Kirche, Körper & Kunst: Nackte Katholiken

Das Diözesanmuseum Freising befasst sich mit katholischer Körperphobie in der Kunst – und zeigt, wie die Kirche über Jahrhunderte ihre eigenen Monster erschuf.

Gemälde: eine nackte Frau mit langem Haar, das ihre Brüste umfließt, wird von Kindern angeschaut

Entrückung der Heiligen Maria Magdalena von Francesco Cairo um 1650 Foto: ©Collezione Gastaldi Rotelli, Foto: Diego Brambilla, Mailand

Das Ausmaß der sexualisierten Gewalt in der katholischen Kirche schockiert noch immer. Erst am Dienstag wurde der Bericht über die Verbrechen in der Diözese Freiburg entsprechend aufgenommen. Wobei niemand mehr schockiert sein kann angesichts dessen, was seit Jahren aus katholischen Bunkern ans Tageslicht kommt.

Obwohl Orgasmushilfe, Beziehungs- und Geschlechter­iden­ti­täts­pro­bleme inzwischen zum alltäglichen Berichtsgegenstand gehören, hält ein großer Teil der katholischen Kirche Sex immer noch für Schmuddelzeug. Dieses als Schmuddelkram tabuisierte Verhältnis zum eigenen Körper bildet den kulturellen Hintergrund, vor dem es innerhalb ihrer Reihen massenhaft zu sexualisierter Gewalt kam und diese verharmlost, verdrängt und vertuscht wurde.

Nun, das Christentum hat sich mit der Abschiebung von Adam und Eva aus dem Paradies einfach einen ziemlichen Klopper in die Wiege gelegt. Jahrhundertelang wurde diese Grundlagengeschichte der christlichen Kultur als Sündenfall interpretiert, als Zeichen dafür, dass Sex, also Lust, körperliches Begehren, ein Verbrechen ist. Entsprechend modelliert wurde dazu ein keuscher Gottessohn, eine jungfräuliche Gottesmutter und eine zur Heiligen bekehrte Hure, der nachgesagt wird, sogar Jesus rumgekriegt zu haben.

Scham, Sterblichkeit, Enthaltsamkeit

Wie sich die katholische Körperphobie in der Kunst, die jahrhundertelang von der Kirche abhängig war, niederschlug, ist das Thema einer gerade laufenden Ausstellung im Freisinger Diözesanmuseum. Unter dem Titel „Verdammte Lust – Kirche. Körper. Kunst“ sieht sie Erzbischof Reinhard Marx höchstpersönlich als „wichtigen Beitrag zur aktuellen Diskussion um eine in weiten Kreisen als rigide empfundene Sexualmoral der katholischen Kirche“. In Theologie, Predigt und pastoraler Praxis sei „in der Vergangenheit oft ein sehr negatives Bild menschlicher Sexualität gezeichnet, sie mit Schuld und Sünde beschwert worden, was zu Verdrängung und Doppelmoral geführt habe.

„Die im Bild geführten Körperdiskurse sind von religiösen Ideen dominiert“, heißt es im Begleitkatalog der Ausstellungsmacher. Jedoch seien diese dort „oft nur vordergründig dogmatisch repräsentiert und bieten einen Interpretationsfreiraum“.

Die meisten ausgestellten Objekte stammen aus dem Zeitraum zwischen ausgehendem Mittelalter und 18. Jahrhundert und zeigen den männlichen Blick auf die Geschlechter: viel Phallus, viele behängte Geschlechtsteile, viel männliche Gewalt und weibliche Verführung. Thematisiert werden auf den Gemälden und Skulpturen die Themen Scham, Sterblichkeit, Reinheit, Enthaltsamkeit und Fruchtbarkeit. In acht Kapiteln wird der „schamlose“, der „sündige“, der „sinnliche“, der „reine“, der „verbotene“, der „erlaubte“ und der „verletzte“ Körper aus verschiedenen Perspektiven betrachtet.

Man begegnet sehr vielen nackten Frauen, mal als Venus mal als „schlummernde Quellnymphe“, mal als „entrückte“ oder „büßende“ Maria Magdalena, meist mit einem Hauch von Nichts bekleidet, ausnehmend lasziv, verzückt, wunderschön. Sind die abgebildeten Frauen bekleidet, dann meistens nur, wenn es sich um Jesu Mutter Maria handelt.

