Kolumne Besser: Liebe N-Wörter, ihr habt 'nen Knall

Wie eine Veranstaltung zum Thema Diskriminierung und Sprache eskaliert und mit inquisitorischem Furor Politik durch Moralisierung ersetzt wird.

Heinrich Lübke, Bundespräsident und Stichwortgeber Bild: bundespraesident.de/taz

Es gibt Geschichten, die man einfach erzählen muss, selbst wenn man selber darin vorkommt. Zum Beispiel diese: Samstagnachmittag auf dem taz.lab. Unter dem Titel „Meine Damen und Herren, liebe N-Wörter und Innen“ diskutieren die Kolumnistin und Publizistin Mely Kiyak, der Titanic-Chefredakteur Leo Fischer und die Autorin und Aktivistin Sharon Otoo über Diskriminierung, Ästhetik und Sprache. Alle auf dem Podium wissen um den Zusammenhang von Sprache und Herrschaft, niemand bestreitet das Fortleben von Rassismus. Dennoch kommt es kurz vor Schluss zum Eklat.

Gut zwanzig Leute versuchen zu verhindern, dass der Moderator (ich) eine Passage aus einem historischen Dokument vorträgt. Die Gruppe beginnt einen Tumult, brüllt und wird von einem die Contenance nicht mehr ganz wahrenden Moderator (auch ich) niedergebrüllt („Geht bügeln!“). Schließlich verlässt die Gruppe den Raum. Sharon Otoo, mit der zuvor abgesprochen war, dass das inkriminierte Wort in Zitaten verwendet werden würde, geht ebenfalls.

Bei dem Text, mit dem der Moderator (wieder ich) den Ärger der vornehmlich studentischen Aktivisten auf sich zieht, handelt es sich um die berühmte Rede von Martin Luther King aus dem Jahr 1963: „But one hundred years later the Negro still is not free.“ In der Übersetzung der amerikanischen Botschaft: „Aber einhundert Jahre später ist der Neger immer noch nicht frei.“

Noch mal: Antirassistische Aktivisten wollen verhindern, dass aus einer Rede, dass aus der Rede von Martin Luther King zitiert wird. Sie kreischen den Moderator (immer mich) an: „Sag das Wort nicht! Sag das Wort nicht!“

Schon zuvor halten sich einige dieser Aktivisten krampfhaft die Ohren zu, als der Moderator (also ich) aus einem saudummen Text von Adorno vorliest sowie die umstrittene Passage aus Otfried Preußlers Kinderbuch „Die kleine Hexe“, wobei das Wort „Negerlein“ fällt. Es ist dies ein zwangsneurotisches Verhalten, das man weniger bei aufgeklärten Menschen, Intellektuellen gar, vermuten würde und das an ganz andere Leute erinnert: An katholische Nonnen, die versehentlich auf Youporn gelandet sind („Weiche, Satan!“). Oder an Hinterwäldler in Pakistan, die mit Schaum im Bart und Schuhen aus Autoreifen an den Füßen gegen Karikaturen protestieren („Death to Amerikka!“).

Zwangsneurotisch und inquisitorisch

Ähnlich ist nicht nur der religiöse Abwehrreflex, ähnlich ist auch der inquisitorische Furor, mit man zu Werke geht. In diesem Zusammenhang also: Das Wort „Neger“ ist schlimm, schlimm, schlimm und muss weg, weg, weg.

Und zwar ganz egal, ob in Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“, einem Buch, das, Mely Kiyak hat zuerst darauf hingewiesen, von einem kolonialistischen Weltbild durchzogen ist, welches sich nicht dadurch wegretuschieren lässt, indem man „Negerkönig“ durch „Südseekönig“ ersetzt. Oder in Mark Twains „Huckleberry Finn“, einem antirassistischen Roman, dessen Figuren zwar so reden, wie man Ende des 19. Jahrhunderts in den Südstaaten geredet hat, in dem das Wort „Nigger“ aber vor allem eines ist: eine Anklage gegen die Sklavenhaltergesellschaft.

