Kommentar Bundeswehr im Inneren: Trauer und Kalkül

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen versucht, sich die Terrorangst zunutzezumachen. Das ist kein Zeichen von Größe.

Zu sehen ist der Umriss von Ursula von der Leyen, im Hintergrund der Berliner Fernsehturm

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen stieß die Debatte um Soldaten im Inland an Foto: reuters

In Extremsituationen lernt man sich kennen. Man erfährt, wer hysterisch wird und wer ruhig bleibt, wer anderen hilft und wer nur sich selbst. Um 17.52 Uhr begann in München der Albtraum, der Wirklichkeit war. In den Stunden danach wurde aus Amok Panik und aus Panik Terroralarm. Aber aus dem Terroralarm wurde nicht noch mehr Panik, sondern Besonnenheit. Das ist der Professionalität der Polizei zu verdanken, jedoch auch den Münchner_innen. Sie haben seelenrobust und solidarisch reagiert. Sie konnten warten.

Auch Angela Merkel wartete. Alle äußerten sich noch in der Nacht, von Gabriel über Gauck bis Obama. Allein die Kanzlerin gab ihre Erklärung erst Samstagnachmittag ab, als sie wusste, was vor sich gegangen war. Sie sprach von Trauer und Mitleid, von Freiheit und Mitmenschlichkeit. Sie erwähnte die beunruhigenden Tage von Nizza über Würzburg bis München. Das war’s.

Klar, eine Gesellschaft muss sich nach einschneidenden Ereignissen überlegen, welche Konsequenzen sie zieht. Aber die Voraussetzung dafür ist ein einigermaßen tragfähiges Faktenfundament. Die Deutungsebene muss der Faktenebene folgen – nicht umgekehrt.

Bemerkenswert ist, dass sich die Besonnenheit vieler Bürger_innen bisher in der Umsicht der Politik spiegelt. Sogar Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat sich zurückgenommen.

Amok oder Anschlag? Egal. Von der Leyen kalkuliert mit der Angst

Anders die Verteidigungsministerin. Ursula von der Leyen verbreitet am Samstag, dass in den Stunden nach den Schüssen Feldjäger der Bundeswehr bereitgestanden hätten, um der Polizei zu Hilfe zu kommen. Diese Information überlässt sie nicht einem Pressesprecher, sie äußert sich höchstselbst. Sehr bewusst facht die CDU-Politikerin so die Diskussion über Einsätze der Bundeswehr im Inland an, die das Grundgesetz nicht vorsieht. Sie macht sich die Terrorangst zu einem Zeitpunkt zunutze, als nichts mehr auf Terrorismus hindeutet.

Amok oder Anschlag? Egal. Hauptsache, Angst. Die Ministerin kalkuliert. Das Thema Bundeswehr im Innern hat in der Union Potenzial. Die Armee muss der Polizei helfen dürfen, wird dort gern gehubert. Nach dem Motto: Im Notfall kommt der große Bruder von der Bundeswehr mit seinen Kumpels. Von der Leyen will jenen in CDU und CSU gefallen, denen sie verdächtig ist: als Modernisiererin, die einst das Elterngeld durchsetzte. Nun bietet sie der rechten Seite der Union etwas an. Sie braucht sie für ihr Ziel, eines Tages Kanzlerin zu werden.

Aber dieses Amt erfordert nicht nur taktische Raffinesse. Es verlangt Größe im Krisenmoment. Deutschland trauert. Von der Leyen schmutzelt. In Extremsi­tuationen lernt man sich kennen.

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