Kommentar Proteste Tunesien: Die Zivilgesellschaft lebt

Das Ausland lässt keine Gelegenheit aus, die Demokratiebewegungen in Tunesien zu beerdigen. Das ist unglaublich ignorant.

Die Ermordung des Rechtsanwalts und Generalsekretärs der Bewegung Patriotischer Demokraten, Chokri Belaid zeigt, wie brutal der Machtkampf in Tunesien geführt wird. Es ist ein Machtkampf zwischen Gewerkschaften und der breiten Bewegung der säkularen, bürgerlichen Kräfte gegen ein patriarchales, rückwärtsgewandtes, islamistisches Milieu. Dass dieses Milieu rohe Gewalt im Kampf gegen Andersdenkende einsetzt, entspricht dem Mangel an Demokratieverständnis. Es ist ein Kampf der Demokratie gegen die Despotie.

Der Tod des linken Politikers Chokri Belaid ist nur ein weiterer Mosaikstein in dem gewalttätigen Muster fortwährender Übergriffe seitens des rechten Rands der tunesischen Gesellschaft gegenüber Frauen, Künstlern, Gewerkschaftern, Intellekuellen. Die Reaktionen der Zivilgesellschaft auf den Mord des Sozialisten Belaid ist masssiv und eindeutig: Die Protestaktion zur Beisetzung des 48-Jährigen gilt als die größte seit der Revolution vor rund zwei Jahren.

Die Menschen wehren sich gegen die alte Despotie, die sich von dem aktuellen politischen und institutionellen Machtvakuum profitiert. Die Repression wird der islamistischen, regierenden Partei Ennadha angelastet, denn weder die Gerichte noch die Polizei, ahnden politische Übergriffe salafistischer Milizen angemessen.

Man sollte die Gegenwehr und Wachsamkeit der Bevölkerung hervorheben, anstatt den „arabischen Frühling“ bei jeder Gelegenheit als „arabischen Herbst“ zu begraben. Das ist ignorant gegenüber den Menschen, die mit hohem Einsatz für die Demokratie auf die Straße gehen. In Tunesien mit seiner starken Zivilgesellschaft, aber auch in Ägypten, ist eine Demokratiebewegung losgetreten, die noch Zeit braucht und sich trotzdem nicht so schnell wieder beendenlässt.