Diese Leute haben keinen Respekt vor der Authentizität von Texten, am wenigsten bei Kinderbüchern – als ob diese, Bettina Gaus hat dies bereits geschrieben, keine Literatur wären. Für diese Leute spielt es auch keine Rolle, zu welchem Zweck jemand die inkriminierten Vokabeln benutzt. Und inzwischen ist es auch egal, ob man das Schimpfwort „Nigger“ mit einem Bann belegt und als „N-Wort“ umschreibt, oder das Wort „Neger“, welches eben nicht – siehe Martin Luther King – dieselbe Begriffsgeschichte aufweist.

Literatur wird auf den Inhalt reduziert, dem man wiederum mit Tippex auf die Pelle rückt. Diese Leute sind sich nicht einmal zu blöd, Zitate zu säubern und Texte, die sie auf ihren Blogs verlinken, mit „Triggerwarnungen“ zu versehen („Text ist mit Triggerwarnung: N-Wort einmal in Anführungszeichen, 1. Absatz“).

So nicht, Dr. Dre!

So wie diese Leute eine inhaltistische Auffassung von Kunst haben, so unempfänglich sind sie für subversive Strategien wie Satire, Aneignung und Umdeutung. Man kann sich gut vorstellen, wie diese Tippex-Intellektuellen versuchen, einem Dr. Dre auseinanderzusetzen, er möge rückwirkend den Namen seiner stilbildenden HipHop-Crew in „N-Words with Attitude“ umbenennen und die Texte umschreiben („I'm a muthafuckin N-Word“). Oder wie sie auf David Simon einreden, er möge den jugendlichen Drogendealern in „The Wire“ eine anständige Sprache verpassen („Fuck them West Coast N-Words. 'Cuz in B-more, we aim to hit a N-Word, ya heard“).

Das Credo dieser Leute, die sich etwa in der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ organisiert haben und die beanspruchen, für alle „people of colour“ zu sprechen, wo sie in Wirklichkeit – etwa den Funktionären muslimischer Verbände ganz ähnlich – für wenig mehr als sich selber sprechen, lautet: „Ich bin schwarz, darum weiß ich Bescheid. Du bist nicht schwarz, darum weißt du nicht Bescheid. Mehr noch: Du bist weiß. Darum kann und wird alles, was du sagst, gegen dich verwendet werden. (Dieses Credo haben sie freilich nicht exklusiv: Du bist Christ, Deutscher, Europäer, Heterosexueller, Mann, darum weißt du nicht Bescheid.)

Die Kränkung, die diese Leute empfinden, wenn in einem historischen Text das Wort „Neger“ fällt, ist echt. Aber der Trick ist: Man tut so, als sei die eigene Meinung unmittelbar von der Hautfarbe abgeleitet. Man maximiert das Ich, unterschlägt aber, dass zu diesem Ich eine Weltsicht gehört, die für die Deutung von Begriffen und Sachverhalten ungleich wichtiger ist: Ich fühle mich von dem Wort „Negerlein“ in einem 50 Jahre alten Kinderbuch so verletzt, weil das meinem Weltbild entspricht. Es geht nicht um Gefühle, es geht um Ideologie.

Es ist das Auftreten selbstherrlicher Subjekte, die die Integrität ihrer Person und die Unbestechlichkeit ihrer Urteile per Definition für sich reklamieren. Ich bin Opfer, Opfer, Opfer, und habe darum recht, recht, recht. Und wenn gar nichts mehr hilft, dann gibt es immer noch das Prenzelberg-Argument: Man muss die armen Kinder doch beschützen!

Täter, Opfer, Polizei

Eingebettet ist dieses Ich in eine Ideologie, die sich critical whiteness, „Kritische Weißseinsforschung“, nennt und deren Programm man mit dem Titel einer Sendung im Zonenfernsehen zusammenfassen kann: Täter, Opfer, Polizei.

Demnach ist alle Geschichte Kolonialgeschichte, egal ob in den USA, Großbritannien oder Deutschland. Und darin sind Täter und Opfer, Gut und Böse sauber verteilt. Dass das Leben in den betreffenden Ländern vor der Kolonialisierung, nun ja, auch kein Zuckerschlecken war, spielt keine Rolle; ebenso wenig der Umstand, dass durch den Kolonialismus die Menschen in der Dritten Welt auch ein philosophisch-politisches Instrumentarium in die Hände bekamen, das sie gegen die Kolonialherren wenden konnten.

