Interview mit Senator Mario Czaja: "Man sollte die Dinge irdisch angehen"

Der Sozialsenator Mario Czaja (CDU) über sein Engagement für die taz und die Herausforderungen von Wahlkampf in Mahlsdorf-Kaulsdorf.

Bekennender Katholik: Neu-Senator Mario Czaja. Bild: dapd

taz: Herr Czaja, wir sind quasi Kollegen – Sie haben ja mal für die taz geschrieben. Erinnern Sie sich noch?

Mario Czaja: Natürlich erinnere ich mich. Das war am 9. November 2004, als die Ost-taz von Ostdeutschen produziert wurde. Ich habe einen Artikel geschrieben über die Wahrnehmung von Ost und West durch Touristen am Checkpoint Charlie.

Der war gar nicht so schlecht.

36, ist Senator für Gesundheit und Soziales. Aufgewachsen in Mahlsdorf, engagierte er sich seit seinem 18. Lebensjahr in der Kommunalpolitik. Mit 24 Jahren wurde er erstmals direkt ins Abgeordnetenhaus gewählt. Parallel engagierte er sich auf Landesebene in der Gesundheitspolitik und war seit 2001 gesundheitspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Czaja ist liiert, lebt noch immer in Mahlsdorf und geht gern auch in Montur zum 1. FC Union.

Oh, danke.

Aber Journalist wollten Sie ja nie werden. Stattdessen haben Sie Ihren Vertriebsjob an den Nagel gehängt und den Senatorenposten für Gesundheit und Soziales von zwei linken Senatorinnen übernommen. Härter kann ein politischer Wechsel kaum sein. Wie kommen Ihre Mitarbeiter inzwischen damit zurecht?

Beide Abteilungen sitzen ja seit eh und je hier im Haus. Fachlich und historisch betrachtet ist „Gesundheit und Soziales“ ein lange zusammengewachsener Bereich. Die beiden Abteilungsleiter haben vor vielen Jahren zusammen angefangen und stehen jetzt beide vor dem verdienten Ruhestand. So ist es nun mal im realen Leben: Die Verwaltung überdauert meist die politischen Veränderungen.

Wollen Sie damit sagen, es ist eigentlich egal, wer den Bereich Gesundheit und Soziales führt?

Was ich gerade beschrieben habe, ist die organisatorische Ebene. Aber dann gibt es natürlich die inhaltliche – und da habe ich bereits erste Veränderungen eingeleitet.

Bevor Sie Senator wurden, haben Sie in Ihrem Kiez Äpfel an Schichtarbeiter verteilt und mit Abwasserproblemen Wahlkampf gemacht.

Sozialpolitik Vor zwei Wochen hat Czaja - schneller als erwartet - eine Rechtsverordnung zu der vom Bundessozialgericht gekippten Regelung zu den Mietzuschüssen für Hartz-IV-Empfänger vorgelegt. "Zeitnah" will er nun ein zentrales Pflege-Beschwerdemanagement einführen. Außerdem soll unter seiner Leitung eine "gerechtere Form der Unterbringung für Flüchtlinge" auf den Weg gebracht und das Image des Pflegeberufs durch eine Kampagne aufpoliert werden. Die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets will er nachbessern

Gesundheitspolitik Czaja träumt von Berlin als "gläserner Manufaktur der Gesundheitswirtschaft" und will vor allem die großen Krankenhausbetriebe durch zusätzliche Investitionen stärken. Um das Thema Fachärztemangel will er sich genauso kümmern wie darum, dass die Einschulungsuntersuchungen wieder überall rechtzeitig stattfinden und auch den Bereich seelische Gesundheit berücksichtigen. (mah)

Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Wir Landtagsabgeordneten machen in unseren Kiezen kommunalen Wahlkampf mit kleinteiligen Themen. Da kann es fast dörflich zugehen: Bei uns in Mahlsdorf-Kaulsdorf sagt man, wir fahren in die Stadt, wenn wir nach Mitte wollen. Ich habe zwölf Jahre lang Wahlkreisarbeit gemacht und werde das auch weiter tun. Ganz bewusst habe ich mein Mandat behalten. Darüber hinaus beschäftige ich mich seit vielen Jahren mit Gesundheitspolitik auf Landesebene und war gesundheitspolitischer Sprecher meiner Fraktion. Den Spagat kannte ich also. Für viele Berliner wird er aber erst jetzt präsent.

