Justizreform in Israel: Protestmarsch nach Jerusalem

Gegen die umstrittene Justizreform haben erneut Hunderte demonstriert. Derweil betont Israels Präsident Herzog im US-Kongress die demokratischen Werte seines Landes.

Ein Mann steht an einem Rednerpult

Israels Präsident Herzog besucht derzeit die USA Foto: Nathan Howard/reuters

JERUSALEM/WASHINGTON/TEL AVIV afp/ap/dpa | Israels rechts-religiöse Regierung kommt mit ihren Plänen zur Schwächung der Justiz weiter voran: Der Justizausschuss im Parlament hat in der Nacht zum Donnerstag einen umstrittenen Gesetzentwurf gebilligt, über den die Abgeordneten dann in einigen Tagen bereits final abstimmen können. Das Gesetz ist Teil der umstrittenen Justizreform und könnte Medien zufolge schon am Montag oder Dienstag in Kraft treten.

Den Plänen nach soll es dem Höchsten Gericht nicht mehr möglich sein, Entscheidungen der Regierung oder einzelner Minister als „unangemessen“ zu bewerten. Zu Jahresbeginn hatten die Richter etwa die Ernennung des Vorsitzenden der Schas-Partei, Arie Deri, zum Innenminister wegen dessen krimineller Vergangenheit als „unangemessen“ eingestuft. Daraufhin musste Netanjahu seinen Vertrauten entlassen. Beobachter erwarten, dass die Koalition dies mit dem neuen Gesetz wieder rückgängig machen will. Kritiker befürchten zudem, dass es zu willkürlichen Entlassungen von Gegnern der Regierungspolitik in entscheidenden Positionen kommen könnte.

Am Mittwoch begannen aus Protest gegen die massiv vorangetriebene Umsetzung der umstrittenen Justizreform der rechts-religiösen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mehrere hundert Menschen in Israel am Mittwoch einen mehrtägigen Marsch von Tel Aviv nach Jerusalem. Angesichts der voranschreitenden Reform sei es „Zeit für einen entschlossenen Schritt“, sagte die Organisatorin Shikma Bressler. Derweil warnte US-Präsident Joe Biden die israelische Regierung davor, die Justizreform im Eiltempo durchzudrücken.

„Wir werden Jerusalem am Samstagabend erreichen und Zelte an der Knesset aufstellen“, sagte der High-Tech-Mitarbeiter und Mitorganisator Mosche Radman über den kurzfristig angekündigten, 70 Kilometer langen Protestmarsch.

Proteste aus allen Teilen der Gesellschaft

Nach einer Pause während der heißesten Stunden des Tages brachen die mit Wasserflaschen und Sonnenschirmen ausgestatteten Demonstranten, israelische Flaggen schwenkend, am frühen Mittwochabend gegen 17.30 Uhr wieder auf. Am Sonntag stimmt das israelische Parlament in zweiter und dritter Lesung über eine wichtige Klausel der Reform ab.

Die Reform zielt darauf ab, die Befugnisse der Justiz und des Obersten Gerichts einzuschränken und die Stellung des Parlaments und des Ministerpräsidenten zu stärken. Die Demonstranten werfen der Regierung vor, damit die unabhängige Justiz des Landes schwächen zu wollen. Am Dienstag hatten Gegner der Justizreform zu einem landesweiten „Tag des Widerstands“ gegen die Pläne aufgerufen und im ganzen Land Autobahnen, Bahnhöfe und wichtige Straßen blockiert.

In der vergangenen Woche hatte das israelische Parlament bereits einen der umstrittensten Bestandteile der Reform, die sogenannte Angemessenheitsklausel, in erster Lesung gebilligt. Damit soll dem Obersten Gericht künftig die Möglichkeit entzogen werden, Regierungsentscheidungen als „unangemessen“ einzustufen. Kritiker fürchten eine willkürliche Besetzung hochrangiger Regierungsposten sowie eine Begünstigung von Korruption.

Seit Jahresbeginn demonstrieren immer wieder zehntausende Menschen gegen das Vorhaben. Die Proteste werden von breiten Teilen der Gesellschaft unterstützt – über alle Unterschiede hinweg: Liberale und konservative Israelis protestieren Seite an Seite, ebenso wie säkulare und religiöse Bürger. Armee-Reservisten sehen in dem Vorhaben der Regierung ebenso eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie in Israel wie Friedensaktivisten, Arbeiter und Angestellte der Tech-Branche.Dutzende Reservisten der israelischen Armee unterzeichneten am Mittwochabend in Tel Aviv eine Erklärung, der zufolge sie aus Protest gegen die Justizreform „den freiwilligen Dienst verweigern“.

Herzog hält Rede in US-Kongress

Das Vorhaben und das Tempo seiner Umsetzung stößt auch im Ausland auf Kritik, insbesondere in den USA, Israels wichtigstem Verbündeten. US-Präsident Joe Biden forderte die israelische Regierung am Mittwoch mit ungewöhnlich deutlichen Worten auf, das Vorhaben nicht zu „überstürzen“.

„Konsens in kontroversen Politikbereichen zu finden bedeutet, sich die Zeit zu nehmen, die es braucht“, sagte Biden dem Kolumnisten Thomas Friedman von der US-Zeitung New York Times. „Für große Veränderungen ist das unverzichtbar. Deswegen ist meine Empfehlung für die israelischen Verantwortlichen, nicht zu eilen.“

Bidens Äußerungen wurden vor einer Rede des israelischen Staatschefs Isaac Herzog vor dem US-Kongress am Mittwoch veröffentlicht. Herzog hat in einer Rede vor dem US-Kongress betont, dass demokratische Werte in seinem Land nach wie vor hochgehalten würden. Gleichwohl räumte er am Mittwoch ein, dass es in Israel eine „intensive und schmerzhafte Debatte“ über die Politik der rechtsreligiösen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gebe. Doch gerade das zeige die Stärke der israelischen Demokratie.

Herzog war nach seinem Vater Chaim der zweite israelische Staatspräsident, der eine Rede vor beiden Kongresskammern hielt. Offiziell ging es um den 75. Jahrestag der Staatsgründung Israels. Aber ein wichtiges Thema waren indirekt natürlich auch die derzeitigen Proteste gegen die Justizreform der Netanjahu-Regierung.

Kritik an Israel dürfe bestimme Linien nicht überschreiten

„Ich respektiere Kritik, besonders von Freunden, allerdings muss man sie nicht immer akzeptieren“, sagte Herzog. „Kritik an Israel darf nicht die Linie überschreiten, dem Staat Israel das Existenzrecht abzusprechen. Das Recht des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung in Frage zu stellen, ist keine legitime Diplomatie, es ist Antisemitismus.“

Herzog spielte dabei offenbar auf die Aussage der demokratischen Abgeordneten Pramila Jayapal an, die Israel am Wochenende als „rassistischen Staat“ bezeichnet, sich danach aber dafür entschuldigt hatte. In einer Resolution, die von mehr als 400 Abgeordneten beider Parteien mitgetragen wurde, bekräftigte das Repräsentantenhaus daraufhin am Dienstag die Unterstützung der USA für Israel. Jayapal und einige andere linke Demokraten boykottierten Herzogs Rede wegen der Politik Israels gegenüber den Palästinensern.

Wir haben diesen Artikel aktualisiert, um die neuesten Entwicklungen abzubilden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.