Weder interessiert, dass in einigen arabischen Ländern die Sklaverei bis ins 20. Jahrhundert erlaubt war, noch schert man sich um postkoloniale Konflikte, bei denen kein westlicher Staat mitmischte. So gilt für den Diskurs in Deutschland: Der Genozid an den Herero im heutigen Namibia ist eine wichtige Referenz, am Völkermord in Ruanda hingegen interessiert allenfalls, dass einem Verantwortlichen in Deutschland der Prozess gemacht wird (was irgendwie auch als kolonialistisch gilt). Es geht, um es in Anlehnung an Jule Karakayali und ihren Mitautoren zu sagen, nicht um Politik, sondern um Moralisierung, nicht um Kritik, sondern um Denunziation.

Käsebleichen Student_innen*

Die Gruppe, die die Veranstaltung auf dem taz.lab zu sprengen versuchte, war vielleicht zur Hälfte dunkelhäutig. Die andere, besonders hysterischere Hälfte bestand aus käsebleichen Student_innen* aus Hildesheim oder Heppenheim, die etwas gefunden haben, um ihr Langweilerleben aufzupeppen und die sich lange genug in Seminaren und auf politischen Veranstaltungen in „Selbstpositionierung“ geübt haben – in stalinistischen Parteien hieß dieses Ritual „Kritik und Selbstkritik“ –, die also in endlosen Vorträgen Auskunft über sich, ihre Hautfarbe, ihre sexuelle Orientierung usw. gegeben haben, so dass sie mit noch größerer Empörung an die Sache gehen können.

Auch dieses Phänomen ist aus anderen Zusammenhängen geläufig: Von „Kinderschützern“ etwa. Oder den Bewunderern der Singularität, wie sie Wolfgang Pohrt einmal genannt hat, die sich mit den ermordeten europäischen Juden in eins setzen und deren liebstes Smalltalk-Thema der Holocaust ist.

Aber gut, man braucht nicht so tun, als würden diese Leute die politische Kultur gefährden. Sie haben halt etwas gefunden, mit dem sie vorzugsweise als Dozenten für Gender Studies oder Kulturwissenschaft ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Die Integrationsindustrie hat viele Jobs zu vergeben, für gewerbliche Opfer wie für gewerbliche Kritiker.

Nur haben die Critical-Whiteness-Spinner an einigen Fachbereichen die Nachfolge des trotzkistischen „Linksrucks“ oder der K-Gruppen noch früherer Tage angetreten: geschlossenes Weltbild, Auftritte in Rudelform, uniforme Redebeiträge und die totalitäre Unfähigkeit, etwas zu ertragen, das nicht der eigenen Weltanschauung entspricht. Aber wo sie sich schlecht benehmen, wie im vorigen Jahr auf dem antirassistischen „No-Boder-Camp“ in Köln oder eben auf dem taz.lab, wo Leo Fischer schon beim ersten Satz unterbrochen wurde („Das sagst du als weißer Mann“, als Anklage im Mund weißer Männer und Frauen), muss man ihnen Grenzen setzen.

Dennoch wäre es eleganter gewesen, wenn der Moderator (also ich) auf Gebrüll nicht mit Gebrüll reagiert hätte und stattdessen der Forderung der Aktivisten nachgekommen wäre.

Dann hätte ich nämlich Folgendes vorlesen können: „Aber einhundert Jahre später ist das N-Wort immer noch nicht frei. Einhundert Jahre später ist das Leben des N-Worts leider immer noch von den Handfesseln der Rassentrennung und den Ketten der Diskriminierung eingeschränkt. Einhundert Jahre später lebt das N-Wort immer noch auf einer einsamen Insel der Armut in der Mitte eines weiten, weiten Ozeans des materiellen Wohlstandes.“ We shall overdone.

Besser: Man wahrt Contenance, die jungen Leute studieren bald zu Ende und Eltern finden bessere Gute-Nacht-Geschichten als „Die kleine Hexe“.

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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