Stadtsoziologe Holm über Berlin: „Schwabenhass ist ein Phantom“

Der Stadtsoziologe Andrej Holm über ein Thema, das sich verselbstständigt hat. Es überlappe dabei die Diskussion über steigende Mieten und Verlustgefühle.

Schmiererei in Prenzlauer Berg. Bild: dpa

taz: Herr Holm, sind Sie beunruhigt über Parolen wie „Kauft nicht beim Schwab’n“?

Andrej Holm: So etwas beunruhigt mich nicht. Warum sollte es?

Weil sich solche Äußerungen an Nazi-Parolen anlehnen und zugleich in einer der mittlerweile teuersten Ecken der Stadt auftauchen. Sie betreiben den „gentrification blog“ und dokumentieren darin Aufwertungsprozesse. Besteht nicht die Gefahr, dass solche Äußerungen den Protest gegen Gentrifizierung in Verruf bringen?

Es ist völlig unklar, aus welcher Richtung die neuen Parolen kommen. Inhaltlich gibt es keine Verbindung zu Nachbarschaftskonflikten. Schließlich steht da ja nicht: „Mieten runter“, oder?

Nein, aber dass sich Einwohner von Prenzlauer Berg gegen den Zuzug von vermeintlich schwäbischen Gutverdienern wehren, hat ja Tradition.

Ob ein Jugendlicher „Tötet Schwaben!“ an die Wände sprüht oder Satiriker die Vertreibung von Nichtschwaben fordern: Bei alldem handelt es sich um Einzelphänomene. Seitdem Bundestagsvizepräsident Thierse öffentlich gefordert hat, dass auch Schwaben beim Berliner Bäcker Schrippen statt Wecken sagen sollten, hat sich das Thema verselbständigt. Alle reden über Schwabenhass. Dabei gibt es den gar nicht. Das Ganze ist eine Scheindiskussion.

Der 42-Jährige ist Professor für Stadtsoziologie an der Humboldt-Universität. In seinem "Gentrificationblog" analysiert er urbane Aufwertungsprozesse.

Die Schwaben sind also nicht das Problem?

Die Statistik zeigt, dass Menschen von überallher nach Berlin ziehen. Die stärkste Wanderungsbeziehung haben wir mit Hamburg und Nordrhein-Westfalen, die Baden-Württemberger spielen empirisch kaum eine Rolle. Als jemand, der lange in Prenzlauer Berg gewohnt hat, kann ich sagen, dass der Hass gegen eine bestimmte Gruppe, woher auch immer, nicht das Lebensgefühl der Menschen dort prägt.

Was manifestiert sich dann an den Wänden? Hass gegen Besserverdiener?

So einfach ist es nicht. Eine Parole wie „Kauft nicht beim Besserverdiener“ ergibt ja überhaupt keinen Sinn. Die Hässlichkeit solcher Sprüche verweist für mich darauf, dass bestimmte Diskussionen nicht offen geführt werden. Wem gehört Prenzlauer Berg heute? Wem gehört die Stadt? Darüber sollte man sprechen. Über die Verlusterfahrungen, die viele Bewohner von Prenzlauer Berg gemacht haben: dass zum Beispiel alte Treffpunkte schließen und sich die neuen Konsumangebote fremd anfühlen. Darüber hat auch Thierse als Ostberliner versucht zu sprechen. Aber keiner wollte es hören.

Darüber wird doch andauernd gesprochen: Touristen in Neukölln, Schwaben in Prenzlauer Berg. Kommen die Berliner mit Veränderungen nicht klar?

Mich ärgert die Totalität der Diskussion. Man muss doch Kritik an Veränderung üben können, ohne gleich in den Verdacht zu geraten, ein Schwaben- oder Touristenhasser zu sein. Dass die Touristifizierung von Nachbarschaften Wohnraum verteuert und Anwohner belästigt, ist ein reales Problem. Man muss endlich wieder über Mietenpolitik sprechen und nicht über Schwaben. Dann wäre schon viel gewonnen.

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