Kommentar Umweltproteste in China: Chinas Weg zur Zivilgesellschaft

Proteste wie die in Qidong werden für die chinesische Zentralregierung immer schwieriger zu kontrollieren. Und sie machen landesweit Schule.

Zehntausende wütende Bürger ziehen auf die Straßen, ein Polizeiauto wird umgestürzt, einige Demonstranten liefern sich sogar handfeste Auseinandersetzungen mit der Polizei. Und dann ist dieser Umweltprotest gegen die Abwasserleitung eines Papierunternehmens auch noch erfolgreich. Die Behörden müssen das Projekt abblasen. Solche Meldungen wie nun am Wochenende aus der ostchinesischen Stadt Qidong wollen nicht so recht ins Bild passen, das man von der Volksrepublik hat, die doch eigentlich mit harter Hand regiert wird.

Tatsächlich sind Massenproteste bereits seit einiger Zeit fester Bestandteil in China. Zwischen 100.000 und 150.000 unangemeldete Proteste im Jahr – so viel zählt selbst die regierungstreue Pekinger Akademie der Sozialwissenschaften bereits seit Jahren. Und viele dieser Protestveranstaltungen waren auch in der jüngeren Vergangenheit schon erfolgreich.

Bislang hat es die Zentralregierung in Peking aber geschickt geschafft, über diesen zeitlich und örtlich begrenzten Protest dem angestauten Unmut vieler Bürgerinnen und Bürger zumindest ein wenig freien Lauf zu lassen. Ein bisschen weniger Behördenwillkür und Korruption vor Ort – das ist ja auch im Sinne der Zentralregierung. Eine Massenbewegung, die sich gar gegen sie richten könnte – die hat sie mit allen Mitteln, also auch mit zuschlagender Faust, aber stets zu verhindern gewusst.

Momentan mag ihr das noch gelingen. Aber es wird für die Regierung schwieriger. Denn was die jüngsten Proteste ausmachen: Sie laufen eben nicht mehr isoliert voneinander. Die sozialen Netzwerke in China machen es möglich. Noch bevor die Zensurbehörden zugeschlagen und die Einträge auf dem twitterähnlichem Mikroblogging-Dienst Sina Weibo gelöscht haben, sind die Informationen über andere Dienste bereits weitergeleitet.

Proteste wie in Qidong werden nicht zu einem Umsturz des Systems führen. Und dennoch wird der erfolgreiche Protest gegen die Papierfabrik landesweit Schule machen. Ebenso die jüngsten ebenfalls erfolgreichen Proteste im südwestchinesischen Shifang gegen ein Kupferwerk oder die Demonstrationen gegen ein Kohlewerk in Shantou im Süden des Landes.

Bestückt ist der Weg zwar mit sehr vielen Stolpersteinen, und staatlich ist das auch nicht unbedingt gewollt: China befindet sich auf dem unaufhaltsamen Weg zu einer Zivilgesellschaft.

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war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.

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