Jugendmesse und Jugendkultur: "Wer will schon jung und normal sein?"

Die Jugendmesse YOU ist nur eine Präsentationsplattform für Marken, sagt der Jugendforscher Klaus Farin. Über Trends, die den Nachwuchs bewegen, erfahre man nichts

Anders sein auf der Jugendmesse: Haarstyling bei der YOU im Herbst 2006 Bild: AP

taz: Herr Farin, am Freitag beginnt mal wieder die Jugendmesse YOU. Ist als für Sie als Jugendforscher ein Pflichttermin?

KLAUS FARIN, 49, ist Leiter des Archivs der Jugendkulturen in Berlin-Kreuzberg

Outfit Sport Lifestyle" verspricht Europas größte Jugendmesse. Vom 26. bis 28. Oktober wird im ICC Berlin alles präsentiert, was die pubertierende Kernzielgruppe begehrt. Neben Mobilfunkanbietern und Klingeltonverkäufern präsentieren sich Getränkehersteller, Internetcommunities, dazu Bands und Musiker wie No Angels und Azad. Passend zum neuen Alkoholtrend kann man einen Kurs im Getränkemixen besuchen, Sportarten wie Bossaball und Speedminton werden gehypt. Der Schwerpunkt liegt dieses Jahr auf Ausbildung. Rund 170.000 Jugendliche werden erwartet.

Klaus Farin: Nein, ich gehe da schon lange nicht mehr hin. Die Messe ist nur als Präsentationsplattform für Marken interessant, aber die Standgebühr kann sich unser Archiv nicht leisten. Inhaltlich finde ich dort nichts. Was für mich interessant ist, spielt sich auf LAN-Partys, in Clubs, Wohnzimmern oder auf Konzerten statt. Manchmal sogar vor Konzerthallen.

Das müssen Sie erklären.

Vor dem Auftritt der japanischen Band The Gazette lagerten neulich 20 bis 30 Jugendliche schon am Tag zuvor mit Schlafsäcken vor der Columbiahalle. In der Kälte, obwohl sie bereits Eintrittskarten hatten. Auch nach dem Konzert blieben sie. Warum tun die so was? Das ist doch kein normales Konzertbesucherverhalten. Welche besondere Leidenschaft steckt dahinter?

Und?

Die Antwort war: Es ging um Kommunikation, darum, Gleichgestylte zu treffen, um Austausch innerhalb einer relativ neuen Szene - Visual Keis.

Wie bitte?

Visual Kei ist die musikalische Schwester der Manga-Comic- und Ottaku-Szene. Die Fans hören japanische Bands und kleiden sich wie eine Mischung aus Gothics, Punks und Mangafiguren. Ein bisschen wie der Sänger von Tokio Hotel, mit dem die Angehörigen der echten Szene natürlich nichts zu tun haben wollen. Visual Kei ist eine kleine Indie-Szene, die noch nicht im Mainstream angekommen ist.

Auf der YOU wird noch das 80er-Revival als Trend gefeiert. Geht dieser Hype am Lebensgefühl der Jugendlichen vorbei?

Die Mode- und Musikindustrie braucht solche Hypes, Jugendliche finden solche Medieninszenierungen spannend und spielen gerne mit. Aber mehr als Musik und Mode kann man über die 80er kaum verkaufen, denn sie hatten kein dominantes oder einheitliches Lebensgefühl. Dafür waren auch die Jugendkulturen damals schon zu ausdifferenziert: Es gab Punks, Skins, Gothics, New Waver, HipHop und schließlich Acid, House und Techno

die sich alle noch anhaltender Beliebtheit erfreuen. Hat die Jugendkultur außer Hiphop nichts Neues hervorgebracht?

Der kommt eigentlich auch schon aus den 70ern. Die letzten eigenständigen Entwicklungen waren Techno und der Innovationsschub rund um die Computerentwicklung, woraus sich Szenen wie die der Rollenspieler bildeten. Das meiste ist schon mal da gewesen und mischt sich lediglich neu: Vor zwei Jahren tauchten plötzlich die Emos auf, die Emo-Hardcore hörten und auch wie eine Mischung aus Punks und Gothics aussahen.

"Emo" und "Visual Keis" - das klingt ähnlich. Ist Szenezugehörigkeit beliebig geworden?

Man muss sich heute weniger anstrengen, um einer Szene zuzugehören. Ein Punk in den späten 70ern musste extra nach London fahren, um sich vom Gesparten echte Doc Martens zu kaufen. Heute holen sich die Kids am Kudamm die Schuhe von Papas Geld und kriegen selbst die obskursten Bands im Netz. Aber die meinen das genauso ernst wie früher. Sie bleiben nur nicht mehr so lange dabei. Zwischen 13 und 19 Jahren wird vier- bis sechsmal die Szene gewechselt.

Also doch Beliebigkeit: Heute Punk, morgen Skin?

So stark sind die Gegensätze nicht mehr. Heute gibt es 70 bis 90 Szenen, die nicht verfeindet sind, sondern häufig miteinander verwandt.

Was ist überhaupt eine Jugendszene - außer Klamotten und der dazugehörigen Musik?

Es geht um die Suche nach Identität. Um Freundschaften und Abgrenzung vom langweiligen Rest der Welt. Dabei gibt es immer einen Szene-Kern, bei dem die eigene Kreativität im Mittelpunkt steht: selbst Musik machen, Partys und andere Events organisieren. Das sind 20 bis 25 Prozent aller Jugendlichen. Die übrige Mehrheit besteht aus Mitläufern: konsumieren ja, identifizieren nein. Auch wenn die Zugehörigkeit nur gekauft ist: Sie ist wichtig. Denn wer will schon jung und normal sein? Couchpotato ist keine Jugendkultur.

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