Kommentar Asylpolitik in Europa: Die Internationale der Nationalisten

Während Merkel und Italiens Regierungschef Harmonie zur Schau stellen, schaffen ihre Innenminister Fakten. Sie eint das Ideal eines flüchtlingsfreien Europas.

Horst Seehofer und Matteo Salvini im Portrait

Gewillt, die Abschottungslogik weiter zu radikalisieren: Horst Seehofer und sein Amtskollege Matteo Salvini Foto: dpa

Endlich mal einer, mit dem man vernünftig reden kann! Das wohl muss Angela Merkel sich gedacht haben, als sie am Montagabend Giuseppe Conte gegenüber saß. Jenem Giuseppe Conte immerhin, der seit zwei Wochen Chef der Regierung der „Populisten“ ist, die in einer Koalition aus Fünf Sternen und Lega seit gut zwei Wochen die Geschicke Italiens lenkt.

Der Ton gelassen, die Stimmung harmonisch, die Sprachregelungen einvernehmlich: Was Merkel mit Seehofer seit Tagen nicht gelingen will, schaffte sie mit Conte binnen einer halben Stunde. Die Sicherung der Außengrenzen stärken, Hotspots zur Prüfung von Asylbegehren am besten schon auf der anderen Seite des Mittelmeers einrichten, die Aufnahme der (derzeit vor allem in Italien) ankommenden Flüchtlinge als gemeinsame europäische Aufgabe behandeln: Auf diese Punkte konnten sich die Kanzlerin und der italienische Ministerpräsident schnell einigen.

Viel wert ist diese Einigung allerdings nicht. Zwei andere nämlich saßen nicht mit am Tisch, obwohl ihnen als Innenminister die Themen Flucht und Migration obliegen: Horst Seehofer und Matteo Salvini. Auch sie verstehen einander prächtig, wie sie bei einem Telefonat vor einigen Tagen herausfanden: Beide sind eisern gewillt, die europäische Abschottungslogik weiter zu radikalisieren.

Da wäre zunächst Seehofer: Ihm und seiner CSU sitzt die AfD im Nacken – und er sucht die Rechtspopulisten auszubremsen, indem er deren Politik gleich selber macht. Dafür ist ihm die direkte Abweisung von einreisenden Flüchtlingen an der Grenze eingefallen. Das kann man Symbolpolitik nennen, schließlich geht es am Ende vermutlich nur um ein paar tausend Menschen. Doch Seehofer dürfte dieser Vorwurf egal sein. Ihm geht es einzig darum, den Flüchtlingsdiskurs zu dramatisieren, um dann geltend zu machen, er stehe auf der „richtigen“ Seite und nehme die Sorgen der Bürger – die er selbst kräftig anheizt – ernst.

So will Seehofer die AfD verhindern – eine AfD, die in Italien schon regiert. Dort heißt sie Lega. Und während Ministerpräsident Conte in Berlin mit Merkel „europäische Lösungen“ auslotet, hat auch Lega-Chef und Innenminister Salvini seine ganz eigenen Lösungen schon parat. Er erklärt den im Mittelmeer tätigen NGOs den Krieg, zwingt das Rettungsschiff Aquarius mit 630 Flüchtlingen an Bord zu einer tagelangen Fahrt Richtung Valencia und erklärt diese Manahme zum Präzedenzfall.

Salvini ist auf Hetze aus

Auch ihm könnte man vorhalten, er bekämpfe einen Notstand, der gar keiner ist, – schließlich kamen von Januar bis Ende Mai gerade einmal 13.000 Flüchtlinge übers Meer nach Italien, und schließlich werden die von Handels- oder Marineschiffen aus dem Meer gefischten Menschen weiter in Italien aufgenommen. Doch auch bei ihm trifft dies den Punkt nicht. Salvini ist auf Hetze aus: auf die Durchsetzung des Standpunkts, dass eigentlich gar kein Flüchtling mehr italienischen Boden betreten solle, getreu dem Lega-Motto „Prima gli italiani!“, „Italiener zuerst!“

In Europa lässt sich gegenwärtig die Entstehung einer Internationale der Nationalisten beobachten, einem Club von Nationalisten, der natürlich mit dem einen oder anderen Widerspruch zu kämpfen hat. So wäre Italien das erste Opfer der Seehoferschen Linie, anderswo bereits registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze abzuweisen. Und so wäre der von Salvini bewunderte, immer wieder als Vorbild zitierte Ungar Viktor Orbán der letzte, der – wie von Rom gefordert – bei einer solidarischen Aufnahmepolitik mitwirken würde.

Widersprüche im Detail stören den Club der Ultranationalisten aber nicht weiter – es wäre fatal, darauf zu hoffen, sie könnten das Einvernehmen sprengen. Denn alle miteinander eint das Ideal eines völlig flüchtlingsfreien Europa, in dem auch kein Streit mehr über Flüchtlingsquoten ausbrechen kann. Da nützt es Merkel und Conte wenig, wenn sie Harmonie zur Schau stellen. Denn Salvini und Seehofer reklamieren schon jetzt, am jeweiligen Regierungschef vorbei, die Deutungshoheit bei der Flüchtlingspolitik – und wenigstens dies haben sie schon erreicht: „Flüchtling“ ist heute weniger eine Kategorie des universellen Menschenrechts denn ein Schimpfwort.

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Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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