Interview zum Volksentscheid Wasser: "Quoren schützen die Herrschenden"

Die Verträge zur Privatisierung der Wasserbetriebe sind längst öffentlich. Dennoch sollten die Berliner ihr Recht nutzen und am 13. Februar abstimmen, sagt Michael Efler von "Mehr Demokratie".

Der Preis eines Tropfens: Wer verdient am Berliner Wasser? Bild: dpa

taz: Herr Efler, warum soll ich am 13. Februar zum Volksentscheid gehen? Die Wasserverträge liegen auf dem Tisch, das Ziel ist damit doch erreicht.

Michael Efler: Zum einen wissen wir nicht, ob alles auf dem Tisch liegt. Deshalb würde ich als Bürger auf Nummer sicher gehen und mit "Ja" dafür stimmen, dass alles offengelegt wird. Man muss doch sehen, dass sich der Senat bisher vor allem wegen des Drucks des Volksbegehrens bewegt hat.

Na ja, eher doch, weil die taz die Verträge aufgespürt und veröffentlicht hat.

geboren 1970, gehört dem Bundesvorstand von Mehr Demokratie an. Der Verein setzt sich für ein Recht auf Volksabstimmungen auf allen politischen Ebenen ein

Am Sonntag in einer Woche findet der dritte berlinweite Volksentscheid statt. Abgestimmt wird über die Offenlegung der Verträge zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe. 49,9 Prozent der Wasserbetriebe waren im Jahr 1999 vom damaligen schwarz-roten Senat an die Privatunternehmen RWE und Veolia verkauft worden. Seitdem sind die Preise für Wasser - Kritiker sagen: überdurchschnittlich - gestiegen. Problem war außerdem, dass der Senat den Teilhabern ein sattes Gewinnversprechen gegeben hat. Die Absprachen darüber wollte die Initiative Berliner Wassertisch mit ihrem Volksbegehren öffentlich machen.

Mehr als 300.000 Berliner unterschrieben für das Volksbegehren - weit mehr als erwartet und als vom Gesetz vorgeschrieben. Kurz danach veröffentlichte die taz einen großen Teil der Verträge im Netz. Der Senat publizierte wenig später nach eigenen Angaben alle noch unbekannten Vertragsteile.

Die Organisatoren rufen dennoch zu einer Teilnahme am Begehren auf: Sie glauben, dass unklar ist, ob wirklich alle Teile des Vertrages öffentlich sind. Außerdem enthält der Abstimmungstext die Klausel, dass die Verträge nichtig sind, wenn sie nicht öffentlich gemacht werden. Dies hält der Senat für verfassungswidrig und hat deshalb dem Ziel des Begehrens nicht zugestimmt. Darum kommt es nun zum Entscheid. TAZ

Aber hätte sich die taz denn ohne Volksbegehren dafür interessiert? Doch eher nicht.

Ein anderer Grund hinzugehen ist für Sie wahrscheinlich: aus Prinzip.

In der Tat. Ich bin der Auffassung, dass man seine Mitbestimmungsrechte wahrnehmen sollte, sowohl das Wahlrecht wie das Abstimmungsrecht. Es ist ja auch symbolisch wichtig für zukünftige Projekte, wenn es zukünftig um Konzessions- oder S-Bahn-Verträge geht. Und es könnte auch ein Signal gesetzt werden für die Rekommunalisierung von Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Dummerweise haben sich selbst bei den hoch kontroversen Themen Tempelhof und Pro Reli nicht genug Leute beteiligt, damit die Volksentscheide gültig gewesen wären. Umso weniger dürfte das jetzt bei den Wasserverträgen der Fall sein.

Das Problem ist, dass in Berlin Volksentscheide nur gültig sind, wenn 25 Prozent der Wahlberechtigten zugestimmt haben. Wir sind dafür, dieses Quorum abzuschaffen. Der Volksentscheid in Bayern zum Rauchverbot beispielsweise wäre in Berlin an zu geringer Zustimmung gescheitert. Ich finde es nicht nachvollziehbar, dass Leute sich eineinhalb, zwei Jahre zivilgesellschaftlich engagieren, sogar eine große Mehrheit für ihr Anliegen bekommen und dann hören: "April, April, es gilt nicht." Diese Quoren sind Schutzmechanismen der politisch Herrschenden.

Man kann sie auch anders sehen: als Schutzmechanismen für Repräsentativität. Sonst könnte es doch dazu kommen, dass ein ganz kleiner engagierter Kreis dem Rest seine Sicht der Welt aufdrängt.

Die anderen könnten doch zur Abstimmung hingehen, wenn sie wollen - dieses Recht nimmt ihnen keiner. Auf Bezirksebene macht ein Quorum beim Bürgerentscheid sogar noch weniger Sinn, weil häufig nur einzelne Kieze oder Stadtteile von einem Thema betroffen sind. Auch Bundestags- oder Landtagswahlen werden von den aktiven Wählern entschieden. Wir haben außerdem keine Wahlpflicht in Deutschland, und das ist auch gut so - denn überall, wo es sie gibt, wird sie nicht durchgesetzt.

Das Problem bleibt doch.

Anders als bei Wahlen geht es aber bei Volksentscheiden nicht um eine politische Richtungsentscheidung, sondern um eine einzige konkrete Sachfrage, von der nicht alle betroffen sein müssen: Nicht alle haben etwa Kinder und interessieren sich deshalb für Schulthemen.

Kritiker sagen: Die parlamentarische Demokratie wird ausgehöhlt, wenn immer mehr Entscheidungen in Volksabstimmungen fallen.

