Invictus Games in Düsseldorf: Helden der anderen Art

Die Invictus Games präsentieren sich als Sportevent für versehrte Soldaten. Zugleich wirken sie wie eine Imagekampagne für die Bundeswehr.

Prinz Harry geht in die Knie, um einem Rollstuhlfahrer die Hand zu geben

Sinn für gute Bilder: Initiator Prinz Harry beim Kniefall bei den Spielen 2022 in Den Haag Foto: Hollandse Hoogte/imago

Vielleicht trifft es die Bundeswehr mit ihrer Beschreibung ganz gut: „Die Invictus Games sind ein Sportfest der besonderen Art.“ So steht es auf der Website der deutschen Streitkräfte. Denn mit herkömmlichen größeren Sportveranstaltungen haben die erstmals in Deutschland ausgetragenen Wettkämpfe wenig gemein.

Finanziert werden sie aus dem deutschen Verteidigungsetat mit üppigen 40 Millionen Euro. Hauptsponsor der Invictus Games ist der weltweit drittgrößte Rüstungskonzern Boeing aus den USA. Teilnahmeberechtigt sind ausschließlich Menschen, die im Einsatz für das Militär körperliche oder seelische Verletzungen davongetragen haben.

Besonders ist auch die Auswahl der 21 Teilnehmerländer, die sich bei der Eröffnungsfeier am Samstag in der Düsseldorfer Arena mit 500 Athletinnen und Athleten präsentieren werden und sich eine Woche lang in zehn Sportarten miteinander messen werden. Neben zwölf Nato-Staaten vertreten Nigeria oder Kolumbien allein ihre Kontinente. Afghanistan und Irak zählen zwar ebenfalls zu den 23 Ländern der Invictus Games Foundation, sind aber in Deutschland nicht am Start.

Auf Anfrage der taz, nach welchen Kriterien die Aufnahme von Ländern erfolgt und ob es Definitionen für Militäreinsätze gibt, die dem Geist der Invictus Games widersprechen, erklärte Pressesprecher Samuel Newell, die Anträge würden von Fall zu Fall geprüft. Die Organisation entscheide nach eigenem Ermessen. Dabei spielten Überlegungen eine Rolle, was ein Beitritt für die Betroffenen im jeweiligen Land und für die Organisation selbst bedeutet, die Anzahl und Schwere der „operativen Verluste“ in den letzten Jahren und welche Hilfsleistungen den Betroffenen im jeweiligen Land zur Verfügung gestellt werden.

Der Prinz mit Kriegserfahrung

Ganz besonders ist natürlich auch der Schirmherr und Initiator der Veranstaltung, der allein mit seinem Namen Aufmerksamkeit garantiert: Prinz Harry, Herzog von Sussex, der jüngere Sohn des Königs von Großbritannien Charles III. Als Soldat war er zweimal in Afghanistan im Einsatz und hat 25 Menschen getötet, wie er in seiner Autobiographie berichtet hat. Die Erlebnisse dort und seine Teilnahme an den US-amerikanischen Warrior Games, so erzählt es der Prinz, hätten ihn auf die Idee mit den Invictus Games gebracht, die 2014 erstmals ausgetragen wurden. Seither steckt er viel Energie in das Projekt. Gerade hat seine Produktionsfirma, die mit dem Streaming-Portal Netflix seit längerem schon einen vermutlich 100 Millionen Dollar schweren Deal ausgehandelt hat, eine Dokuserie über die Invictus Games drehen lassen. Geld verdienen muss der Prinz nach seiner Abkehr vom britischen Königshaus nämlich auch noch.

Sein Event hat mittlerweile in Deutschland viele Freunde gefunden. Außer den Linken haben im Bundestag alle Parteien von der AfD bis zu den Grünen die Austragung der Spiele in Deutschland befürwortet. Hervorgehoben wird dabei die Verantwortung, die das Parlament für diejenigen trägt, die sie in Kriegseinsätze schickt. Die Veranstalter in Düsseldorf, die sich für das Motto „A Home For Respect“ entschieden haben, heben zweierlei hervor: Zum einen das Ziel, den versehrten Soldaten eine größere Wahrnehmung und Anerkennung in der Gesellschaft zu verschaffen. Zum anderen die Vision, ein Umdenken und Dialog in der Gesellschaft anzuregen. So heißt es: „Die Spiele ermöglichen auch einen neuen und anderen Blick auf die Menschen in der Bundeswehr.“ Für all das scheint der Sport als Instrument eingesetzt zu werden. Invictus Games heißt übersetzt die Spiele der Unbesiegbaren. Zum Selbstverständnis des Sports gehört es, auch einen Umgang mit Niederlagen zu lernen.

Bislang war die Bundeswehr so etwas wie ein Dienstleister für den Sport, einer der maßgeblichsten Förderer, der beispielsweise bei den letzten Olympischen Winterspielen in Peking an 17 von 27 deutschen Medaillen beteiligt war. Im Jahr 2021 wurden für die Sportsoldaten, die sich voll und ganz auf ihre Leistungssportkarriere konzentrieren können, 46 Millionen Euro ausgegeben. Mit den Invictus Games, die sich das Verteidigungsministerium kaum weniger kosten ließ, wird der Sport ein wenig zum Dienstleister der Bundeswehr.

