Kolumne B-Note: Gut, dass alles immer schlechter wird

Bestätigt die „fiese Rassismus-Attacke“ auf Mesut Özil, was Linke ohnehin ahnen? Dass die Dinge genauso schlimm sind, wie man immer geahnt hat?

„Sieg! Dam, Dam-dadamm-dadamm, Sieg!” Bild: dpa

Was ist das eigentlich für ein Gefühl, festzustellen, dass die Dinge genauso scheiße sind, wie man es immer geahnt hat? Ein deprimierendes oder erfreuliches?

Normale Menschen würden ob dieser Entdeckung vielleicht verzagen. Anders die Linke, die einst mit dem Versprechen angetreten war, dass das Morgen besser sein würde als das Heute, die sich aber längst der Überzeugung zugewandt hat, dass alles schlecht ist und nicht anders als immer schlechter werden kann. Linke also muss diese Nachricht entzücken: „Fiese Rassismus-Attacke“ (Bild) gegen Mesut Özil. Denn das beweist: Das Gerede vom fröhlich-aufgeklärten „Partypatriotismus”? Propaganda! Das Bekenntnis zum Einwanderungsland? Schwindel! Deutschland? So verachtenswert wie eh und je.

Was ist passiert? Irgendein ein Depp hat im Deppenmedium Internet Özil beschimpft. Genauer: Er hat getwittert: „Özil ist garantiert kein Deutscher! Ein Stück Papier ändert nicht die Abstammung.“ So denken und reden Nazis, und schön ist das nie, wenn Nazis denken und reden. Aber genau das ist der Erkenntniswert dieser Nachricht: Nazis haben extrem rechtsextreme Ansichten.

Vielleicht ist der „Partypatriotismus” doch nicht so aufgeklärt, wie es die rot-grünen neopatriotischen Schlandland-Fans gern hätten. Ein Tweet aber reicht nicht, um die altlinke Sehnsucht nach Opfern zu stillen (Rassismusopfer Özil) und die wahre, also faschistische Fratze hinter der Begeisterung für Schlandland aufzuzeigen. Das zeigt schon die Quelle, der wir die Nachricht zu verdanken haben: der Titelseite der Bild.

Eine ganz andere Nummer sind da schon die „Sieg“-Rufe der deutschen Fans in polnischen Stadien. Wer „Sieg“ sagt, muss auch „Heil!“ sagen, weshab diese Schlachtrufe tatsächlich dazu geeignet sind, allen antideutschen Vorbehalte zu bestätigen und dem deutschen Fanblock ein donnerndes „Stalingrad!“ entgegenzuschleudern und den Deutschen ein 0:4 gegen Griechenland an den Hals zu wünschen.

Nun hat sich auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in die, na ja, Debatte über Özil eingemischt. Die „rassistische Hetze im Internet“ sei widerwärtig, diktierte er der Neuen Osnabrücker Zeitung, dem Zentralorgan für sinnlose Politikerzitate. Dabei versäumte es Friedrich – der Mann führt das nachweislich dümmste Ministerium des Landes – nicht, den „Fall Özil“ zu nutzen, um für die Vorratsdatenspeicherung zu werben. Es wird doch alles schlimmer.

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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