Junge Autorin Elodie Arpa über Freiheit: Wie Milch auf der Tischplatte

Die Essayreihe „übermorgen“ widmet sich Begriffen und Moden der Gegenwart. Elodie Arpas „Freiheit“ fällt dabei gleichermaßen zu kurz und zu lang aus.

Eine Person geht mit rosa Einkaufstüten durch eine Fußgängerzone, man sieht nur den Unterkörper

Lässt sich in Einkaufstüten tragen, die „verdinglichte Freiheit“ der Konsumenten Foto: Oliver Berg/dpa

Der sympathische Verlag Kremayr & Scheriau aus Wien hat im vergangenen Jahr eine kleine Reihe ins Leben gerufen: „übermorgen“ enthält Essays zu Begriffen, Moden und Launen der Gegenwart. Psychiaterin Heidi Kastner hat knackig über „Dummheit“ nachgedacht, aus Marlene Engelhorns Gedanken zu „Geld“ ist eine ganze Vortragsreihe über Verhältnisse rund ums Erben geworden. Dem flächigsten, weitgehendsten Prinzip widmet sich jetzt ein knapper Text, Elodie Arpa schreibt darin über „Freiheit“. Es ist, so viel vorneweg, ein Buch, das gleichzeitig zu lang und zu kurz ist.

Zu kurz, weil Freiheit immer ein schillernder Gegenbegriff zum nicht minder schillernden Prinzip von Herrschaft war. Da fand Epikur in der Sklavenhaltergesellschaft der Antike, dass man unter diesen Zwängen mit Selbstgenügsamkeit und Hinwendung zur Lust Freiheit finden könnte. Der ständisch gebundenen Unfreiheit des Mittelalters widersprach ein naturrechtlicher Freiheitsbegriff, der christlich eingeengt wurde.

Der Aufbruch des Industriezeitalters ließ ständische und stehende Bande verdampfen, förderte einen Individualitätsbegriff, klammerte Menschen aber ans Joch der Maschine. Als Karl Marx den absoluten Geist von Hegel kleingekocht und ihn zum Selbstbewusstsein des Menschen gemacht hatte, stand die Erkenntnis im Raum, dass der Mensch nicht nur im negativen Sinn frei von Natur sei, sondern auch im positiven: Er ist frei, sich selbst zu realisieren.

Im Zeitalter der Singularitäten, aus dem heraus Arpa auf die Dinge schaut, sind wir angehalten zu glauben, dass sich dieses Realisieren vor allem in Kaufentscheidungen zeigt. Der Konsument löst den Bürger als politischen Souverän ab, schon bei der Androhung von Einschränkung und Verbot wird er schnell gnatzig, pocht auf „verdinglichte Freiheit“. Die beanspruchen gar nicht seltene Sozialfiguren des libertären Autoritarismus, attestieren Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey in ihrer fabelhaften Untersuchung über „Gekränkte Freiheit“, als unbedingten Wert nämlich, „den sie nicht in sozialen Beziehungen mit anderen abgleichen oder gar einschränken wollen. Sie begreifen sie als ihr alleiniges Recht, über das nur sie verfügen.“

Elodie Arpa: „Freiheit“. Kremayr & Scheriau, Wien 2023, 112 Seiten, 20 Euro

Muss man dann beim Telekolleg rauskommen?

Zu lang ist Elodie Arpas Essay, wenn man fragt, was er zu all dem beiträgt. Nämlich nicht sehr viel. Auch das niedrigere Abstraktionsniveau eines Essays gegenüber wissenschaftlich grundierten Studien bedeutet nicht automatisch, dass man beim Telekolleg rauskommen muss.

Dort landet Arpa leider häufiger. Nach etwas unsicherer Begriffsklärung, Freiheit diene „als Projektionsfläche für unsere größten Wünsche, tiefsten Sehnsüchte und dringendsten Erwartungen“, stehe ungeschützt, werde ständig ausgehöhlt und missbräuchlich verwendet, pendelt sie sich ein auf Freiheit als „eine Idee, ein Grundrecht und ein subjektives Empfinden“.

Das leuchtet der Aufsatz dann allerdings nicht aus. Ihm mangelt es überhaupt an Struktur. Sprachlich spannt er die Amplitude weit auf zwischen elaborierten Termini („subjektives Empfinden“), kuriosen Einsprengseln, mit denen Arpa noch etwas kommentieren möchte (Kant etwa, der „typisch Kant!“ etwas komplizierter schrieb) und sprachlichen Unfällen wie „das macht Sinn“.

Auch ein Liter Milch, der sich über einer Tischplatte ergießt, kann interessant sein: Man muss einfach der zufälligen Wegführung folgen. Dabei stellt sich heraus, dass die 1999 in Brüssel geborene Autorin den Begriff von Freiheit daran überprüft, wie er sich zu Dingen verhält, die sie hineinwirft. Da sind mittelgroße Barrieren, die den Fluss einengen – sie referiert von Philipp Lepenies’ Untersuchung zu „Verbot und Verzicht“ und schwenkt über zu Alltagskultur gewordenem Neoliberalismus, gegen den Politik nicht anstinken möchte.

Da ist die Erkenntnis, dass es einen Unterschied zwischen rechtlicher und tatsächlich in Anspruch nehmbarer Freiheit gibt: Frauen sind längst nicht im gleichen Maße sicher, können nicht von körperlicher Unversehrtheit ausgehen. Oder, andere Klaviatur und ziemlicher Brocken: Essenzielle Lebensbereiche wie Arbeit, Wohnen, Gesundheit sind von harscher Ungleichheit durchzogen. Einige kleinere Brösel: „Selbsternannte Intellektuelle“, zum Beispiel, sammelt Elodie Arpa unter dem Begriff „alte weiße Männer“ und widmet ihnen viel Raum.

Apodiktische Sätze

Und es gibt grundsätzliche Dinge, die der Essay noch einmal klären will: „Wir leben im Patriarchat, in einer kolonialistisch-rassistisch geprägten, klassistischen und ableistischen Gesellschaft, in der Heteronormativität gepriesen und jede Abweichung vom ‚Ideal‘ mit Diskriminierung gestraft wird. Das zu wissen, zu verstehen und abzulehnen ist die Basis von Freiheit.“ Die Apodiktik solcher Sätze strahlt eine ganz eigenen K-Gruppen-Charme aus. Sie könnten, als Ganzes oder in ihren schwergängigen Teilen, Ausgang für eigene, jeweils längere Essays sein. Vielleicht sogar erfrischend, empörend oder elegant daherkommen. Bei Elodie Arpa wirken sie wie Trümmer.

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