Der Deutsche Behinderten-Sportverband erklärte etwa, er unterstütze „die Bundeswehr mit Material, Know-how sowie mit der Kontaktvermittlung zu Schiedsrichter*innen, Offiziellen und in die Strukturen des Sports von Menschen mit Behinderung“. Man hebt hervor, dass es jenseits des Sports eine übergeordnete Aufgabe gibt: „Der DBS sieht darin sowohl Pflicht als auch Verantwortung unserer Gesellschaft, diejenigen zu unterstützen, die auf der Welt die Demokratie verteidigen und dabei eine schwere Verletzung oder eine Behinderung erlitten haben.“

Zu Gast im „aktuellen sportstudio“

Die Bundeswehr erklärte vor zwei Jahren, den Termin der Spiele habe man in enger Abstimmung mit dem Deutschen Olympischen Sportbund festgelegt, um Überschneidungen mit anderen Großveranstaltungen zu vermeiden und „jedem Event die gebührende gesellschaftliche und mediale Aufmerksamkeit zukommen zu lassen“.

Auch dieser Plan ist aufgegangen. Am Samstagabend sind Prinz Harry und der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius bei einer Institution der deutschen TV-Sportberichterstattung, im „aktuellen sportstudio“, zu Gast. Das ZDF erklärt dazu: „Zum journalistischen Profil des ‚aktuellen sportstudios‘ gehört es, immer mal wieder auch Gesprächsrunden aus dem Themenfeld Sport und Politik anzubieten. In diesem Fall ergibt sich auch mit Blick auf den Ukraine-Krieg der Anlass, am Eröffnungstag dieses interna­tio­nalen Sportevents für verwundete, verletzte und kranke Soldaten über Genesung und Rehabilitation durch die Teilnahme an Sport-Events wie den ‚Invictus Games‘ zu reden.“

André Hahn, der sportpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke, spricht dagegen von einer Imagekampagne der Bundeswehr. „Die Invictus Games sind ein besseres Familiensportfest. Ihr sportlicher Wert ist höchst fragwürdig.“ Zudem beklagt er die Kosten für den Steuerzahler von 40 Millionen Euro. Das deutsche Team bei den Invictus Games würde aus 37 Teilnehmerinnen und Teilnehmer bestehen. Die Zahl der Geschädigten bei den Bundeswehreinsätzen würde dagegen in den vierstelligen Bereich gehen. „Um diese Menschen sollten wir uns kümmern, für psychologische Betreuungsangebote, Entschädigungs- und Rentenzahlungen sorgen.“ Mancherorts spricht man bei den Linken gar wegen der Invictus Games von der „Militarisierung des Sports“.

Die gesellschaftliche Aktzeptanz einer solchen Sportveranstaltung scheint aber groß zu sein, wenn außer den Linken sich kaum einer daran stört. André Hahn versichert, ihm würden im direkten Gespräch Vertreter aus den Sportverbänden und -vereinen recht geben, dass die Ausgaben für die Invictus „völlig unverhältnismäßig“ seien. Laut würde so etwas nicht gesagt werden, seitdem Bundeskanzler Olaf Scholz mit Beginn des Krieges in der Ukraine die „Zeitenwende“ verkündet habe.

Hunger nach heroischen Erzählungen

Thomas Alkemeyer, der in Oldenburg Professor für Soziologie und Sportsoziologie ist, hält die Einladung von Verteidigungsminister Boris Pistorius und Prinz Harry ins „aktuelle sportstudio“ im Rahmen der Invictus Games für ein Anzeichen eines veränderten Stellenwerts der Bundeswehr in der Gesellschaft. Er könne sich nicht vorstellen, dass das vor vier, fünf Jahren so reibungslos funktioniert hätte.

Aus einer Binnenperspektive der Teilnehmer können die Spiele etwa als eine Therapieveranstaltung zur Rehabilitation und Bewältigung von Traumata verstanden werden. „Von außen betrachtet tragen die Invictus Games zu einer Renaissance und Popularisierung von Bildern des Heroischen in der Öffentlichkeit bei.“

Alkemeyer sieht gerade in Krisenzeiten der Verunsicherung einen gesteigerten Hunger nach heroischen Erzählungen. Sie beantworten alltägliche Erfahrungen individueller Machtlosigkeit mit Bildern vorbildhafter Personen, die ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen und Handlungsmacht beweisen.

Sofern mit Militarisierung des Sports, die etwa die Linken im Düsseldorfer Stadtrat nun diagnostizieren, eine Hochschätzung kämpferischer Werte gemeint ist, treffe diese Charakterisierung durchaus einen Punkt, sagt Alkemeyer. Er kann sich jedoch kaum vorstellen, dass ausgerechnet mit verwundeten Körpern bei den Invictus Games für einen Eintritt in die Bundeswehr geworben werden könnte. Er sieht eher grundsätzlich das Bemühen dahinter, Soldaten in ein besseres Licht zu rücken, sie als Menschen in Szene zu setzen, die im Einsatz für etwas Größeres ihre Unversehrtheit, ja ihr Leben riskieren. Dies mobilisiere kollektive Emotionen.

Kritik aus Militärkreisen

Welch großen Symbolcharakter die Invictus Games haben, macht auch interne Kritik aus Soldatenkreisen deutlich. Diejenigen, die dort für das deutsche Team mitmachen dürfen, repräsentieren nämlich nur einen Teil der Militäreinsatzkräfte.

Der Bund Deutscher Einsatzveteranen (BDV) bemängelte, dass an den Invictus Games „keine ehemaligen Angehörigen der Bundeswehr mit Einsatzschädigung teilnehmen dürften, sondern nur aktive Soldaten“. Zwei Drittel der Soldaten, die für die Bundeswehr in Einsätze gegangen seien, so schrieb die Süddeutsche Zeitung kürzlich, seien Zeitsoldaten gewesen.

Inklusiv im Sinne des paralympischen Sportgedankens sind die Invictus Games gewiss nicht. Das spiegelt sich bereits im intransparenten Aufnahmeverfahren der Teilnehmerländer wider. Die Invictus Games sind in der Tat ein Sportfest der besonderen Art.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.