Inklusives Theater: Zirkus der Luftgeister

Das Theater RambaZamba bespielt seinen „Aerocircus“ im Haus der Berliner Festspiele. Dabei denkt es über das Verschwinden des Menschen nach.

Eine Szene aus dem Stück

Tanz unter den Ballons von Tomás Saraceno Foto: Phillip Zwanzig

Wenn auf der Theaterkarte „Freie Platzwahl“ steht und das Haus ein traditioneller Guckkasten-Bau ist, dann wird die Sitzplatzsicherung für jeden zur Herausforderung. Denn das traditionelle Recht des Besserzahlenden auf gute Sicht ist aufgehoben. Taylor Mac ließ das Publikum vor ein paar Jahren für seine 24-Stunden-Show im Haus der Berliner Festspiele gestaffelt zahlen, um dann während der Show den Zuschauersaal revolutionär umzuschichten.

Das RambaZamba Theater setzt an der Schaperstraße auf freie Platzwahl – wie zu Hause in der Kulturbrauerei. Und führt sein Publikum direkt auf die dunkle und komplett leere Bühne. Nur ein Lichtkegel schwebt über den erwartungsfroh rumstehenden Menschen. Der Tanz der Staubpartikel wird sichtbar. Angela Winklers Stimme gräbt sich ihren Weg durch das Stimmengewirr. Sie erzählt von diesem Theater in der Zukunft. Autor Thomas Köck entwirft in seinem neuen Stück „Aerocircus“ das dystopische Bild von der ausgestorbenen Menschheit und bricht es herunter auf dieses Theater, dem die Menschen abhanden gekommen sind.

Köck bevölkert diesen Raum mit Luftgeistern. Der Raumkünstler Tomás Saraceno mit vier durchsichtigen kinderzimmergroßen Ballons. Voller Poesie ist die Anfangssequenz, in der die Erzählerstimme das erste dieser Wesen, eine Pantomimin, bei ihrer Erkundung durchs Theater begleitet. So öffnet sich die Tür im Eisernen Vorhang und ein zartes Wesen aus dem RambaZamba-Ensemble tritt in den Taschenlampenspot (Licht: Henning Streck). Es entblättert sich aus seiner Soldatenkluft und spricht mit Gesten in den im Stück leeren Raum. Als die Gewöhnung daran, „als Zuschauerin auf der Bühne zu sein“, und an die Dunkelheit dort vollzogen ist, öffnet sich mit einem lauten Rums der Eiserne Vorhang. Es ist ein langer magischer Augenblick, in dem sich der Blick auf die beleuchteten Zuschauerreihen und ein Miniorchester auf dem Rang öffnet, bevor das Gerenne auf die Sitzplätze losgeht.

„Aerocircus“: Haus der Berliner Festspiele. Wieder am 9. und 10. Dezember, 19:30 Uhr

Regisseur Jacob Höhne geht ab jetzt über zum Ping-Pong-Spiel zwischen der großen Bühne und dem Rang: Auf der Bühne wird philosophiert und debattiert, auf dem Rang wird genau das kommentiert und persifliert. Auf dem Rang geht es definitiv lustiger zu als unten. Da wird das Aussterben der Menschheit als Reenactment in drei Akten aufgeführt mit RambaZamba-Personal, vier Musikern, drei PuppenspielerInnen von der Ernst-Busch-Schauspielschule und ziemlich genialen Klappmaul-Puppen.

Zum allerletzten Röcheln bei der Kopulation gibt es eine Schnulze im Grönemeyer-Stil, das letzte Experteninterview wird stilsicher vom „Lied vom Ende“ im Rio-Reiser-Sound begleitet. Und wenn die vier Klappmaulpuppen sich ans Kommentieren machen, dann kehrt Muppet-Show-Flair ein auf dem Rang, als wären Waldorf und Statler in ihrer Loge wieder auferstanden.

Das Orakel erdet alles

Auf der Bühne treten auf: ein lebensgroßer, von zwei RambaZambas bewegter Elefant, ein lustiges Zebra, das immer wieder auf einen Kleiderständer gehängt wird, ein Zirkuswagen, der fatal nach Mutter Courage-Wagen aussieht, Seilakrobatinnen, debattierwütige RambaZambas und die fast achtzigjährige Ilse Ritter als Orakel. Ritter hält „den Laden“ auf der Bühne zusammen. Sie erdet als Mitspielerin die Atmosphäre auf der Bühne und verkörpert als Orakel die Essenz von Köcks Stück.

Auch sie ist Teil vom Zirkus der Luftgeister, der nur durch das Aussterben der Menschheit die Chance bekommen hat, die Erde zu bevölkern. Zirkus steht aber im Bühnendiskurs auch als Metapher für das Leben an sich. Das ist die Klammer zwischen der dystopischen menschenleeren Zukunft und dem Heute. Die These vom Zirkus ohne Auftrag kann als These vom Leben ohne Bestimmung gelesen werden. Die ist bei Köck auf jeden Fall positiv besetzt. Denn, so führt er in seinen pamphletartig klingenden Textteilen vor, würde sich die Menschheit mit der Existenz an sich begnügen, dann wäre die Welt viel besser dran.

Bewegend sind vor allem die Szenen, in denen das Bühnenpersonal gemeinsam über das eigene Verschwinden nachdenkt. Und dann wird eine Revolution gegen das bestimmende Orakel angedacht auf der Bühne. Das überlebt Ilse Ritters Orakel nicht. Alleine bleibt sie auf der Bühne zurück, während die Luftgeister weiterziehen. Dann regnet es Lametta vom Schnürboden. Die RambaZambas genießen den Applaus, feiern sich auf der großen Bühne und gehen einfach nicht ab. Geniale Umsetzung der These vom Zirkus ohne Auftrag.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.