Karneval de Purim im Club Renate: Doch wieder tanzen

Die Berliner Party Karneval de Purim wurde schon im Vorfeld von antisemitischen Verfehlungen überschattet. Am Samstag fand sie im Club Renate statt.

Eine Frau mit einer Maske auf einer Purim-Feier in Berlin

Und dann wird die Maske abgelegt: junge Frau während einer Purim-Feier in Berlin Foto: Filip Singer/epa

„Dreh die Karte um“ – mit dieser Aufforderung verschwand eine Person im Getümmel des Berliner Hauptbahnhofs. Als ich mich dort mit zwei Freundinnen am Freitagabend in einem Café traf, legte mir ein Fremder eine Karte in die Hand. Wir schauten uns verblüfft an und folgten dann der Anweisung. „Purim Sameach“, also in etwa „Frohes Purim“, stand auf ihr drauf.

Diese kleine Aufmerksamkeit stimmte mich auf den anstehenden jüdischen Feiertag Purim ein. Samstagabend stand nämlich das Fest an, welches ich beim „Karneval de Purim“ im Club Renate in Berlin zelebrieren wollte.

Purim ist ein Fest der Resi­lienz. Die Purim-Geschichte handelt davon, dass das jüdische Volk vernichtet werden sollte und es schlussendlich gelang, dies zu verhindern. Die Geschichte fand im persischen Exil vor ungefähr 2.500 Jahren statt. Sie handelt davon, dass Haman, der Minister des Königs Achaschwerosch, einen Massenmord an Jüdinnen und Juden plante. Als Esther, die Frau des Königs, die ihre jüdische Identität ihrem Mann verschwiegen hatte, und ihr Onkel Mordechai davon mitbekommen, konnten sie den geplanten Genozid verhindern.

Indem Esther ihrem Mann ihre Identität preisgab und den Plan dem König schilderte, ließ der König ihn daraufhin am Haman umsetzen. Und so überlebte das jüdische Volk. Purim ist also ein Fest des Mutes, des Lebens und der Hoffnung – es gibt genug Gründe, um zu feiern.

Und so verkleidet man sich an einem der beliebtesten jüdischen Feiertage, es wird getanzt und über den Durst getrunken. Es ist ein Brauch, so viel zu trinken, dass nicht mehr zwischen dem bösen Haman und dem guten Mordechai unterschieden werden kann.

So auch die Idee beim Karneval de Purim. Doch diese Purim-Feier ist keine wie die Jahre zuvor. Es ist nicht einmal ein halbes Jahr her, am 7. Oktober 2023, dass ein Massenmord an Jü­din­nen*­Ju­den nicht verhindert werden konnte. Dieses Mal geplant von der Hamas und nicht von Haman.

1.200 Menschen sind dabei brutal ermordet worden, 364 auf dem Supernova-Festival. Mehr als 100 Menschen sind immer noch in Gaza als Geiseln gefangen, wenn sie denn noch leben. Seit dem 7. Oktober ist auch in Deutschland nichts mehr wie davor: Antisemitismus wird instrumentalisiert oder praktiziert.

Die Partyreihe „Karneval de Purim“ wurde ebenfalls unfreiwillig in einen Antisemitismusskandal verwickelt. Als der Club Zenner als mögliche Location für die Purim-Party im Dezember angefragt wurde, antwortete ein Produktionsmanager des Zenner in einer knappen Mail auf Englisch: „Es ist im Moment weder vernünftig noch klug, eine jüdische Karnevalsparty zu veranstalten.“

Eine kollektive Strafe für Jü­din­nen*­Ju­den für das, was in Israel passiert – ein Antisemitismusklassiker. Nach einem öffentlichen Statement des Zenner mit Entschuldigung, Einsicht, dass die E-Mail tatsächlich als antisemitisch zu bewerten ist, und Versprechen eines internen Aufarbeitungsprozesses zur Sensibilisierung des Teams wurde die Entschuldigung durch den Purim-Veranstalter angenommen. Der erste Workshop zur Diversity-Weiterbildung wurde bereits beim Zenner umgesetzt.

Der Club Renate ist die neue Party-Location für die Purimfeier. Als ich eine jüdische Freundin fragte, ob sie Lust hätte, zu der Purim-Party mitzukommen, äußerte sie ihre Bedenken. Sie fürchtete, dass sie ein Sicherheitsrisiko eingehe, und entschied sich, dieses Jahr zu passen.

Das Besondere am Karneval de Purim ist, dass die Party eine inklusive jüdische Party ist, die zur Sichtbarkeit, aber auch Normalität des jüdischen Lebens in Deutschland beitragen möchte, indem nicht ausschließlich jüdische Menschen eingeladen sind. Die Besonderheit manifestiert sich dieses Jahr jedoch auch durch ein erhöhtes Sicherheitsaufkommen und dem Kontext, indem die Party stattfindet.

Dazu schreiben die Veranstalter zwei Tage vor den Festlichkeiten auf ihren sozialen Netzwerken: „Wir leben in angespannten Zeiten, (…). Techno-Clubs sind unsere süße Flucht aus dieser traurigen Realität. Hier sind alle gleich und Identitäten spielen keine Rolle. Wir möchten insbesondere beim Karneval de Purim einen Safe Space für alle Personen jeglichen Backgrounds schaffen und heißen unsere arabischen Freunde willkommen, weiterhin ein Teil davon zu sein, so wie in den vergangenen zehn Jahren (…).“

Ich entscheide mich, mit zwei nichtjüdischen und zwei jüdischen Freun­d:in­nen zur Purim-Party zu gehen. Ein Motto vieler Überlebender des Massakers auf dem Supernova-Festival lautet „We will dance again“, daher denke ich während des Tanzens an die vielen Opfer seit dem 7. Oktober.

Auch zehntausende Menschen im Gazastreifen, die durch Gegenschläge des israelischen Militärs gestorben sind. Tanzen, während Kinder in Gaza verhungern und Geiseln gefangen sind, fühlt sich nicht richtig an. Tanzen ist gleichzeitig meine Art, mit Emotionen umzugehen.

Auf dem Nachhauseweg gegen 5 Uhr morgens höre ich einen Schwarm von Tauben gurren. Ich bilde mir ein, nein wünsche mir, dass es Friedenstauben sind.

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