Jahresklausur der Grünen: Kritik zum Sound rollender Rollkoffer

Die Jahresklausur der Bundestagsfraktion verläuft friedlich. Dann wird ein Grundsatzpapier zweier Parteilinker bekannt, das über die Medien lanciert wurde.

„Zukunftswerkstatt“ nannten die Grünen ihre Neujahrklausur. Bild: dpa

BERLIN taz | Alles sprach für einen überaus friedlichen Ausflug. Die Neujahrsklausur der Grünen, von Strategen aus der Bundestagsfraktion in „Zukunftswerkstatt“ umbenannt, verlief ohne Flügelstreitereien. Nach einem nervenzehrenden Jahr standen in Weimar alle Zeichen auf Harmonie.

Trotz ungeklärter Richtungsfragen in der Steuerpolitik und Gezerre um den künftigen wirtschaftspolitischen Kurs: Selbst in der allgemeinen Aussprache am Mittwoch verzichteten die 63 Abgeordneten auf Grundsatz-Kontroversen um die künftige Richtung. Ein paar kritische Einwürfe zur Debatte um Rot-Rot-Grün, dann wandte man sich den „Megatrends“ der Zukunft zu.

Erst kurz vor Schluss - die ersten Parlamentarier zogen bereits ihre Rollkoffer aus der Halle - überraschte die linke Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger ihre Fraktion mit einem Online-Appell. In dem gemeinsam mit dem nordrhein-westfälischen Landeschef Sven Lehmann verfassten Papier warnt die 29-jährige Abgeordnete vor einem schleichenden Kursschwenk der Grünen in die Mitte und der Aufgabe linker Positionen.

Seit dem Parteitag im Herbst würden „wesentliche Teile des programmatischen Grundkonsenses der letzten Jahre nach und nach in Frage gestellt“, ohne dass dies „auf einem Parteitag jemals beschlossen wurde“, warnen die Autoren. Die Frage des sozialen Ausgleichs sei in den Hintergrund gerückt. Doch die Grünen könnten es „nicht allen Recht machen“ und „jeden ohne Mut und ohne eigene Ideen ankuscheln“.

Grüne: „Handwerker mit Visionen“

Der Kampf für mehr Gerechtigkeit gehöre "bleibt eine wichtige Aufgabe für unsere Partei”, mahnen Brugger und Lehmann. Die Grünen seien eben „keine klassische Wirtschaftspartei“. Der Angriff zielt auf führende Realos wie Parteichef Cem Özdemir und den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Beide hatten in den vergangenen Monaten auf einen Abschied vom Linkskurs gedrängt und wollen der Partei ein wirtschaftsfreundlicheres Image verpassen. Das Steuerkonzept werten sie als eine Ursache für das schlechte Ergebnis der Grünen bei der Bundestagswahl 2013.

Auch Özdemir war zur Fraktionsklausur nach Weimar gereist - allerdings verzichtete Brugger dort auf die direkte Konfrontation. Das Papier machte sie über Spiegel Online öffentlich.

In der am Freitag beschlossenen „Weimarer Erklärung“ spielen Gerechtigkeitsfragen keine große Rolle – von vagen Bekenntnissen abgesehen. So verspricht die Fraktion, sie wolle „die Weichen für ein grüneres und gerechteres Deutschland“ stellen und arbeite an einer „gerechteren Steuerpolitik“. Schließlich seien die Grünen „Handwerker mit Visionen“.

Inhaltliche Schwerpunkte des Beschlusses liegen auf der ökologischen Agrarwende und – auch als Reaktion auf den Anschlag in Paris – neuen Forderungen zur Flüchtlingspolitik.

Schlechter Stil?

„Wir wollen Schluss machen mit der Abschottungspolitik“, versprach Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Ein „modernes Einwanderungsgesetz“ sei überfällig. Die große Koalition habe dieses wichtige Thema verschlafen. In ihrem Beschluss verlangt die Fraktion ein „umfassendes Konzept zur Aufnahme und Integration von Flüchtlingen“, eine dauerhafte finanzielle Unterstützung für die Kommunen und „andere legale Wege“ für Flüchtlinge, „denen kein politisches Asylrecht zusteht“.

Auf die Richtungsdebatte wollte die Fraktionsspitze nicht einsteigen. Auch der linke Fraktionschef Anton Hofreiter ging deutlich auf Distanz: Es handele sich nur um einen von „vielen Blogbeiträgen“ von „zwei Menschen aus unserer Partei“, der obendrein inhaltlich „etwas veraltet“ sei.

Andere Parteifreunde reagierten verschnupft. Es sei schlechter Stil, wenn er zum Abschluss einer dreitägigen Klausur aus den Medien von einem solchen Vorstoß erfahre, kritisierte ein Abgeordneter. Die Grünen hätten außerdem doch verabredet, erst Ende 2016 ein Steuerkonzept zu verabschieden. Deshalb verstehe er die Kritik nicht.

Auch Ex-Fraktionschefin Renate Künast bemängelte das „kuriose“ Timing. „Wenn ich eine wirkliche Debatte will“, sagte sie, „ergreife ich hier das Wort.“ Brugger wiederum versicherte, sie habe „diese Kritikpunkte alle schon mehrfach in der Fraktion vorgebracht“ – und die Parteifreunde in Weimar nicht damit aufhalten wollen.

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