Kinotipp der Woche: Tick, Tick, Boil

Rassistische Vorweihnachtszeit in Transilvanien, ein Londoner Luxusrestaurant als Stresshölle: Beim Weihnachtsfilmfestival kocht wieder alles über.

Szene in einer Restaurantküche: Ein Koch mit einer blauen Schürze zeigt mit dem Finger auf jemanden außerhalb des Bildausschnitts. Er schaut drohend zu der anderen Person und schimpft.

In der Küche ist die Hölle los: Szene aus Philip Barantinis „Boiling Point“ Foto: Vertigo Releasing

Die sechste Ausgabe des Weihnachtsfilmfestivals im Kino Moviemento verspricht wieder unkonventionelle Weihnachtsfilme. Und das muss man dem Kuratorenteam der Filmreihe, die vom 21. bis zum 24. Dezember läuft, wirklich lassen: Sie versprechen nicht zu viel. Das, was hier gezeigt wird, sind durchaus Weihnachtsfilme, gleichzeitig sind sie das aber teilweise auch absolut gar nicht.

Nichts könnte von „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ weiter entfernt sein, als beispielsweise „R.M.N.“ (2022) von Cristian Mungiu, dem Starregisseur des vielgerühmten rumänischen Arthouse-Kinos. Sein Film spielt in einem Kaff in Transsilvanien während der Vorweihnachtszeit. Aber wer nun denkt, spätestens an Heiligabend würden sich die Konflikte in der Dorfgemeinschaft schon in Luft auflösen, so wie das von einem anständigen Weihnachtsfilm zu erwarten ist, wird sich getäuscht sehen.

Der Film bietet von vorne bis hinten einen grimmigen Blick auf rassistische Dorfbewohner, deren Vorurteile gegenüber Fremden vom globalisierten Turbokapitalismus regelrecht befeuert werden. Da reicht sich unterm Weihnachtsbaum niemand die Hände. Die vernünftigste Dörflerin ist Csilla, die für die Großbäckerei, bei der sie angestellt ist, ein paar Arbeiter aus Sri Lanka anheuert. Für prekäre Jobs, die den anderen Dorfbewohnern zu schlecht bezahlt sind. Die wiederum träumen von Deutschland. Aber einer EU, von der sie glauben, sie wolle ihnen vorschreiben, die Roma anständig zu behandeln, stehen sie skeptisch gegenüber.

Es heißt, Regisseur Christian Mungiu würde naturalistische Filme drehen, aber „R.M.N.“ erinnert fast schon an den Surrealismus eines Luis Bunuel. Da dreht plötzlich ein ganzes Dorf komplett durch und will so lange kein Brot mehr kaufen, so lange dieses von den Ausländern mit den „dreckigen Händen“ und den „schlimmen Krankheiten“ produziert wird. Und der Dorfpfaffe, wie könnte es auch anders sein, weiß der Progromstimmung, die sich langsam ausbreitet, auch nichts entgegenzusetzen. Weihnachtlich ist an dem Film nur, dass bekanntlich die Menschen in der sogenannten besinnlichen Zeit erst recht dazu neigen, nicht mehr richtig zu ticken.

Wenn in der Küche der Kragen platzt

Auch in „Boiling Point“ (2021) von Philip Barantini ist Weihnachten die Zeit im Jahr, in der einem Desaster gleich das nächste folgt. Der Film spielt in einem Luxusrestaurant im vorweihnachtlichen London. Und zeigt, welchen Stresssituationen das Personal in solch einem Laden am Ende des Jahres ausgesetzt ist. Der Film wurde in einer Plansequenz gedreht, die Kamera fährt also ohne Schnitt von Szene zu Szene. So wie bei „Victoria“ von Sebastian Schnipper. Allein diese Produktionsweise ist schon faszinierend an dem Film, der es so schafft, atemlos und ohne Pause sozusagen in Echtzeit 90 Minuten in der Stresshölle Gourmettempel einzufangen.

Da gibt es rassistische Gäste, die eine Servicekraft schikanieren und nervige Foodinfluencer mit Sonderwünschen. In der Küche brüllt und zickt man sich an und das Wörtchen „fuck“ fällt öfter als in jedem Film, der im Milieu des Gangstaraps spielt. Tränen fließen, zwischendurch muss eine Line gezogen werden, sonst hält man das alles ja gar nicht mehr aus, aber währenddessen wird alles immer noch schlimmer. Und am Ende kommt der totale Kollaps.

Eigentlich ist dieser ungewöhnliche Weihnachtsfilm „Boiling Point“ somit an dem echten Horror in den Familien rund um Heiligabend um einiges näher dran als „Der kleine Lord“.

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