Jonathan Franzen über Trump und Putin: „Trump ist eine dämonische Kraft“

Dystopie und Realität: Wie steht Jonathan Franzen zu den Entwicklungen in den USA und zum Ukraine-Krieg? Ein Gespräch mit dem Bestsellerautor.

Portrait von Jonathan Franzen

Der US-Schriftsteller Jonathan Franzen hat mehrere Bestseller geschrieben Foto: Judith Jockel/laif

wochentaz: Herr Franzen, 2020 soll Donald Trump versucht haben, die Resultate der Präsidentschaftswahl nachträglich zu kippen. Seit Anfang August ist er angeklagt, sein Prozess soll im März 2024 beginnen. Was bedeutet das für Trump und für die US-Amerikaner?

Jonathan Franzen, 1959 geboren, erhielt für seinen Welt­best­seller „Die Korrekturen“ 2001 den National Book Award. Er veröffentlichte außerdem „Die 27ste Stadt“, „Schweres Beben“, das autobiografische Buch „Die Unruhezone“, die Essay­sammlungen „Anleitung zum Alleinsein“ sowie den Klima-Essay „Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen“ und vieles mehr. Er wurde vielfach prämiert und lebt in Santa Cruz, Kalifornien. Gerade ist sein Buch „Freiheit“ als Neuausgabe erschienen (dtv).

Jonathan Franzen: Der Graben zwischen den politischen Parteien wird tiefer, und Trumps Unterstützer werden ermutigt, radikaler zu werden. Trump ist eine dämonische und korrupte Kraft, wie sie von den Verfassern unserer Verfassung gefürchtet wurde. Auch wenn die Folgen schlimm sind, muss die Rechtsstaatlichkeit aber verteidigt werden. Meine größere Befürchtung ist, dass Trump die Wahl 2024 gewinnen und das tun wird, was Tyrannen tun: das Justizsystem als Waffe für ihre eigenen Zwecke einsetzen. Das war schon immer eine Gefahr in unserer Republik, aber wir hatten noch nie einen so offen kriminellen Präsidenten wie Trump.

Die Midterm-Wahlen aber haben gezeigt, dass das Modell Demokratie in den USA noch immer funktioniert.

Ich glaube, es ist schwierig, sich überhaupt darüber bewusst zu sein, dass wir über die Demokratie und ihre Bedrohung durch sehr autokratische Figuren wie Trump sprechen. Anderseits sollten wir nicht auf das hören, was auf Twitter und in anderen sozialen Medien passiert, wenn wir ein Gefühl dafür bekommen wollen, was in diesem Land vor sich geht. Die Menschen, die auf Twitter sind, sind ein eher kleiner Prozentsatz der Bevölkerung, und die Dinge werden in den sozialen Medien sehr schnell sehr extrem. Es gibt eine ganze Reihe von Amerikanern, die in der Mitte der Gesellschaft stehen. Und ich glaube, dass sich mehr Menschen Freundlichkeit in der Regierung und in der Welt wünschen, als man vermuten würde, wenn man nur auf Twitter und die dortigen Kommentare achtet.

Das heißt, Trump hat schon 2020 die Wahl verloren, weil die Menschen in den USA sich mehr Vernunft, oder – wie Sie sagen – mehr „Freundlichkeit“ wünschen?

Ja, Trump hat 2020 verloren, weil die Menschen diesen Extremismus und diesen Wahnsinn satt hatten. Schon nach dem Aufstand vom 6. Januar sagten viele Leute: „Das ist gefährlich. Wir wollen das nicht“. Ich glaube nicht, dass es unbedingt um ein Ideal der Demokratie geht. Ich glaube, es geht eher darum, dass ein großer Teil des Landes aus normalen Menschen besteht, die keine verrückten Leute mögen. Die Marjorie Taylor Greenes dieser Welt sind verrückte Leute, und die meisten Leute mögen das nicht.

Die Populisten dieser Welt benutzen die Frustration der Menschen, um die Angst anzuheizen…

Ich erinnere mich, dass ich vor etwa 15 Jahren schockiert war, als ich einige Tage in Florida mit einem netten Mann verbrachte. Er war ein Vogelkundler und leitete einen Ausflug nach Dry Tortuga, der Insel westlich von Key West. Wir amüsierten uns prächtig, aber eines Abends fing er an, über die Einwanderer zu sprechen. Ich war einfach schockiert über seine Abneigung gegenüber den Einwanderern und auch allgemein gegenüber Minderheiten in diesem Land – sie würden Privilegien erhalten, die er und seine Vorfahren nicht hatten.

Wechseln wir die geopolitische Szene und kommen nach Russland und Osteuropa. Seit über einem Jahr führt Putins Armee einen rücksichtslosen Krieg in der Ukraine. Wie haben Sie reagiert, als die russische Armee am 24. Februar ihre so genannte „Spezialoperation“ in der Ukraine, also im Zentrum Europas, begann?

Meine erste Reaktion war, dass dieser Krieg nicht lange dauern würde. Ich wusste natürlich, dass Putin die Krim bereits erobert hatte. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass sich daraus ein jahrelanger Krieg entwickeln würde, der sich immer weiter ausdehnt.

