Klimaforscher zur deutschen Klimapolitik: „Wir haben keine Spielräume mehr“

Klimaforscher Pörtner warnt vor allzu großer Technologieoffenheit. Die Ampel kritisiert er für zweifelhafte Kompromisse. Hoffnung hat er dennoch.

Auf der A100 bei Berlin stehen in der Dämmerung in beiden Richtungen zahlreiche Autos im Stau

Wer Verbrennerautos mit E-Fuels betreiben will, versteht Technologieoffenheit falsch, sagt Pörtner Foto: Imago/Jochen Eckel

taz: Herr Pörtner, die Ampelregierung hat den Klimaschutz bei den Gebäuden auf die lange Bank geschoben, das Klimagesetz verwässert, und auf der Klimakonferenz in Bonn gab es nur marginale Fortschritte. Sehen Sie einen Rückwärtstrend beim Klimaschutz?

Hans-Otto Pörtner: Es gibt auf jeden Fall einen Trend zu zweifelhaften Kompromissen. Das dringend nötige Handeln wird wieder einmal verzögert: in den internationalen Verhandlungen und auch von dieser Regierung. Bei vielen Verantwortlichen fehlt die Einsicht, dass ambitionierter Klimaschutz bedeutet, dass wir jetzt wirklich mit hohem Tempo die Emissionen runterfahren müssen. Viele verstehen nicht, wie drängend die Pro­ble­me sind, wie wichtig der Faktor Zeit ist. Und dieses mangelnde Verständnis führt dazu, dass eben an den falschen Stellen Kompromisse gemacht werden. Dazu kommt dann diese Ideologie der Technologieoffenheit.

68, ist Abteilungsleiter am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. In der Arbeitsgruppe 2 des Weltklimarats, die sich mit den Auswirkungen des Klimawandels befasst, ist er einer der beiden Co-Vorsitzenden.

Was meinen Sie damit?

Wenn wir wie die FDP und Teile der Union Technologieoffenheit zur Maxime erheben, dann fehlen uns die wirksamen Hebel, mit denen wir eine schnelle Umstellung auf Technologien der erneuerbaren Energie bekommen. Es ist richtig, Technologiepfade nicht zu früh zu verschließen. Aber wenn sich eine Technik durchgesetzt hat, dann führt solche Offenheit zu unnötigen Verzögerungen in der Umsetzung. Und das ist aus meiner Sicht etwa beim E-Auto der Fall – Strom zu nutzen ist viel effizienter, als mit dem Strom E-Fuels herzustellen. Da müssen wir rasch in die Umsetzung und nicht mehr über Technologieoffenheit diskutieren.

Das Argument für Technologieoffenheit ist immer: Wir müssen alle Optionen offenhalten.

Aber zum jetzigen Zeitpunkt sind das Verzögerungstechniken, die die dringend nötige Umsetzung der Maßnahmen zum Klimaschutz verhindern. Das ist wie mit CCS [Carbon Capture and Storage; Anm. d. Red.]: Das ist wichtig, das brauchen wir, um verlorene Zeit für Klimaschutz zu kaufen und aufzuholen. Parallel müssen wir hauptsächlich alles tun, um zügig und wirksam auf die CO2-Reduktionspfade zu kommen, die uns zu unseren Klimazielen bringen. Wenn jetzt davon geredet wird, man könne CCS nutzen, um CO2 aus der Atmosphäre zu holen und so das Problem zu lösen, aber dabei weiteremittieren, dann ist das eine ähnliche Illusion, wie zu glauben, wir könnten die verbleibenden Verbrennerautos mit synthetischen Kraftstoffen betreiben.

Diese falsch verstandene Technologieoffenheit führt zu verzögertem Klimaschutz und verpassten Klimazielen. Oberstes Ziel muss es sein, mit Emissionsreduktionen endlich auf den Pfad zu den Klimazielen zu kommen. Wir sind nicht auf diesem Pfad, und wenn man spät dran ist, wenn man wie wir im Prinzip schon Jahrzehnte verpennt hat, dann ist man weniger flexibel und muss die wirklich wirksamen Maßnahmen ergreifen. Es wird dabei vielleicht teurer und unbequemer, denn es muss ja schneller gehen, als wenn man gleich reagiert hätte.

