Intendant über neu eröffnetes Haus: „Theater ist ein Knotenpunkt“

Neueröffnung in Hamburg: Intendant Torsten Diehl will sein Theater Altes Heizkraftwerk zum Ort der Begegnung und der lokalen Verankerung machen.

Baron von Innstetten und Effi Briest - Filmszene

Zur Theatereröffnung in Hamburg auf der Bühne: „Effi Briest“, hier in einer Filmszene von 2000 Foto: Constantin Film/dpa

taz: Herr Diehl, „Effi Briest“ zur Theater-Eröffnung – ist das nicht ein bisschen altbacken?

Torsten Diehl: Es ist eine brandneue Fassung von Moritz Franz Beichl. Wir haben uns bewusst für einen jungen, zeitgenössischen Autor entschieden. Er stellt „Effi Briest“ quasi auf den Kopf, ohne die Geschichte wegzuschreiben, aber unter dem Aspekt einer heutigen Lesbarkeit.

Was meinen Sie damit?

Das Rollenverständnis heute ist ein völlig anderes als zu Fontanes Zeiten. Wir leben in einer Zeit, wo die Frage der Geschlechter und Geschlechterrollen neu definiert wird. Beichl sagt selbst: Es ist eine queere Komödie. Es geht um das Verhalten der Menschen und nicht um die Geschlechterrollen.

Was bleibt dann noch von Fontane?

Beichl spielt mit dem kollektiven Wissen um das Buch. Eine junge Frau mit wenig Erfahrung vertraut auf den Rat der Eltern und heiratet einen sehr viel älteren Mann. Diese Konstruktion Fontanes trägt nach wie vor bei Beichl. Aber heute bewerten wir nicht mehr so moralisch wie zu Fontanes Zeiten. Die Frage, ob eine Affäre einen Rosenkrieg auslösen muss, stellen wir uns noch deutlicher als vor 100 Jahren. Und dann kommt in Beichls Stück aber noch ein neues Gewürz hinzu, nämlich dass Crampas, also dieser Mann, der Effi verführt, einfach ein Verführer an sich ist und auch Interesse an Innstetten hat. Deswegen haben wir gesagt: Es ist nicht Fontane, wir bedienen uns zwar der Motive, aber jetzt führen wir das weiter: Mit welchen Moralmaßstäben gehen wir eigentlich zu Werke, wenn Innstetten sich auch noch in Crampas verliebt? Das passt in unsere Zeit, wo wir ja doch gerade versuchen, alle Werte noch mal auf den Prüfstand zu stellen.

Torsten Diehl

ist Intendant des Theaters Altes Heizkraftwerk. Er inszenierte jahrelang am Monsun-Theater, war Regisseur im Schauspielhaus und zuletzt sechs Jahre lang Theaterleiter der Marzipanfabrik.

Viele Theater haben die Coronakrise nicht überlebt. Wieso eröffnen Sie gerade jetzt ein neues Theater?

Nach diesen letzten Jahren, die uns alle gebeutelt haben, ist es da eine gute Idee, kein Theater aufzumachen? Ich glaube, man muss entschieden, mit hoher Stirn dagegen angehen und sagen: „Nee, gerade jetzt brauchen wir Theater!“ Wir brauchen mehr denn je gesellschaftlichen Diskurs, kulturelle Orte in dieser Stadt, Orte der Begegnung.

Krieg und Inflation machen den Menschen zu schaffen. Lohnt sich der Theaterbetrieb noch?

Ich glaube, dass sich Theater wirtschaftlich nie lohnt, aber inhaltlich sehr. Das Leben hat sich aus den Städten, aus der Begegnung zurückgezogen. Es verlagert sich so viel in soziale Medien, die sind voll von Auseinandersetzungen und keiner weiß so richtig, wer dahintersteht. Theater ist ein kultureller Knotenpunkt, wo wir einander wirklich begegnen können. Und diese Orte braucht es in der Stadt, dauerhaft.

Kultureller Knotenpunkt: Was verstehen Sie darunter?

„Effi, Ach Effi Briest“: Fr, 14. 7., 20 Uhr, Hamburg, Theater Altes Heizkraftwerk, Isebekstr. 34/Gebäude M;

nächste Vorstellungen: Sa, 15. 7, weitere Termine im September und Oktober

Man hat sich fatalerweise schon fast an Dinge wie Krieg in Europa oder die Auswirkungen des Klimawandels gewöhnt. Aber das sind Dinge, die uns unglaublich erhitzen, für die wir gar keine Lösung oder Antworten haben. Das Theater hat ganz an dem auch keine Antworten. Aber es ist ein Ort, wo diese Fragen verhandelt werden und an dem ein Diskurs stattfindet.

Wieso haben Sie sich gerade diesen Ort gesucht?

Das gesamte Ensemble hier, dieses riesige Areal der Deutschen Post, hat einen futuristischen Charme der 60er-Jahre. Es wirkt so aus der Zeit gefallen, wenn man auf das Gelände kommt, denkt man erst mal: Boah, ist das hässlich, aber es ist auch irgendwie wahnsinnig cool! Es ist ein ungewöhnlicher Ort, der auch für freies Theater steht, für freie Produktion. Wir wollen mit hohem Engagement in die Kunst, aber zeitgleich das Lokale hier mitnehmen. Die Bür­ge­r:in­nen hier vor Ort in Altona-Nord, aber auch im gesamten Hamburger Westen sind herzlich eingeladen, nicht nur das Theater zu besuchen, sondern auch Projektvorschläge einzureichen, und wir überlegen dann gemeinsam, wie das umsetzbar wäre.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.