Karlsruhe stoppt Zwangsbehandlung : Keine Psychospritzen

Psychopharmaka dürfen nicht gegen den Willen der Betroffenen verabreicht werden: Die Zwangsbehandlung von Straftätern in der Psychiatrie muss gesetzlich geregelt werden.

Die Verabreichung von Psychopharmaka im Maßregelvollzug gegen den Willen der Betroffenen ist nicht mehr so einfach. Bild: imago/friedrich stark

FREIBURG taz | Die Zwangsmedikation von psychisch kranken Straftätern muss gesetzlich neu geregelt werden. Dies hat jetzt das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzbeschluss entschieden. Bis auf Weiteres dürfen Straftäter, die in der Psychiatrie untergebracht sind, nicht mehr gegen ihren Willen mit Psychopharmaka behandelt werden.

Geklagt hatte ein Mann aus Rheinland-Pfalz. Er hatte Ende der 90er Jahre aufgrund einer wahnhaften Störung mit einer vollen Weinflasche auf seine schlafende Ehefrau eingeschlagen und dann versucht, sie mit einem Kissen zu ersticken. Anschließend schlug er auch seiner im Nebenzimmer schlafenden Tochter mit einer Weinflasche auf den Kopf. Er hatte geglaubt, sie wollten ihn vergiften.

Das Landgericht Frankenthal ging 1999 davon aus, dass der Mann bei seiner Tat nicht schuldfähig war, und verurteilte ihn zur Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt. Er wurde also nicht bestraft, sondern muss im Maßregelvollzug bleiben, bis er nicht mehr gefährlich ist.

Nach seiner Unterbringung im Pfalzklinikum Klingenmünster erhielt er zunächst Neuroleptika, nervendämpfende Medikamente. Seit dem Frühjahr 2000 verweigert er die Einnahme der Psychopharmaka, Er befürchtet Nebenwirkungen auf die Leber und das Blutbild sowie negative Persönlichkeitsveränderungen.

Die Klinik kündigte ihm daher 2006 an, sie werde ihn zwangsbehandeln, da er nicht einsichtsfähig sei. Notfalls müssten ihm die Neuroleptika gegen seinen Willen gespritzt werden. Ohne Behandlung laufe die Unterbringung auf einen reinen Verwahrvollzug hinaus und der Mann habe keine Chance, entlassen zu werden. Die Gerichte in Rheinland-Pfalz gaben dem Klinikum recht.

Doch die Verfassungsbeschwerde des Mannes hatte Erfolg. Derzeit bestehe in Rheinland-Pfalz keine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Zwangsbehandlung von Personen, die im Maßregelvollzug untergebracht sind. Dem Kläger dürfen also bis auf Weiteres keine Medikamente gegen seinen Willen verabreicht werden. Das Land will nun sein Maßregelgesetz "zügig" novellieren, wie eine Sprecherin gestern mitteilte.

Die Richter halten eine Zwangsbehandlung allerdings nicht generell für ausgeschlossen. Wenn dem Kranken die Fähigkeit zur Einsicht fehle, dass er krank ist, könne die Zwangsbehandlung in seinem Interesse liegen, auch mit Blick auf eine spätere Entlassung aus der Psychiatrie.

Doch für eine gesetzliche Regelung machen die Richter strenge Vorgaben. Die Zwangsbehandlung müsse letztes Mittel sein, vorher müsse versucht werden, das Vertrauen des Kranken zu erlangen. Die Notwendigkeit einer Zwangsbehandlung muss durch unabhängige Sachverständige festgestellt werden. Außerdem müsse sie so rechtzeitig angekündigt werden, dass der Betroffene eine gerichtliche Prüfung veranlassen kann.

Der Beschluss dürfte im Ergebnis auch alle anderen Bundesländer betreffen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.