Haben die Verantwortlichen in der Politik, etwa im Bundestag, das Ihrer Meinung nach im Blick?

Ich weiß es nicht, weil wir ja keinen direkten Zugang zu den Verantwortlichen haben. Aber es liegt der Verdacht nahe, dass es bei vielen, die hier mit Blick auf Wählerstimmen argumentieren, an tieferem Verständnis dieser sachlichen Zusammenhänge fehlt. Das hat sicherlich auch etwas mit unserem Bildungssystem zu tun, worin die Vermittlung naturwissenschaftlicher Grundlagen und der Funk­tions­wei­se unseres Planeten zu kurz kommt.

War das besser unter einer Kanzlerin Merkel, die Doktor der Physik war?

Die Kanzlerin, die Physikerin war, war auch gleichzeitig eine gewiefte Machtpolitikerin. Und sie führte eine Partei, an der wir besonders gut beobachten können, wie weit die Anschauungen zu diesem Thema auseinandergehen. Also nein, es war nicht besser.

Wie viele Verantwortliche in der deutschen Politik haben die IPCC-Berichte gelesen, die Sie mit so großer Sorgfalt erstellen?

Dazu kann ich überhaupt nichts sagen, weil ich mit den betref­fenden Personen keine direkten Kommunikationswege habe. Es gibt bei uns keine direkte Kommunikation zwischen Volksvertretern und Wissenschaft. Das ist in ei­nigen ­unserer Nachbarländer anders.

Aber es gibt doch Expertenanhörungen vor Gesetzen. Und jede Menge wissenschaftliche Beratungsgremien für die Regierung. Sie selbst sitzen im WBGU, dem Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen.

Ja, die allgemeinen Einsichten der Klima- und Biodiversitätsberichte finden da auch Berücksichtigung. Oder man wird mal in einen Unterausschuss eingeladen. Aber direkte Drähte gibt es nicht. Nach Verabschiedung der IPCC-Berichte war ich regelmäßig zu Vorträgen im Europaparlament. Sie müssen nicht glauben, dass Ähnliches im Bundestag passiert. Nach der Verabschiedung des 6. IPCC-Berichts hat es so einen direkten Kontakt zu einer größeren Gruppe von Parlamentariern nicht gegeben. Dabei wäre das sehr sinnvoll, etwa mal vor den Fraktionen zu sprechen.

Was würden Sie denen denn ­sagen?

Die Menschen müssen etwas Grundlegendes verstehen: Wir müssen die Fehler des Industriezeitalters korrigieren. Die letzten 150 Jahre haben uns viele Erfolge gebracht, aber wir haben auch viele Fehler gemacht. Jeder konservativ denkende Mensch, der die wichtigen Dinge erhalten will, müsste sagen: Diese Fehler müssen wir jetzt korrigieren. Aber gerade die Konservativen wollen diese großen Zusammenhänge nicht sehen, sondern so weitermachen wie bisher.

Und es sind die eher links orientierten Parteien, die scheinbar progressiven, die wertkonservative Posi­tio­nen vertreten, weil sie sagen: Wir müssen die Lebensgrundlagen dieser Erde bewahren. Die mit Blick auf die Naturschätze und Lebensgrundlagen Wertkonservativen sind zum Beispiel bei den Grünen zu finden und nicht bei den offiziell ­konservativen Parteien. Man muss ja nur sehen, wie die Konservativen im EU-Parlament den Green Deal angehen.

Wie frustrierend ist es, als Wissenschaftler so wenig durchzudringen? Machen Sie sich da große Sorgen?

Natürlich sind wir als Wissenschaftler besorgt. Wir sind ja nicht nur Wissenschaftler, die zur Neutralität der wissenschaftlichen Aussagen verpflichtet sind. Wir sind auch Staatsbürger oder Eltern und Großeltern. Das sollte doch Motivation genug sein, hier ein klares Wort zu sprechen, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse in der Politik nicht genügend berücksichtigt werden.

