Köpfe mit und ohne Tuch: Ein wenig Stoff für hitzige Debatten

In Bremen und Niedersachsen sorgt der Verfassungsgerichtsbeschluss zu Niqab & Co. für politische Verwerfungen

Auch mit Kopftuch lässt sich Integration richtig buchstabieren. Bild: dpa

BREMEN taz | Laut Bildungsministerium gibt es „in Schleswig-Holstein keinen Fall, in dem der Schulfrieden durch das Tragen eines muslimischen Kopftuchs beeinträchtigt worden wäre“. Das teilte Thomas Schunck der taz auf Nachfrage mit. „Mehr als diesen einen schlanken Satz kann ich Ihnen dazu gar nicht sagen“, so der Sprecher von Schulministerin Britta Ernst (SPD). Auch in Hamburgs Bildungsbehörde sind keine Störfälle bekannt.

Relevant ist das, weil das Bundesverfassungsgericht in einem am vergangenen Freitag verkündeten Beschluss (taz berichtete) genau das zur Bedingung für ein Verbot bekenntnisrelevanter Kleidungsstücke erklärt hatte: Das Vorliegen einer „hinreichend konkreten Gefahr“ für den Schulfrieden und die religiöse Selbstbestimmung der SchülerInnen müsse schon vorliegen, um das zu verhängen (1 BvR 471/10 ). In diesem Fall habe das zudem für „alle Glaubens- und Weltanschauungsrichtungen unterschiedslos“ zu geschehen.

Zwar hatte die Entscheidung unmittelbare Auswirkungen nur in Nordrhein-Westfalen, wo sie die entsprechenden Bestimmungen aus dem Schulgesetz getilgt hat. Allerdings befeuert der Beschluss sowohl in Niedersachsen, wo die Landesregierung derzeit mit muslimischen Verbänden an einem Staatsvertrag bastelt, als auch im wahlkämpfenden Bremen die lange schwelende Debatte zum Thema: Sowohl Kultusministerin Frauke Heiligenstädt als auch Bildungssenatorin Eva Quante-Brandt (beide SPD) teilten mit, die Entscheidung prüfen zu müssen.

„Klar ist: Das Bundesverfassungsgericht fordert uns zu einer geänderten Praxis im Umgang mit dem Tragen eines Kopftuches im Unterricht auf“, so Quante-Brandt zur taz. Zwar erwarte sie, „dass unser Schulgesetz dem Urteil aus Karlsruhe standhält“, allerdings sei daraus „eine andere Praxis abzuleiten“. Das werde man„mit den Schulen kommunizieren.“

Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg machen keine Kleidervorschriften in ihren Schulgesetzen. Anders Bremen und Niedersachsen.

In Bremen //bremen.beck.de/default.aspx?vpath=bibdata%2Fges%2FBrSchulG%2Fcont%2FBrSchulG.P59b.htm:regelt §59 b (4) des BremSchulG, dass "die öffentlichen Schulen […] religiöse und weltanschauliche Neutralität zu wahren" haben. "Auch das äußere Erscheinungsbild der Lehrkräfte" dürfe keine "Spannungen, die den Schulfrieden gefährden" in die Schule tragen.

Drastischer ist das NiSchulG: Zwar verbietet §51 (3) nur, dass "das äußere Erscheinungsbild von Lehrkräften […] Zweifel an der Eignung der Lehrkraft begründen, den Bildungsauftrag der Schule überzeugend erfüllen zu können".

Doch der besteht laut § 2 (1) darin, "die Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler auf der Grundlage des Christentums" weiterzuentwickeln.

Anders als die übrigen Nordländer hatten Bremen und Niedersachsen Verbote in den Schulgesetzen verankert. Während Bremen sich bemüht hatte, wenigstens in der gesetzlichen Formulierung keine Religion zu privilegieren, hatte Niedersachsens damaliger Bildungsminister Bernd Busemann keinen Zweifel an der antiislamischen Ausrichtung seiner Novelle gelassen: „In Niedersachsen wird es keine Lehrkräfte mit Kopftuch in Schule und Unterricht geben“, hatte der CDU-Politiker versprochen. Pro forma berief er sich dabei zwar auf die staatliche Pflicht zu weltanschaulicher Neutralität, doch schließt die im Niedersächsischen Schulgesetz eine totale Identifikation mit der christlichen Doktrin nicht aus (siehe Kasten).

Im politischen Lager führt die Diskussion zu überraschenden Frontenbildungen und inneren Verwerfungen: So hatte Eberhard Brandt, Vorsitzender der GEW Niedersachsen, gleich am Freitag dafür plädiert, sich „neu mit der Frage zu befassen“, viele Muslima trügen das Kopftuch ja ganz ununterdrückt. Doch ob er dafür viel Rückhalt in der LehrerInnengewerkschaft findet, ist ungewiss: Bislang hatte die GEW beschlossen, dass Niqab, Khimar und Hijab abzulehnen sind als Ausdruck einer „Ideologie, die Frauen nicht als gleichberechtigte Menschen akzeptiert“.

Auch relativierte GEW-Landesgeschäftsführer Richard Lauenstein am Montag, dass „diese Debatte erst noch stattfinden“ muss. Und ließ keinen Zweifel daran, dass er die Karlsruher Entscheidung lieber zum Anlass nähme, „endlich ernst zu machen mit der Trennung von staatlicher Schule und Religion.“

Für ein derart laizistisches Modell tritt in Bremen ausgerechnet die CDU ein: „Wir finden, dass die negative Religionsfreiheit der SchülerInnen hier stärker wiegen müsste“, gibt deren gleichstellungspolitische Sprecherin Luisa-Katharina Häsler zu bedenken. Schließlich herrsche für die Jugendlichen ja Schulpflicht. Noch habe man aber die eigene Position nicht mit dem Karlsruher Richterspruch abgeglichen.

Der sorgt auch im linken Lager für Streit: So hatte sich in Bremen die Genderpolitikerin der anerkannt säkularen Linkspartei, Claudia Bernhard, klar gegen Verbote positioniert und das durch eine Veranstaltung mit Kopftuch-Aktivistin Betül Ulusoy untermauert. Doch auf eine Pressemitteilung zum Thema konnte sie die Fraktion nicht einschwören. Ähnlich die Lage bei den Grünen, die zwar im Wahlprogramm das Ende des Verbots fordern. Doch als ihre migrationspolitische Sprecherin diesen Vorschlag per Antrag ins Parlament bringen wollte, scheiterte sie an den Fraktionskolleginnen.

taz.debatte zum Kopftuch: 14. 4., 19 Uhr, Lagerhaus, Bremen
Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.