KP nach dem Erdbeben in China: Not gilt nicht mehr als Schwäche

Die KP lässt offene Berichterstattung zu und kann damit punkten. Sobald die Frage nach den Schuldigen kommt, könnte sich das ändern.

Betätigt sich als Krisenmanager: Regierungschef Wen Jiabao. Bild: rtr

CHENGDU/PEKING taz Kein Politiker ist in diesen Tagen in China so beliebt wie Regierungschef Wen Jiabao: Als Krisenmanager sahen ihn die Bürger des Landes seit vergangenem Montag ununterbrochen im Einsatz. Er verneigte sich vor den Toten, die aus einer zusammengestürzten Schule gezogen worden waren. Er sprach Verschütteten, die unter Trümmern auf Rettung warteten, Mut zu. Und er weinte, als ein schwer verletztes Kind nach Stunden geborgen wurde.

Noch niemals in den letzten Jahren haben die Zeitungen und Fernsehsender so ausführlich und so unmittelbar über die Arbeit eines Top-Politikers berichtet, der von vielen Chinesen in diesen Tagen liebevoll als "Onkel Wen" oder "Großvater Wen" bezeichnet wird.

Chinesische Zeitungen vergleichen die Reaktion der Regierung mit den dunklen Zeiten im Jahr 1976. Damals versuchte die KP das gewaltige Beben in der nordostchinesischen Stadt Tangshan zu vertuschen, dem über 200.000 Menschen zum Opfer fielen. Die Propagandabehörden erlaubten es Reportern der ohnehin streng kontrollierten Medien Chinas in jenem letzten Sommer unter Mao Tse-tung noch nicht einmal, ihre Kameras an den Unglücksort mitzunehmen. Es durften keine Bilder verbreitet werden, keine Hilferufe an andere Teile des Landes oder gar ins Ausland gelangen.

Negative Nachrichten zu verbreiten galt als subversiv. Not galt als Schwäche. Wie viele Menschen hätten gerettet werden können, wenn rechtzeitig Informationen geflossen und Helfer gerufen worden wären, ist nicht auszudenken.

Diese Haltung hat sich erst langsam geändert. Bei der großen Flutkatastrophe vor zehn Jahren noch wurden die Nachrichten so stark kontrolliert, dass die Chinesen das Unglück im Fernsehen vor allem als heroischen Akt patriotischer Soldaten gegen die reißenden Fluten des Jangtse sahen - heldenhaft kämpfend unter der Führung der Partei.

Für viele Chinesen, die sich heute per Mobiltelefon und im Internet informieren und so die Meldungen in den Staatsmedien überprüfen können, hat die ungewohnte Schnelligkeit und relative Offenheit der Berichte über das Beben und die Rettungsaktionen dazu geführt, dass sie der Regierung mehr als sonst glauben. Sie vergleichen, was sie erleben, mit dem, was sie im Radio und Fernsehen hören, und finden sich bestätigt.

Die Solidarität der Bevölkerung, eine "verantwortliche, offene und rational argumentierende" Regierung und der "ungehinderte Zugang zu Informationen": eine Kombination aus all dem habe "unsere Zuversicht angesichts des unerwarteten Desasters verdoppelt", kommentierte der Schanghaier Journalist Li Tianyang.

Wie lange diese ungewohnte Haltung der Pekinger Führung anhält - und ob Premier Wen Jiabao auch in anderen Situationen so viel Klugheit und Transparenz zeigen wird oder kann, ist bislang schwer zu sagen. Bald werden die Fragen laut werden, die Verantwortliche für schlecht gebaute Schulen oder ungenügend ausgerüstete Helfer suchen. Dann dürfte der alte Zensurmechanismus wieder einschnappen, der jetzt schon den Mantel der Dunkelheit über Fragen wie die Sicherheit von Atomanlagen breitet.

Was die Erdbebenkatastrophe in Sichuan von den Unruhen in Tibet - wo die KP nach wie vor mit eiserner Hand regiert - unterscheidet, ist klar: Das Erdbeben ist ein Unglück, das niemand verschuldet hat.

Dagegen stellen die Unruhen in Tibet die Haltung der Partei gegenüber den Tibetern und darüber hinaus auch gegenüber anderen nationalen Minderheiten grundsätzlich in Frage, ebenso wie ihre Religionspolitik.

Eine offene Betrachtung der Irrwege der Vergangenheit und eine offene Suche nach besseren Lösungen sind nicht in Sicht, da wirken die alten Tabus. Wer daran rütteln will, muss weiter damit rechnen, die volle Härte der staatlichen Repression zu spüren.

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