Mönche, die auf nackte Hintern von Nonnen schlagen

Gezeigt wird also das von der Kirche propagierte Frauenbild, das nur Heilige oder Hure kannte. Zu sehen sind Darstellungen sexualisierter Gewalt aus dem 17. Jahrhundert: der Raub der Sabinerinnen, eine von Satyr bedrohte Nymphe, eine von zwei Alten zum Geschlechtsverkehr genötigte Susanna und Mönche, die auf nackte Hintern von Nonnen schlagen.

Unter den ausgestellten Werken sind aber auch so groteske wie die Kupferstiche von Barthel Beham (Anfang 16. Jahrhundert), auf denen Gevatter Tod feixend und mit steifem Glied zwischen dem nackten Adam und der nackten Eva steht, die schamhaft ihre Hand vors Geschlecht hält. Botschaft: Sex kills!

Am häufigsten begegnet man aber nackten Männern: vor allem Jesussen. An Kreuze genagelt, nackt, mit knappem Höschen beziehungsweise fliehendem Tuch ums Geschlecht.

Die beeindruckendsten Darstellungen sind die vom Heiligen Sebastian, einem der ersten christlichen Märtyrer, der Legende nach Soldat unter Kaiser Diocletian und von selbigem wegen der Verbreitung christlicher Propaganda zum Tode durch Pfeilbeschuss verurteilt. Er wird immer attraktiv dargestellt, mit gut gebautem Körper, reizendem Blick, an den Händen gefesselt, manchmal hohe rote Stiefel tragend, das Geschlecht prächtig ausgestellt oder anziehend bedeckt und immer androgyn.

Seit der Renaissance dient der Heilige Sebastian als homoerotische Projektionsfläche, ist zur queeren Ikone geworden. So nannte sich beispielsweise der Schriftsteller Oscar Wilde „Sebastian“, nachdem er zwei Jahre lang wegen „homosexueller Unzucht“ im Gefängnis saß. Die Darstellungen des Sebastian sind deswegen so aufschlussreich, weil sie verdeutlichen, wie christliche Mythen Parallelmythen erzeugten und kirchliche Propaganda subtil uminterpretiert wurde.

Phallusse aus Marmor, Stein und Eisen

Das Highlight der Ausstellung hat ebenfalls mit queerer Ikonografie im katholischen Kontext zu tun. Es ist die Zeichnung Leonardo da Vincis von Angelo Incarnato, die zwischen 1513 und 1515 entstand und auf der die abgebildete Person eindeutig uneindeutige, also hermaphroditische Züge trägt. Dazu wird an einen Gedanken von Sigmund Freud erinnert, der in Zeichnungen wie dieser die künstlerische Idee ausgedrückt sah, „erst die Vereinigung von Männlichem und Weiblichem könne eine würdige Darstellung göttlicher Vollkommenheit ergeben“.

Als Letztes wandert man noch an ein paar Phallussen aus Marmor, Stein und Eisen vorbei und hat am Ende der Ausstellung das Gefühl, dass selbst die zeitgenössische gegenwärtige Ikonografie der Geschlechter von Werbung bis Pornografie noch heute an Posen orientiert ist, die seit Jahrhunderten inszeniert werden.

Man könnte gegen die Ausstellung einwenden, dass der Kardinal, statt Kunst aus dem Mittelalter zu zeigen, lieber dabei behilflich sein sollte, den berühmten „Giftschrank“ zu suchen. Nach diesem fahndet die Münchner Staatsanwaltschaft, weil dort Aufzeichnungen vermutet werden, die Aufschluss über die Fälle sexualisierter Gewalt in der Diözese geben könnten.

In diesem Zusammenhang wurde auch gegen den hier von 1977 bis 1982 amtierenden Erzbischof und ehemaligen Papst Joseph Ratzinger wegen Beihilfe zum Missbrauch ermittelt. Auch der amtierende Erzbischof Marx steht sowohl in seiner früheren Funktion als Bischof von Trier als auch in seiner jetzigen im Verdacht, die Aufklärung von Fällen sexualisierter Gewalt behindert beziehungsweise sich dafür nicht persönlich eingesetzt zu haben.

Dennoch muss die aktuelle Ausstellung mit ihrer Ausrichtung und an diesem Ort als revolutionär gelten. Denn in erster Linie wird hier gezeigt, wie die Kirche über Jahrhunderte lang selbst daran gearbeitet hat, ihre Monster zu erschaffen. Wie sie Geschlechterbilder transportiert hat, die dazu führten, dass die Institution Kirche heute als quasi unreformierbar gilt. Oder wie es Kardinal Marx im Jahr 2021 formulierte: Die katholische Kirche sei an einem „toten Punkt“ angekommen.

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