Mich interessieren vor allem Ihre Ideen für ein soziales Berlin. Wo liegen die Herausforderungen im sozialen Bereich für die kommenden Jahre?

Da bin ich gar nicht weit weg von der Gesundheitspolitik, denn eine der größten Herausforderungen der kommenden fünf Jahre liegt im Bereich der Pflege. Angesichts der demografischen Entwicklung ist es notwendig, sich um zukünftige Fachkräfte in diesem Bereich Gedanken zu machen. Der Pflegeberuf muss insgesamt attraktiver werden. Darüber hinaus wollen wir die Qualität der Pflege verbessern. Dafür ist zum einen eine engere Verzahnung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung notwendig. Zum anderen arbeiten wir gerade an der Einführung eines neuen Beschwerdesystems, das Angebote wie „Pflege in Not“ ergänzen soll.

Angesichts der Skandale, die die Pflegebranche in jüngerer Zeit erschütterten, scheint das bitter nötig. Wird es dafür zusätzliche Kapazitäten geben?

Für die Probleme, die es in den Pflegeeinrichtungen gegeben hat, benötigt man zum Teil zusätzliche Kapazitäten. Auch die Verbesserung der Kommunikationswege zwischen den Bezirksämtern und den Pflegekassen ist notwendig. Wir werden eine zentrale Anlaufstelle bei unserer Patientenbeauftragten einrichten. Hier sollen die Beschwerden von Betroffenen gebündelt, weitervermittelt und der Informationsaustausch zwischen den Akteuren verstärkt werden. Die Koordinierungsstelle werden wir personell stärken.

Beschwerden besser zu verwalten ist das eine. Wie wollen Sie denn einen Fall wie den der Obdachloseneinrichtung Treberhilfe, bei der wegen Betrugs gegen den einstigen Inhaber ermittelt wird, verhindern?

In der Vergangenheit wurden viele soziale Leistungen an externe Träger übergeben. Das Problem dabei ist, dass es in der Verwaltung kein Detailwissen mehr über diese Angebote gibt. Das wiederum macht es schwierig, bei der Kontrolle die richtigen Fragen zu stellen und die vielen guten von den wenigen schlechten Trägern zu unterscheiden. Deshalb müssen wir wieder eigenes Know-how aufbauen. Möglich ist das meist nur bei Neueinstellungen in der Verwaltung, bei denen diese Anforderung berücksichtigt werden kann. Weil in den kommenden Jahren einige Mitarbeiter in den Ruhestand gehen, sehen wir hier eine Chance.

Das wird dauern.

Natürlich ist das ein langsamer Prozess. Kurzfristig bleibt uns nur die Chance, unabhängigen Sachverstand einzubinden. Das können zum Beispiel Träger aus anderen Bundesländern sein, die ihre Erfahrung bei der Kontrolle unserer Berliner Einrichtungen einbringen. Dafür haben wir 250.000 Euro in den Haushalt eingestellt.

Sie werden also stärker kontrollieren?

Im Moment können wir das noch nicht, weil die bundesrechtlichen Möglichkeiten fehlen. Eine Bundesratsinitiative, die für mehr Transparenz und Kontrollmöglichkeit sorgen soll, wurde bereits auf den Weg gebracht. Alle Bundesländer unterstützen das Vorhaben. Wir warten nur darauf, dass der Bundestag es schnell umsetzt.

Als Ihr Staatssekretär für Soziales seinen Fahrplan für die kommenden fünf Jahre vorgestellt hat, hat er den Bereich Inklusion, also die Teilhabe von Menschen mit Behinderung, beinahe vergessen. Wie wichtig ist Ihnen das Thema?

Das Thema Inklusion nimmt bei uns einen wichtigen Platz ein. Der Behindertenbeauftragte gehört zu unserer Verwaltung, insofern haben wir hier auch eine Lenkungsfunktion. Allerdings ist die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Herausforderungen stellen sich in der Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Stadtentwicklungspolitik. Ich bin mir sicher, das sehen die Vertreter der großen Behindertenverbände genauso.

Sie sehen sich in einer Lenkungsfunktion, aber alle Senatoren in der Pflicht. Warum initiieren Sie dann keine ressortübergreifende Arbeitsgruppe zum Thema Inklusion?

