Kommentar Köhler-Rede: Der Wohlmeinende

Die "Berliner Rede" von Bundespräsident Köhler sollte eine diplomatische Geste in alle Richtungen sein. Umso deutlicher war sein naiver, optimistischer Ton.

Nein, das war keine Wahlkampfrede. Horst Köhler, der vor ein paar Monaten die globalen Finanzmärkte als Monster bezeichnete, hat rhetorisch nicht nach links geblinkt, um die von Gesine Schwan derzeit vergrätzte Linkspartei zu locken. Er hat vielmehr eine - inhaltlich allerdings ziemlich wolkige - Agenda 2020 entworfen, in direkter Anbindung an Schröders Sozialreformen. Keine falsche Anbiederung also.

Und doch war es eine Rede, in der die abwesende Gesine Schwan spürbar war. Köhler ist unzweifelhaft ein intervenierender Bundespräsident, der gerade mit der politische Klasse hart, auch zu hart ins Gericht geht. Diese Kritik war milder als sonst, weniger hochfahrend. Horst Köhler will offenkundig niemand zu nahe treten - eine diplomatische Geste in alle Richtungen. Umso deutlicher war sein naiver, optimistischer Ton. Wenn alle Guten willens sind und anpacken, dann bekommt man auch die globalen Finanzmärkte und den Klimawandel in den Griff. Das ist Köhlers Credo, seine frohe Botschaft. Deshalb scheut er sich auch nicht den "wacker erarbeiteten" Aufschwung zu preisen, eine neue Gründerzeit auszurufen und ohne jeden Anflug von Ironie Blumensträuße für den Gemeinderat als Mittel gegen Demokratieverdrossenheit zu empfehlen.

Horst Köhler galt lange als Neoliberaler. Das stimmte so ungebrochen nie. Im Zickzack hat er mal eher rechte, mal eher linke Reden gehalten. Die Rede 2008, die allen wohl und niemandem wehe sein sollte, ist vor allem unscharf. So beschwor Köhler in flammenden Worten, dass in unserem Bildungssystem niemand auf der Strecke bleiben dürfe, ohne auch nur ein kritisches Wort über das dreigliedrige Schulsystem zu verlieren. Köhler lobte das Glück, dass es bedeutete, wenn mehr Menschen Arbeit haben - und verlor doch kaum ein Wort darüber, dass der Preis dafür die Explosion des Niedriglohnsektors war.

Der Bundespräsident verkörpert, gerade wenn er sich ins Politische einmischt, Autorität ohne Macht. Dabei wäre es doch gerade seine Aufgabe, den Preis des Fortschritts oder der Veränderung klar zu benennen, anstatt ihn kleinzureden.

STEFAN REINECKE

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