen Regel und Sonderschule vor. Auch die Schulen selbst sollen wählen dürfen, ob sie inklusiven Unterricht einführen: So genannte Förderschulen sollen erhalten bleiben.

Mit Inklusion im Sinne der UN-Konvention habe das wenig zu tun, kritisiert der Landesbehindertenbeauftragte Finke: "Ein Wahlrecht oder der Fortbestand von Förderschulen sind nicht vorgesehen." Für GEW-Sprecher Richard Lauenstein ist das schwarz-gelbe Konzept ein Festhalten an einem "Schulsystem, das weiter nach vermeintlicher Begabung sortiert".

Der FDP-Bildungspolitiker Björn Försterling hingegen spricht von einer "anderen Interpretation" der UN-Konvention: Die sehe das Recht auf Unterricht an allgemeinbildenden Schulen vor. "Das heißt aber nicht", sagt er, "dass man das Recht auf Förderschulen nehmen darf." Auch Kultusminister Althusmann unterstreicht, jedem Kind die "individuell bestmögliche Förderung" zukommen lassen zu wollen, ob an allgemeinen oder Förderschulen. Alles andere seien bloß "ideologische Debatten".

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