Ich bin kein Freund von großen und am Ende unübersichtlichen Gremien. Ich komme aus einem Unternehmen, in dem man die Dinge sehr irdisch angegangen ist und die Leistung am Ende des Tages greifbar war. Auch in der Politik muss man die Aufgaben dosieren und eher kleinen, handlungsfähigen Arbeitsgruppen übertragen. Am Ende sollen möglichst nicht nur schöne Ideen herauskommen, sondern konkrete Ergebnisse auf dem Tisch liegen. Die Landesbehindertenkonferenz ist dafür das richtige Gremium.

Vor kurzem haben Sie gesagt, dass Ihnen jeder Euro, der mehr in Sozialausgaben fließt, für Investitionen in die Gesundheitswirtschaft fehlt. Lässt sich das so einfach gegeneinander aufwiegen?

Das ist eine sehr verkürzte Darstellung meiner Aussage. Der Satz ist in folgendem Zusammenhang zu verstehen: Es ist das Ziel jedes Sozialpolitikers, dass so wenig Menschen wie möglich von Transferleistungen leben müssen. Dafür sind gute Arbeitsplätze nötig, die es den Menschen ermöglichen, von ihrer eigenen Hände Arbeit zu leben. Aus meiner Sicht ist die Gesundheitswirtschaft eine wesentliche Stellschraube zur wirtschaftlichen Wiederbelebung der Stadt. Und dazu möchte ich, gemeinsam mit der Wirtschaftssenatorin und dem Finanzsenator, meinen Beitrag leisten.

Gregor Gysi hat mal über Sie gesagt: „Wenn er keine großen Fehler macht, wird er in der CDU seine Karriere machen.“ Jetzt sind Sie Senator. Haben Sie also keine großen Fehler gemacht?

Ich weiß nicht, wann Gregor Gysi das gesagt hat. Ich vermute mal, es war vor 2006 (lacht). Ich habe Fehler gemacht, einige davon sind auch öffentlich nachlesbar. Aber klug ist ja nicht, wer keine Fehler macht, sondern derjenige, der daraus lernt und seine Fehler nicht wiederholt.

Es gibt Politiker, die sind über wesentlich kleinere Affären als einen dubiosen Abschluss an einer nicht anerkannten Schweizer Hochschule gestolpert. Warum Sie nicht?

Unmittelbar nachdem diese Sache durch die Presse ging, habe ich mich damit öffentlich auseinandergesetzt und eine persönliche Erklärung abgegeben. Da gab es keine Salamitaktik, ich habe reinen Tisch gemacht, mich damals aus dem Wissenschaftsausschuss zurückgezogen und noch einmal neben dem Beruf Betriebswirtschaft studiert. Die Partei stand bei allem hinter mir.

Noch ein Zitat, diesmal von einem Christdemokraten: „Mir ist nicht bekannt, dass Herr Czaja mal eindeutig irgendeine christdemokratische Position vertreten hat.“ Wie sehr Christdemokrat sind Sie?

Ich komme aus einem katholischen Elternhaus und bin bekennender Katholik. Die Werte, die sich daraus für unser parteipolitisches Programm ableiten, habe ich verinnerlicht. Außerdem bin ich ein Kind der Wiedervereinigung. 1989 war ich 14 und gehörte zum ersten Jahrgang, bei dem FDJ und Jugendweihe freiwillig waren. Ich kann sehr glücklich sein, dass ich nicht mehr den Repressalien dieses Systems ausgesetzt war. Ich bringe aber auch Erfahrungen aus der DDR mit, die ich nicht missen möchte. Diese Zeit des Übergangs, der Wiedervereinigung ist für mich klar christdemokratisch geprägt. Ich bin also durch und durch Christdemokrat.

Von ungefähr kommen solche Aussagen von Parteikollegen aber nicht.

Es mag Einzelne geben, die das so sehen. Diejenigen, die mich so beurteilen, sehen das primär im Zusammenhang mit meinem politischen Wirken in Marzahn-Hellersdorf. Dort war die Durchsetzung von Vorhaben mitunter nur im pragmatischen Verbund mit anderen Parteien möglich. Und in meinem Bezirk ging über viele Jahre eben nichts ohne die Linkspartei. Ich habe Politik so kennengelernt, dass man die Position des anderen verstehen und einbeziehen muss, um Dinge bewirken zu können.

Wird dieser Pragmatismus auch Ihren Stil als Senator prägen?

Natürlich. Wir haben ja keine 51 Prozent bei der Wahl bekommen – und das erwarte ich auch in naher Zukunft nicht (lacht).

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