Wo passiert das?

Beim Klimaschutzgesetz. Wir haben eine Entscheidung des Verfassungsgerichts, in der ganz klar gesagt wurde: Es geht hier um die Zukunft nicht nur der jetzigen Generationen, sondern auch der künftigen. Das heißt, es ist ein hohes Verfassungsgut, den nächsten Generationen dieselben Freiheitsgrade zu ermöglichen, die wir haben. Was das genau heißt, darüber lässt sich streiten, aber de facto bedeutet das, wir müssen den nächsten Generationen ein Weltklima hinterlassen, in dem es sich leben lässt.

Hans-Otto Pörtner, Ökologe

„Wir müssen um jedes Zehntelgrad Celsius weniger Erwärmung kämpfen“

Wir sind jedoch dabei, das zu unterminieren und durch Verzögerungstaktiken zu verhindern. Um es scharf zu formulieren: Das neue Klimaschutzgesetz ist in meinen Augen verfassungswidrig, wenn es durch verwässerte Maßnahmen dazu führt, dass wir die Klimaziele nicht einhalten.

Die Realpolitik sagt: Wir dürfen es beim Klimaschutz nicht übertreiben. Wir müssten das physikalisch Machbare mit dem wirtschaftlich Vernünftigen verbinden, sagt FDP-Finanzminister Lindner. Wie klingt das für Sie als Wissenschaftler?

Für mich als Wissenschaftler klingt das so, dass wir im Zweifelsfall bereit sind, die Klimaziele zu reißen. Und das ist der Punkt. Wir haben keine Spielräume mehr, die wir gerne hätten auf dem Weg zum Erreichen der Klimaziele, denn wir sind nicht auf dem richtigen Pfad. Die Flexibilität, die in diesen Aussagen angenommen wird, die haben wir nur, wenn wir auf den Emis­sions­pfaden zu unseren Klimazielen sind. Aber danach sieht es im Moment nicht aus, wir steuern global gesehen auf eine Welt zu, die um 2,7 bis 3,2 Grad wärmer sein wird.

Haben Sie Angst, dass wir die Klimaziele von Paris aufgeben, weil sie vielleicht nicht zu erreichen sind?

Alle unsere Ziele im Klimaschutz, für die Nachhaltigkeit, die Biodiversität oder den Katastrophenschutz klingen wunderbar, wie sie aufgeschrieben wurden. Und es war ja zum Teil schwer genug, sich darauf zu einigen. Denken Sie an das Pariser Abkommen. Aber jetzt sind Leute an der Macht, die damals nicht dabei waren oder nur in der zweiten, dritten oder vierten Reihe. Die sind möglicherweise nicht wirklich bereit, das hundertprozentig ernst zu nehmen. Alle Zielmarken wurden bisher nicht erreicht, oder die entsprechenden Maßnahmen sind nicht im Plan.

Herr Pörtner, machen Sie uns doch bitte mal ein bisschen Hoffnung.

Die Hoffnung stirbt zuletzt, klar. Natürlich hoffe ich, dass ein kleines Wunder geschieht und die Maßnahmen, die wir in Deutschland mit dem Klimaschutzprogramm angeschoben haben, noch zum Erfolg führen. Dazu gehört aber auch, dass wir mit allen Ländern am gleichen Strang ziehen. Die Länder, die die industrielle Revolution angeschoben haben, sollten vorangehen und als Erste deren Fehler korrigieren.

Wir halten fest: Die Lage ist so, dass ein durch und durch rational und wissenschaftlich denkender Naturwissenschaftler wie Sie an Wunder glauben muss.

Wir müssen um jedes Zehntelgrad Celsius weniger Erwärmung kämpfen. Und wenn sich das jenseits von 1,5 oder auch irgendwann vielleicht jenseits von 2 Grad Erwärmung abspielt, dann muss man trotzdem weiterkämpfen, um noch mehr Schäden und Leiden zu verhindern. Klimaschutz ist letztlich von existenzieller Bedeutung für Mensch und Natur und deshalb alternativlos.

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