Kolumne Warum so ernst?: Eine humanitäre Liebesgeschichte

Sie hat das Geld, sie hat den Schlüssel, im Bett stöhnt sie deutsche Wörter, die ich nicht verstehe. Aber so ist es eben in Deutschland.

Miss Piggy steht in der Börse von New York.

Eigentlich bräuchte jeder Flüchtling eine nette, blonde Freundin: wie Miss Piggy eben. Foto: dpa

Mit der deutschen Blondine, mit der ich zusammenlebe, meiner Freundin, rede ich mal als Flüchtling, mal als ihr Boyfriend.

Der Lebensmittelhändler, der Schawarma-Mann, der Beamte für Flüchtlingsangelegenheiten, der Polizist, der jeden Tag auf der Kreuzung steht, die Krankenschwester und unsere Freunde, alle blicken uns neidisch hinterher. Ich höre sie murmeln: „Krass! Die beiden trennt auch wirklich nichts.“

Wenn wir die Straße überqueren, ist sie diejenige, die sagt: „Los.“ „Stopp.“ „Mach schneller!“ „Komm schon!“ Deshalb laufe ich immer zwei Meter hinter ihr.

Die Wohnungsschlüssel und das Geld hat sie, deshalb stehe ich immer draußen halb erfroren in der Kälte herum, wenn sie Zigaretten und Bier kauft.

Sie ist es, die festlegt, wann wir aufstehen, wann wir zu Bett gehen und wann wir träumen.

Im Bett stöhnt sie deutsche Wörter, die ich nicht verstehe. Oder falsch verstehe.

Sie ist es, die ans Telefon geht, und manchmal geht sie mit dem Telefon in die Küche und telefoniert lange, unterbrochen von lautem Gelächter. Wenn ich sie frage, wer dran ist, sagt sie: „Das Jobcenter.“ „Die Bank.“ „Der Arzt.“ Oder „die Krankenversicherung“. Dann kratze ich mich am Kopf und erzähle meinen Freunden in Manbidsch, dass die Bank in Deutschland etwas Urkomisches ist.

Alle Männer lächeln sie an, ich lächele zurück. Wenn sie niest, sage ich: „Gesundheit!“

Wenn sie geistesabwesend wirkt, sage ich: „Das ist ihr gutes Recht. Diese Deutschen müssen über wichtige Dinge nachdenken, die ich nicht verstehe.“

Und wenn sie anderen meine Worte übersetzt, ändert sie sie ab und sagt statt Revolution „Krieg“ statt Niederlage „Versuch“, statt Verrat „Missunderstanding“, statt Bedürfnis „Lust“, und der Kriminelle heißt bei ihr einfach nur „der Diktator“. Ach, sie weiß ja sowieso viel besser, was das alles bedeutet!

Sie ist über vierzig, aber die Liebe ist ja blind. Und nicht nur die Liebe ist blind: die Menschlichkeit ist es allemal. Deshalb haben sich auch so viele meiner Freunde, Flüchtlinge wie meinereiner, in blonde Frauen über vierzig verliebt.

Zitternd vor Kälte stehe ich auf dem Balkon. Ich rauche eine Zigarette. In der Wohnung ist rauchen verboten. Sie weiß um die Schädlichkeit des Rauchens und engagiert sich für alle unterdrückten Völker, für die Elenden und Vertriebenen, für die Kinder des Senegals und für mich.

Auf dem Balkon ist es kalt, aber die Liebe ist blind, obwohl sie eine Brille mit dicken Gläsern trägt. Sie hat sich in mich verliebt. Wie sie mich inmitten all der anderen Flüchtlinge überhaupt sehen konnte? Ich weiß es nicht.

Die Liebe ist blind, aber ich glaube, mit ihrer Brille kann sie scharf sehen.

Wenn ich mit meiner Mutter über Skype spreche und sie in meiner Nähe ist, schalte ich die Kamera ein, damit meine Mutter sie sieht. Dann wird der Bildschirm ganz gelb von ihrem Blond. Dann fragt meine Mutter mich nach ihrem Alter, und ich sage: einunddreißig. Meine Mutter glaubt es.

Den Deutschen sieht man ja ihr Alter auch nicht an.

Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Aboud Saeed wurde 1983 geboren und lebte bis November 2013 in der Kleinstadt Manbidsch in der Provinz von Aleppo im Norden Syriens. Er ist gelernter Schmied und Schweißer. 2009 eröffnete Saeed ein Facebook-Konto und hinterlässt dort täglich Einträge. Der klügste Mensch im Facebook, eine Auswahl aus seinen Statusmeldungen, ist sein erstes Buch. Er lebt seit November 2013 in Berlin mit politischem Asyl. 2015 erschien seine zweite Publikation Lebensgroßer Newsticker über sein Aufwachsen in Syrien, einem Land, das es so nicht mehr gibt.  

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.