Karen Duves „Sisi“-Roman: Auch zu Pferde hervorragend frisiert

Karen Duve hat Elisabeth von Österreich einen vielschichtigen Roman gewidmet. Er zeigt die Kaiserin als Person voller Ambivalenzen.

Gemälde zeigt Kaiserin Sisi auf einem Pferd sitzend

Ein herausragende Reiterin: Sisi als Braut auf einem Gemälde von 1853 Foto: Fine Art Images/Heritage Images/Getty Images

Keine „weitere Meinung hinzufügen“ wolle sie den bereits bestehenden und publizierten Ansichten über Österreichs einstige Kaiserin Elisabeth, schreibt Karen Duve in der Nachbemerkung zu ihrem neuen Roman. Ein guter Vorsatz; wenngleich natürlich immer davon auszugehen ist, dass bereits die Auswahl der verwendeten Quellen eine gewisse Tendenz abbildet und dass dasselbe sowieso für jedes Erzählen gilt.

Duves Buch ist das Ergebnis gründlicher Recherche, mit markantem Schwerpunkt auf dem Thema Pferde/Reiten/Jagdgesellschaften. Denn Sisi, wie sie von ihren Geschwistern genannt wurde (zu „Sissi“ wurde sie erst in den Romy-Schneider-Filmen), war eine herausragende Reiterin und auch sonst extrem sportlich, wenn nicht gar sportbesessen.

Der Roman beginnt mit einer Fuchsjagd in England, wo Elisabeth sich längere Zeit aufhielt, und schildert unter anderem, wie sie den berühmten Jagdreiter Bay Middleton kennen- und schätzen lernt, der fortan ihr liebster Jagdgenosse wird. Die Gerüchte, die sich um die Kaiserin und Middleton rankten, werden im Roman in eben jenen Bereich der Gerüchte verwiesen; ähnlich übrigens wie im Film „Corsage“ von Marie Kreutzer, der vor wenigen Monaten in die Kinos kam und ungefähr die gleiche Phase im Leben der Elisabeth von Österreich herausgreift. Das ist schon – abseits jeglicher Jubiläen – ein ziemlich merkwürdiger Zufall. (Zur Sisi/Sissi-Konjunktur, die sicherlich unterschwellig durch adelszentrierte britische Erfolgsserien wie „Downton Abbey“ und „The Crown“ gespeist wurde, trägt jetzt außerdem noch die Net­flix-Serie „Die Kaiserin“ bei, die aber als Teil der Trivialkultur ohnehin in einer niederen Liga spielt).

Die eigenwillige Hauptfigur von Marie Kreutzers nicht minder eigenwilligem Kinofilm jedenfalls könnte beinahe Karen Duves Roman entsprungen sein. Wer den Film gesehen hat, wird die Roman-Sisi im Geiste zunächst unweigerlich mit dem Gesicht der Schauspielerin ­Vicky Krieps imaginieren. Aber das geht bald vorbei. Denn während Kreutzer dem Bild der Elisabeth von Österreich durchaus eine „weitere Meinung“ hinzufügt, kann Duve es tatsächlich vermeiden, ein allzu deutliches oder allzu eindeutiges Bild der Porträtierten zu zeichnen. Ihre Roman-Sisi ist vielgesichtig, schillernd und ambivalent, und was sie wirklich denkt, erfahren wir fast nie. Dafür wissen wir bald ziemlich gut, was andere von ihr halten.

Karen Duve: „Sisi“. Galiani, Berlin 2022. 416 Seiten, 26 Euro

Die Hofdame und die Nichte

Die Autorin bemüht sich (fast) durchgehend um eine konsequente Außenperspektive auf ihren Erzählgegenstand, die Person der Kaiserin. Neben dieser hat der Roman zwei weitere Hauptfiguren: Frauen, die Elisabeth im realen Leben sehr nahe gekommen sind und darüber schriftliche Zeugnisse hinterlassen haben. Aus Sicht jener beiden wird ein großer Teil des Romans erzählt. Es sind dies die langjährige kaiserliche Hofdame Marie Festetics sowie Sisis Nichte Marie Louise von Wallersee, die ebenfalls sehr gut reiten konnte und die Kaiserin auf vielen Jagden begleitete.

