Inflation im Späti: Ohne Zucker geht's nicht

Der Zuckerpreis ist zuletzt stark gestiegen. Ernährungsfreaks wird das freuen. Für unsere Autorin aber sind Süßigkeiten überlebenswichtig.

Saure Fruchtgummis.

Eine Tüte Gezuckertes, wie die Umarmung einer guten Freundin, nur von innen Foto: imago

Wenn sich der Tag wie aus der Tonne gezogen anfühlt, gibt es immer noch die gemischte Tüte. Zwischen Schaumbananen, zuckrigen Zungen und Apfelringen lässt sich kurz vergessen, dass der Müllbeutel im Hausflur gerissen ist und das Finanzamt angerufen hat. Dass der Fahrradreifen, der einem als unkaputtbar angedreht wurde, jetzt doch platt ist.

Zuletzt schüttet man sich den am Tütenboden klebenden Zucker in den Mund. Wenn es so richtig zwischen den Zähnen knarzt und sich der Gaumen von der Säure wund anfühlt, ist der Tag nur noch halb so tonnig.

Bis neulich der Spätiverkäufer meines Vertrauens 20 Cent pro Süßigkeit verlangte. Ich starrte ihn entgeistert an. Seitdem ich denken kann, kostet eine Regenbogenschlange 10 Cent. Darauf war Verlass wie auf den Durst nach einer Pizza Napoli. „Alles kostet mehr“, sagte er nur resigniert. Jetzt kann ich also nicht mal mehr Süßigkeitentüten kuratieren, ohne dass mir große Begriffe wie Inflation und Weltmarkt in den Kopf schießen.

Mit so etwas muss man sich aber beschäftigen, wenn man nach dem Grund für die 20 Cent pro Gummitier sucht. Um 72,3 Prozent ist der Zuckerpreis in Deutschland im Juli im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Kein anderes Lebensmittel hat sich so stark verteuert, zeigen die neuen Zahlen des Statistischen Bundesamts. Dosengemüse +23,9 Prozent, Pizza +26 Prozent, Toastbrot +23,1 Prozent. Aber wer will schon Toastbrot, wenn man sich so lebendig fühlen kann wie beim Zerkauen eines Maoam-Krachers?

Ernährungsfreaks wird diese Nachricht freuen. Weil Zucker ja so wahnsinnig ungesund ist, krank macht, abhängig und dick. Ich weiß. Aber mal angenommen, man wurde gerade verlassen, eine Freundin kommt vorbei und bringt eine Tüte Spinat mit – für die Seele. Das funktioniert einfach nicht. Manchmal braucht es eine Tüte Gezuckertes, wie die Umarmung einer guten Freundin, nur von innen.

EU-Regulierung

Deshalb sollte Zucker nicht zum Luxusgut werden. Reiche würden sich eh nur Schlechtes mit dem Zeug einfallen lassen. Karamellisierten Kaviar oder gezuckerte Pommes als Statussymbol.

Die EU ist an den extremen Zuckerpreisen Mitschuld. Zuckerhersteller aus dem Nicht-EU-Ausland müssen hohe Zölle zahlen, das schreckt ab. Gleichzeitig lässt sich aus Zuckerrohr auch Ethanol herstellen, das Agrokraftstoffen beigemischt wird. Die Preise für dieses Produkt steigen, was wiederum verlockend ist. Also stellen große Zuckerrohrproduzenten wie Brasilien lieber weniger Zucker und mehr Ethanol her. So wird der Zucker hier knapper und ist mittlerweile doppelt so teuer wie auf dem Weltmarkt.

Die letzte saure Schlange

Für die Verknappung haben auch die Dürren in Frankreich und Deutschland im vergangenen Jahr gesorgt, den größten Zuckerproduzenten innerhalb der EU. Weil es kaum regnete, blieben die Rüben mickrig und die Ernten gering, während die Produktionskosten gestiegen sind.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Bis 2017 gab es in Deutschland und der EU die Zuckermarktverordnung. Sie legte Mindestpreise und Produktionsquoten fest und schützte so die Zuckerbauern vor Dumpingpreisen. Vielleicht brauchen wir eine solche Regel jetzt wieder, nur in umgekehrt, einen Zuckerpreisdeckel.

Es ist beinahe überfordernd, wie viel Handels-, Klima- und Finanzpolitik in einem Zuckerwürfel steckt. Weil Zucker für mich bisher vor allem eins war: Liebe. Oder haben Sie noch nie jemandem gezeigt, wie viel er Ihnen bedeutet, indem Sie ihm die letzte saure Schlange überlassen haben?

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Ist Redakteurin im Zukunftsteil der wochentaz. Sie hat die Deutsche Journalistenschule in München besucht und Politikwissenschaften in Berlin und Lissabon mit Schwerpunkt auf Menschenrechten studiert.

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