Kommentar Syrische Flüchtlinge: Deutschland muss nur wollen

Als eine Art Pausenfüller kocht nun bis zum von den USA angeführten Angriff auf Syrien die Flüchtlingsdebatte in Europa hoch. Endlich!

Auch für sie wäre in Deutschland noch Platz: Syrische Flüchtlinge im Irak. Bild: ap

Noch vor wenigen Wochen wollte keiner mehr über Syrien reden. Die meisten MeinungsmacherInnen ließen das Land im „Bürgerkrieg“ versinken. Doch dann kamen die Bilder von den Chemiewaffenopfern, und die allgemeine Hartherzigkeit wich einer gewissen Betroffenheit. Assad müsse bestraft werden.

Dass er den Westen als Hüter der Menschenrechte und der roten Linien des US-Präsidenten so gar nicht ernst nahm, das störte dann doch. Ein begrenzter Militärschlag galt und gilt als sicher. Aber da der Zeitpunkt noch unklar ist, kocht nun als eine Art Pausenfüller die Flüchtlingsdebatte hoch. Endlich.

Rund sechs Millionen Syrer sind laut UNO auf der Flucht, etwa zwei Millionen konnten das Land verlassen, darunter knapp eine Million Kinder. Letzteren Islamismus zu unterstellen und mit diesem Argument jede Hilfe zu verweigern fällt dann doch schwer. Folglich ist seit einigen Tagen von der „größten humanitären Katastrophe“ im 21. Jahrhundert die Rede.

Und was macht das reiche Deutschland? Wenig, und das heißt: zu wenig. Die bereits gestellten rund 15.000 Asylanträge von SyrerInnen bescheidet es grob gesagt positiv und wird außerdem noch 5.000 Flüchtlinge für zwei Jahre aufnehmen.

8.000 neue Einwohner auf einen Streich

Angesichts der Not in Syrien und der Kapazitäten hierzulande sind diese Zahlen lächerlich gering. Doch der Bund kam mit ihnen gut durch die Öffentlichkeit. So brüstete er sich so ungeniert wie weitgehend ungestört, gemeinsam mit Schweden das EU-Land zu sein, das die meisten Syrer aufgenommen habe.

Just Schweden macht den Deutschen jetzt diesen guten Ruf wieder streitig. Das kleine Land erteilt allen bereits eingereisten SyrerInnen das Recht, so lange zu bleiben, wie sie wollen. Auf einen Streich akzeptiert man 8.000 neue EinwohnerInnen. Rechnet man diese Zahl auf die Einwohner hoch, dann müsste Deutschland rund 70.000 SyrerInnen aufnehmen. Umgehend. Davon sind wir hier Lichtjahre entfernt.

Trotzdem zeigt die aktuelle Entwicklung: Sobald die Medien aufhören, nur über Kriegsszenarien zu fabulieren und alle Rebellen unterschiedslos zu Islamisten zu erklären, wächst der Druck auf die Behörden, menschlicher zu handeln. Es ist schlicht Unfug zu behaupten, Deutschland könne leider gar nichts tun.

Jederzeit und ohne in Not zu geraten, kann es ein Drei- bis Vierfaches an syrischen Flüchtlingen aufnehmen und mit einer Arbeitsgenehmigung versehen. Das Land muss nur wollen.

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leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.

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