Beide Frauen bewundern Elisabeth rückhaltlos und tun alles für sie, und das oft unter Verzicht auf die eigene Bequemlichkeit. Dabei wird wiederholt der gedankenlose Egoismus der Kaiserin in Szene gesetzt; etwa wenn die Hofdame bei eisigem Wetter zu Fuß gehen muss, da Elisabeth aus einer Laune heraus nicht dafür Sorge getragen hat, dass sie einen Platz in einer der Kutschen bekommt. Oder wenn die Kaiserin ihre Nichte nach anstrengenden Jagdtagen noch in die Reithalle schickt, damit sie dort ihre Lieblingspferde zureitet.

Auf der anderen Seite ist Elisabeth jederzeit bereit, solche Zumutungen bei nächster Gelegenheit durch äußerste Liebenswürdigkeit wieder auszugleichen; und keine der Frauen käme auch nur im Entferntesten auf die Idee, sich den Wünschen ihrer Kaiserin zu widersetzen. So ist die Welt, in der sie leben, nicht gemacht.

Das gelegentliche Gefummel einer Nebenfigur

Kaiser Franz Joseph ist eine reine Nebenfigur im Roman. Was die Beziehung der kaiserlichen Eheleute angeht, so erfahren wir darüber außer ein paar zusammenfassenden Sätzen („Elisabeth ist die einzige Unvernunft, der einzige Rausch in seinem strengen und nüchternen Leben. Selbst seine Geliebten sind zahmer und langweiliger als sein angetrautes Weib“) praktisch nichts. Dafür tritt wiederholt eine der Geliebten des Kaisers auf, ein armes kleinbürgerliches Mädchen, das mit einem üblen Säufer verheiratet ist und dem gelegentlichen Gefummel des Kaisers auch aus finanziellen Gründen entgegenfiebert.

Insgesamt kommen sehr viele Stimmen und Blickrichtungen zusammen, alles zusammengehalten vom Duve-Erzählsound, jenem betont lakonischen, latent ironischen Tonfall, in dem eine übergeordnete auktoriale Stimme stets spürbar ist. Bereits in ihrem Droste-Hülshoff-Roman „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ hatte Duve diesen Tonfall sehr produktiv eingesetzt. Mit ihm legt sie einen dezenten Sicherheitsabstand zwischen Erzählstimme und Figurenper­spek­tive und beugt jeder unreflektierten Identifikation vor.

Allzeit ist erkennbar, dass es sich um Fiktion handelt, um die Imagination einer in heutigen Begriffen und Floskeln denkenden auktorialen Instanz. Andererseits ist klar, dass diese Fiktion zum großen Teil aus historischen Dokumenten und Zeugnissen gewonnen wurde. Wenn die Autorin den einen oder anderen Dialektismus einfließen lässt – während die Personen ansonsten ein für unsere Begriffe unmarkiertes modernes Hochdeutsch sprechen –, kann dieses Stilmittel als augenzwinkernder Authentizitätsmarker gewertet werden.

Pferdedressur als Lebensmetapher

Vorne auf dem Buchcover sind zwei Lipizzanerschimmel abgebildet, die sich, grazil auf den Hinterbeinen stehend, voreinander aufbäumen. Es handelt sich um eine Dressurszene, die im Roman auch beschrieben wird. Die große Tradition der Wiener Hofreitschule ist eine Metapher für das Leben der Elisabeth selbst. Außergewöhnliche Schönheit, fantastische Frisuren und überragende Disziplin vereinen sich zu einem Bild der allerhöchsten Anmut und Grazie: ein Ergebnis, das nur durch große Einschränkungen der persönlichen Freiheit erreicht werden kann.

Kein Wunder, dass Elisabeth das Jagdreiten zum Ausgleich brauchte. Allerdings enthält der Roman so viele Jagdbeschreibungen, dass dadurch das Bild entsteht, als habe das Leben der Kaiserin zumindest in ihren späten Dreißigern aus kaum etwas anderem bestanden. Und dabei dauerte, wie Wikipedia erfahren lässt, zum Beispiel allein das Waschen der kaiserlichen Haarpracht einen ganzen Tag.

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