Kommentar Wanze bei G-8-Gegner: Aus dem Dornröschenschlaf erwacht

Die Bundesanwaltschaft hat eine Wohnung von G-8-Kritikern in Hamburg verwanzen lassen. Dies schreckt das linksliberale Bürgertum auf, das seinen Frieden mit dem Staat gemacht hatte.

Jetzt ist der Schrecken groß. Da hat die Bundesanwaltschaft eine Wohnung von G-8-Kritikern in Hamburg nicht nur durchsuchen lassen, sie verwanzte diese auch noch. Zuvor ließ sie an Zeitungen gerichtete Briefe durchleuchten, Geruchsproben von Verdächtigen nehmen und einen Soziologen einsperren - nur, weil der in einem Buch ein paar verdächtig wirkende Wörter benutzt hat. Es erstaunt, dass der Staat gegen seine vermeintlichen Gegner so schwere Geschütze auffährt, zumal die Gefahr eines linksradikalen Terrorismus derzeit eher marginal erscheint.

Dies schreckt vor allem das linksliberale Bürgertum auf, das seinen Frieden mit dem Staat eigentlich längst gemacht hatte. Zu lange wurde in diesen Kreisen die Illusion gepflegt, die immer neuen Befugnisse für staatliche Ermittler hätten nichts mit einem selbst zu tun. In den Neunzigerjahren musste die organisierte Kriminalität als Argument für mehr Überwachungsmaßnahmen herhalten, später Rechtsextremismus und islamistischer Terror. Jetzt aber wird deutlich, dass sich die erweiterten Kompetenzen des Staates auch gegen ganz normale Bürger richten können.

Auf einmal präsentiert sich der Staat wieder so, wie man ihn längst vergessen zu haben glaubte: fast paranoid, von kompromissloser Härte und schwer durchschaubar. Von Peilsendern bis hin zur E-Mail-Überwachung fährt er zudem bis dato unbekannte Technik auf. Dieser Staat wirkt unheimlich.

Vielleicht ist das ein heilsamer Schock: Bislang herrschte beim Thema Bürgerrechte und Datenschutz in der Öffentlichkeit weitgehendes Desinteresse. Symptomatisch dafür ist das Verhalten der linken und liberalen Parteien: Nur bei harter Polizeigewalt oder der Debatte um einen Bundeswehreinsatz im Inneren schreckten Linke, FDP und Grüne aus ihrem Schlummer hoch. Aber diese Momente waren nur kurz, und sie kamen oft viel zu spät.

Offenbar braucht es eine Generalbundesanwältin wie Monika Harms, um das linksliberale Milieu aus seinem Tiefschlaf zu reißen - so, wie erst eine Eva Herman der Frauenbewegung wieder ins Bewusstsein rief, dass ihre Ziele noch längst nicht alle verwirklicht sind.

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Redakteur im Ressort Reportage und Recherche. Autor von "Wir waren wie Brüder" (Hanser Berlin 2022) und "Ich höre keine Sirenen mehr. Krieg und Alltag in der Ukraine" (Siedler 2023). Reporterpreis 2018, Theodor-Wolff-Preis 2019, Auszeichnung zum Team des Jahres 2019 zusammen mit den besten Kolleg:innen der Welt für die Recherchen zum Hannibal-Komplex.

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