Kommentar Streit um Italiens Haushalt: Sparen hilft nicht

Die EU-Kommisson behandelt ihre Mitglieder ungerecht. Von Italien verlangt sie eine strengere Sparpolitik. Dabei heißt das Problem Stagnation.

Matteo Salvini, Innenminister von Italien, reibt sich während einer Pressekonferenz das Gesicht

Genervt, aber beharrlich: Italiens Innenminister Matteo Salvini Foto: dpa

Die italienische Regierung ist zwar populistisch, aber ökonomischen Sachverstand besitzt sie. Gnadenlos legen die Italiener offen, dass die EU-Kommission ihr Land viel härter anfasst als die anderen Eurostaaten. Jüngster Anlass: Der französische Präsident Macron plant jetzt mit einem Haushaltsdefizit von über drei Prozent für 2019, was aber in Brüssel niemanden aufregt. Italien hingegen wurden für ein angepeiltes Minus von 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung Milliardenstrafen angedroht. Wie kann das sein?

Die Italiener wundern sich zu Recht, zumal nicht nur Frankreich die Defizitregeln großzügig auslegt. Belgiens Haushalt, zum Beispiel, wies seit der Finanzkrise 2008 ständig hohe Defizite auf, und auch dieses Jahr dürfte das Minus bei knapp 6 Prozent liegen. Aber ein Defizitverfahren gegen die Belgier gab es nie.

Trotzdem bleibt die EU-Kommission hart: Für die Italiener gälten andere Regeln, da ihre Schulden schon so hoch seien! Rom müsse sparen, um diese Last wieder abzubauen. Brüssel agiert, als wäre Italien mit Familie Mayer in Dinslaken zu vergleichen. Die Mayers dürfen ja auch keine Schulden machen, ohne sie zurückzuzahlen.

Es ist jedoch ein Missverständnis, dass Staaten wie Familien sparen könnten, um Schulden zu reduzieren. Die Italiener sparen seit Jahrzehnten vergeblich. Pro Einwohner hat der Staat seine Ausgaben seit 1991 kaum erhöht, wie die italienische Ökonomin Antonella Stirati in einem taz-Interview vorgerechnet hat.

Ein Teufelskreis

1991 lagen Italiens gesamte Staatsausgaben – Sozialleistungen, Gehälter des öffentlichen Dienstes, Investitionen, Zinszahlungen – bei 12.500 Euro pro Kopf. Heute sind es 13.000 Euro. In Deutschland dagegen stiegen die staatlichen Pro-Kopf-Ausgaben von 11.800 auf 15.000 Euro, und in Frankreich legten sie von 12.600 auf 18.000 Euro zu.

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Italien spart seit fast dreißig Jahren, aber die Staatsschulden wurden trotzdem nicht reduziert. Jeder Laie würde sofort erkennen, dass Sparen nicht hilft. Nur die EU-Kommission hält unbeirrt an ihrem neoliberalen Mantra fest, dass der Haushalt zu „konsolidieren“ sei. Italien hat aber gar kein Problem bei den Ausgaben – sondern bei den Einnahmen. Die italienische Wirtschaft stagniert seit zwanzig Jahren. Seit der Euro-Einführung ist sie in der Summe fast nicht gewachsen, während die deutsche Wirtschaft zeitgleich um etwa 30 Prozent zugelegt hat.

Hätten die Italiener ein Wachstum genossen wie die Deutschen, dann lägen ihre Staatsschulden heute nicht bei 130 Prozent der Wirtschaftsleistung, sondern nur bei 100 Prozent. Italien befände sich in einer Liga mit Belgien und Frankreich und hätte seine Ruhe. Stattdessen steckt es in einem Teufelskreis: Weil die Staatsschulden hoch sind, soll es sparen. Aber weil es spart, kommt die Wirtschaft nicht in Gang – und die Staatsschulden klettern weiter.

Die Italiener sind nicht selbst schuld

Das Mitleid der anderen Eurostaaten ist jedoch begrenzt. Hartnäckig hält sich der Eindruck, die italienischen Probleme seien „hausgemacht“. Doch das ist ein Vorurteil. Die Italiener sind nicht selbst schuld, sondern Opfer der Eurokrise. Der jüngste Rückschlag lässt sich genau datieren: Ab dem 21. Juli 2011 schossen die Zinsen für italienische Staatskredite plötzlich in unerträgliche Höhen, weil ein Schuldenschnitt für Griechenland diskutiert wurde.

Es heißt gern, die italienischen Probleme seien „hausgemacht“. Doch das ist falsch. Die Italiener sind Opfer der Eurokrise

Italien ist bekanntlich nicht Griechenland, aber das interessierte die Investoren nicht mehr. Die EZB wartete ein Jahr lang ab, bevor sie die Finanzpanik endlich stoppte. Für Italien war das zu lang, das Land rutschte in eine schwere Rezession, von der es sich bis heute nicht erholt hat.

Jetzt hat die EU-Kommission zwischen den Zeilen wieder gedroht, die Finanzmärkte von der Leine zu lassen und die italienischen Zinsen nach oben zu treiben. Prompt sind die Italiener eingeknickt und werden ihren Haushalt kürzen. Aber die Eurokrise ist damit nicht gelöst – sondern verschärft sich weiter.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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