Das Parlament beschließt Hunderte von Dingen in einer Wahlperiode - Volksentscheide gab es seit 2006 in Berlin genau zwei Mal. Es wird auch ohne Quorum bei einer repräsentativen Demokratie bleiben, die dann aber kraftvoll ergänzt wird. Langfristig profitiert die parlamentarische Demokratie sogar von mehr direkter Demokratie, weil die politischen Entscheidungen stärker den Präferenzen der Bürger entsprechen und nicht mehr so einfach über "die da oben" geschimpft werden kann.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit hat mal laut darüber nachgedacht, dass der Senat selbst Dinge zur Abstimmung stellt. Bisher richten sich Volksbegehren immer nur gegen die Regierung.

Wir diskutieren das gerade bei uns im Verein und werden uns in Kürze dazu positionieren. Ich bin grundsätzlich dafür, dass man das Spektrum und das Verfahrensinstrumentarium der direkten Demokratie erweitert. Aber man muss schauen, wie man das ausgestaltet. Direkte Demokratie darf jedenfalls kein Instrument derjenigen werden, die ohnehin schon über Macht verfügen. Sonst könnte es Missbrauch geben, zum Beispiel durch eine suggestive Fragestellung.

Wieso, die geht doch vorher noch durchs Parlament?

Das ist nicht zwingend gewährleistet. In Frankreich etwa kann der Staatspräsident selbst ein Plebiszit ansetzen und die Fragestellung formulieren. Das halte ich für wirklich problematisch. Nehmen Sie mal als Beispiel die Bürger-Abstimmung über die Gestaltung des Gendarmenmarkts vergangene Woche: Da waren viele enttäuscht darüber, dass gar nicht über den ganzen Platz, sondern nur über einen Teil abgestimmt wurde.

Als die CDU vor einiger Zeit eine Volksbefragung zur A 100 vorgeschlagen hat, haben Sie sich dagegen gewandt.

Weil völlig klar ist, dass die CDU vor den Abgeordnetenhauswahlen ein Thema sucht, mit dem sie sich profilieren kann. Sie will dieses Thema genau am Wahltag zum Gegenstand einer Volksbefragung machen und dadurch ihre Wählerschaft mobilisieren. Dies würden wir im Übrigen auch bei jeder anderen Partei kritisieren.

Aber warum nicht eine für fünf Jahre gültigen Wahlentscheidung von einem großen Streitthema entfrachten und darüber separat abstimmen lassen?

Ja, aber warum am Tag der Wahl?

Aus praktischen Gründen - so wie 2009 die Pro-Reli-Initiative vergeblich danach gerufen hat, den Volksentscheid mit der Europawahl zu koppeln.

Der Termin ist nur das eine. Völlig inakzeptabel ist, dass hier die Bevölkerung zu einem Thema direkt befragt werden soll, während alle anderen Initiativen - Wasserverträge, Pro Reli, Tempelhof - den langen, dreistufigen Prozess der Volksgesetzgebung gehen und viele Unterschriften sammeln mussten. Warum soll jetzt der CDU ein Thema auf dem Silbertablett serviert werden?

Weil es juristisch gesehen keine Gleichheit im Unrecht gibt, und es schlicht eine politische Gewichtung wäre, über die A 100 abstimmen zu lassen und über anderes nicht.

Wo liegt denn hier ein Unrecht vor? Es gibt bisher in Berlin keine Möglichkeit für Volksbefragungen. Wer dieses - im Übrigen unverbindliche - Instrument einsetzen will, müsste zunächst einen Rechtsrahmen dafür schaffen. Direkte Demokratie heißt nicht, dass die Parteien ihre Lieblingsthemen unverbindlich den Bürgern vorlegen können. Wer eine Volksabstimmung über die A 100 will, muss sich wie alle anderen auch auf die Straße stellen und Unterschriften sammeln.

Bei der Bürger-Abstimmung zum Umbau des Gendarmenmarktes sollten die Teilnehmer kürzlich erst eineinhalb Stunden Information - oder Agitation - über sich ergehen lassen. Bei einer Bundestagswahl kontrolliert an der Urne doch auch keiner, ob man Parteiprogramme gelesen hat.

Das kann man doch nicht vergleichen.

Warum nicht?

Weil die Wahl eine verbindliche Form der Mitbestimmung ist. Hier ging es um eine Bürgerversammlung.

Viele wollten aber einfach nur abstimmen, die sahen das als Bevormundung.

Das sehe ich nicht so, dann muss man eben ein bisschen warten. Beim Wasser-Volksentscheid gibt es doch mit der Abstimmungsbenachrichtigung auch ein Begleitschreiben mit den Argumenten …

das oft gleich in den Papierkorb wandert.

Natürlich hat man keine Gewissheit, dass das auch alle lesen, aber viele werden es tun. Ich finde das gewählte Verfahren beim Gendarmenmarkt sogar viel besser, als wenn man nur im Internet eine Abfrage gemacht hätte für oder gegen die Bäume.

Wie stehen Sie denn generell zu Internet-Voten?

Das Internet ist ganz wichtig für politische Vernetzung und die Herstellung von Transparenz staatlichen Handelns. Von Internet-Abstimmungen halte ich aber nicht viel. Erstmal muss ein Wahl- oder Abstimmungsverfahren sicher sein, und das ist es noch nicht. Zum zweiten kann man das nur ergänzend machen, sonst würde man die ausschließen, die keinen Zugang zum Internet haben. Das dritte ist eher ein kultureller Aspekt: Ich finde es schon einen Wert an sich, dass man sich zu einer Abstimmung auch räumlich hinbemüht.

Was ist daran kulturell?

Sich am Sonntag ins Wahllokal aufzumachen, das Kreuzchen zu machen, dem Wahlvorstand die Hand zu schütteln - das hat einen Gemeinschaftsaspekt. Da sieht man, man ist Teil einer wichtigen Prozesses. Einfach nur im Internet rumklicken: Da fehlt was.

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