Sie haben geglaubt, dass dieser Krieg in wenigen Wochen abgeschlossen sein würde?

Ja, ich habe nicht geglaubt, dass Putin die gesamte Ukraine einnehmen wollte. Das schien mir unrealistisch. Ich glaubte nicht, dass er die Absicht hatte, Kiew zu erobern. Dieser Krieg ist aus offensichtlichen Gründen die Hölle. Aber er schien auch weit weg zu sein. Ich habe im Allgemeinen einen sehr guten Sinn für Geografie, aber ich wusste nicht genau, wo die U-kraine lag. Die Ukraine ist kein östliches Land. Es liegt mitten in Europa!

Eines der groteskesten Meisterwerke von Stanley Kubrick, „Dr. Strangelove“, könnte bittere Realität werden. Eine nukleare Apokalypse ist eine Horror-Option, die von Putins Ministern und Generälen angedroht wurde. Fürchten Sie heute einen nuklearen Winter?

Ich habe meine Angst vor einem Atomkrieg nie überwunden, und ich glaube, dass diese Angst berechtigt ist. Eric Schlosser, der auch „Fast Food Nation“ geschrieben hat, hat ein fantastisches Buch mit dem Titel „Command and Control“ über die Sicherheit von Atomwaffen geschrieben. Und, okay, das ist jetzt ein bisschen off topic, aber ich war neulich auf einer Party. Als ich hereinkam, ging ich zum Getränketisch, und da stand ein Mann. Er war ein Nachbar des Gastgebers. Ich sagte etwas über Covid, er sagte etwas über Verschwörungen. Das Nächste, was ich weiß, ist, dass er 20 Minuten später immer noch über diese Verschwörungstheorien sprach. Zuerst war es Covid. Dann das Kennedy-Attentat. Dann der 11. September. Und die Regierung war natürlich eingeweiht. Es war ein Schwindel! Ich habe immer wieder versucht, ihm zu sagen, dass das interessante Geschichten sind, die wir uns selbst erzählen könnten. Es gibt da nur ein Problem.

Welches Problem?

Die Menschen sind nicht so schlau. Sie haben sich eingebildet, dass Covid von der amerikanischen Regierung ausgelöst wurde, nur um die Zahl der Sozialhilfeempfänger durch die Tötung alter Menschen zu verringern! Ich will damit sagen, ob Sie wirklich glauben können, dass die Menschen intelligent genug sind, um so etwas zu durchschauen, die ganze „Verschwörung“ so perfekt zu koordinieren, und dann, was am schwierigsten ist, es für immer geheim zu halten? Das ist auch der Grund, warum ich mir Sorgen über Atomwaffen mache: Die Menschen sind nicht so schlau, sie machen Fehler.

Wir könnten eine ganze Literatur der technischen Katastrophen schreiben. Als 1986 Tschernobyl explodierte, schrieb Christa Wolf „Störfall“. Vladimir Sorokin hat 2014 „Der Schneesturm“ geschrieben, eine Dystopie über den nuklearen Winter. „The Road“ von Cormac McCarthy ist auch eine Story nach einem nuklearen Winter. Warum finden wir keine Dystopien in Ihren Romanen?

Ich glaube, wenn man einen Roman schreibt, muss man eine Entscheidung treffen. Entweder man dient einer Idee oder man dient den Figuren. Die ganze Maschinerie eines dystopischen Systems – ich habe das Gefühl, dass das so hegemonial in der Welt des Romans wirkt, dass nicht genug Platz für meine Vorliebe für menschliche Komplexität bleibt. Ich denke, dass ich ein realistischer Schriftsteller bin und dass mein Verständnis der menschlichen Psychologie auf der Beobachtung von Menschen in realistischen Situationen beruht. Sobald man ein nicht-realistisches Element einführt, würde ich nicht mehr darauf vertrauen, dass ich mir vorstellen könnte, wie die Menschen reagieren würden. Wenn ich das Dystopische zur Prämisse eines Buch machen würde, würde ich das opfern, was ich als Romanautor am besten kann.

Heute scheint die Linke, in Europa wie in den USA, zwischen dem alten Prinzip des Pazifismus und der Position eines „gerechten Widerstands“ hin- und hergerissen. Ist es richtig, die Ukraine gegen die barbarische Invasion von Putins Armee zu bewaffnen und zu verteidigen?

Ich komme aus einer sehr pazifistischen Familie, daher fällt es mir nicht leicht, gewaltsamen Widerstand zu befürworten. Was die Sache für mich noch komplizierter macht, ist, dass ich nicht glaube, dass in der Ukraine irgendwelche Engel leben. Wenn der Krieg endlich zu Ende ist, wird wenig von all den Problemen mit der Korruption gelöst sein. Dennoch gibt es eine neue Achse in der Welt: die autoritäre Achse. Diese autoritäre Achse ist sehr stark in Russland. Auch die Türkei, Ungarn und Polen neigen sich in diese Richtung. Und dann gibt es natürlich noch China und Modi in Indien. Ich denke also, jemand von der Linken würde sich nicht wünschen, dass die Aggressionen dieser Autokratien unbeantwortet bleiben. Denn sie sind nicht nur antiliberal, sondern auch sehr linkenfeindlich.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.